# taz.de -- Nachnutzung von Kleingärten: Eine Insel verschwindet
> Freiwillige haben frühere Kleingärten ganz im Sinne des Baum-Entscheids
> zwischengenutzt. Aber jetzt will die Berlinovo hier Mikroapartments
> bauen.
IMG Bild: Sie wissen nicht, was ihnen blüht
Berlin taz | Ein paar dunkelrote Äpfel hängen noch an einem Baum. Hier
lassen Sonnenblumen ihre Köpfe hängen, dort sprießt ein Grünkohl zwischen
verblühten Stauden. In den ehemaligen Kleingärten an einer Ecke der
Wilmersdorfer Prinzregentenstraße herrscht herbstliche Stille. Menschen
sind nicht zu sehen, niemand sitzt vor den alten Lauben oder harkt Laub.
Irgendwo flattert eine Meise zwischen den Büschen.
Vor zwei Wochen sah das noch ganz anders aus. „Wir hatten großen Zulauf bei
unserem Abschlussfest“, erzählt Maike Weißpflug, „alle wollten sich noch
einmal an diesem Ort treffen.“ Weißpflug ist Politikwissenschaftlerin und
eigentlich gar keine Gärtnerin, aber mit rund 25 anderen AktivistInnen hat
sie sich diesen und den letzten Sommer ins Zeug gelegt, um aus dem kleinen
grünen Rechteck eine Insel der Stadtnatur und der Begegnung zu machen.
[1][„KlimaInsel“ nannte sich das Projekt], das Anfang Oktober offiziell
endete: Freiwillige hatten sich zusammengefunden, um die schon Anfang 2024
aufgegebenen 13 Gartenparzellen in Zwischennutzung zu betreuen. Die
gehörten zur nahegelegenen Kolonie „Am Stadtpark“, bis die PächterInnen das
Stück Land Anfang 2024 räumen mussten.
Teile der „KlimaInsel“ standen tagsüber für alle offen, die ein bisschen
Erholung und Kühle suchten, trennende Zäune wurden dafür zum Teil entfernt.
Andere Bereiche wurden von PatInnen gepflegt und bei Gelegenheit für
BesucherInnen geöffnet, einige wenige Parzellen blieben geschlossen, unter
anderem weil dort Wildtiere Unterschlupf gefunden haben.
Zu den Aktivitäten auf der „KlimaInsel“ gehörten vom Nabu organisierte
Insektenzählungen ebenso so wie Diskussionsrunden über die Stadt in der
Klimakrise. Eine Teilgruppe forschte als Geschichtswerkstatt zur Historie
der Synagoge Prinzregentenstraße, die einst direkt an das Grundstück
grenzte. In der Pogromnacht 1938 in Brand gesetzt und im Krieg weiter
zerstört, stand ihre Ruine noch bis Ende der 1950er Jahre dort, wo heute
nach Norden hin ein nüchterner Wohnriegel den Hintergrund der Gärten
bildet.
## Plena im „Rathausgarten“
Die Begeisterung, mit der Maike Weißpflug über das Projekt spricht, ist
ansteckend. „Die KlimaInsel war ein Kiezprojekt, ein sozialer Treffpunkt
für Menschen aus der Nachbarschaft. Hier musste nichts konsumiert werden,
es kamen Menschen aus allen Altersgruppen“, sagt sie, und: „Hier sind
Freundschaften entstanden.“ Auch einige der ehemaligen GärtnerInnen seien
immer mal wieder vorbeigekommen. Plena fanden im Garten des „Rathauses“
statt, einer etwas größeren Laube zum Straßenrand hin, die vor Jahrzehnten
einmal unter dem Namen „Kindl-Baude“ dem Bierausschank gedient hatte.
Jetzt soll das Gelände endgültig einem Bauprojekt Platz machen, dessen
Verzögerung die Zwischennutzung ermöglicht hat: Die [2][landeseigene
Wohnungsgesellschaft Berlinovo] will ein achtstöckiges Gebäude mit 270
„Wohnplätzen für die Segmente Studierenden- und Hauptstadtwohnen“ sowie
eine Kita errichten. Die „KlimaInsel“ spricht von geplanten Wuchermieten
von 25 Euro pro Quadratmeter, die Berlinovo hält sich auf Anfrage bedeckt.
Auf der Illustration der Landesgesellschaft sieht der künftige Wohnblock
wunderbar grün aus, über die gesamte Fassade ranken sich Pflanzen. Die
Bauherrin verspricht zudem viel Barrierefreiheit, mit einzelnen
rollstuhlgerechten Einheiten auf allen Etagen. Weißpflug ist skeptisch: „Im
Image-Making ist die Berlinovo gut, aber ob das am Ende alles real ist?“
Was sie und ihre MitstreiterInnen umtreibt: Kühlende Kleinoasen wie die
KlimaInsel sind genau das, was der Gesetzentwurf des Baumentscheids für
hitzebelastete Viertel vorsieht. [3][Der könnte bald vom Abgeordnetenhaus
verabschiedet werden] – für die Gärten an der Prinzregentenstraße zu spät.
Dabei, so argumentieren die AktivistInnen, gäbe es in der näheren Umgebung
gleich mehrere landeseigene Grundstücke, die bereits versiegelt seien und
sich damit viel besser eigneten. Auch stehe die Politik im Bezirk fast
geschlossen hinter ihnen, von den Grünen und den Linken bis hinein in die
CDU. Deren Stadtentwicklungsbaurat Christoph Brzezinski habe Gespräche mit
der Berlinovo geführt, allerdings vergeblich.
Auf taz-Anfrage teilt Brzezinski mit, dass das Bezirksamt keine
Alternativstandorte geprüft habe, weil sich die Berlinovo als Eigentümerin
zwar im Landesvermögen befinde, aber privatrechtlich organisiert sei und
nur auf Grundstücken bebauen dürfe, die ihr auch gehörten. Bei den
ehemaligen Kleingärten habe es sich zudem planungsrechtlich immer um
Bauland, nicht um eine Grünfläche gehandelt. Würde das Bezirksamt
versuchen, dies nun zu ändern, wäre das ein „enteignungsgleicher Eingriff
gegenüber der Grundstückseigentümerin“. Zudem begrüße man die „Schaffung
dringend benötigter Studentenwohnungen“ im Umfeld der Hochschule für
Wirtschaft und Recht (HWR).
## In Kürze „freigemacht“
Gesprochen habe man allerdings über eine Verlängerung der „sehr sinnvollen
Zwischennutzung des Grundstücks“. Die Berlinovo wolle aber „noch in diesem
Monat“ einen Bauantrag einreichen. Wegen des „sehr weit fortgeschrittenen
Abstimmungsstands“ sei mit einer kurzfristigen Genehmigung zu rechnen. Die
Berlinovo bestätigt das auf Nachfrage. Sie werde den Bauantrag „in Kürze“
einreichen, „das Grundstück freimachen und alle Maßnahmen für die Bebauung
vorbereiten“, so ein Sprecher. Voraussichtlich werde man mit dem Bau im
ersten Quartal 2026 starten.
Sollte es trotz der von allen gelobten Zwischennutzung und des ökologischen
Potenzials der Fläche keine Zukunft für die „KlimaInsel“ geben, bleiben von
diesem besonderen Ort wohl nur Erinnerungen und die Bilder, die der
Fotograf Lorenz Kienzle davon gemacht hat. [4][Aktuell werden sie in der
Kommunalen Galerie am Fehrbelliner Platz gezeigt.]
Neben Impressionen von Wachstum und Verfall, Engagement und Protest zeigen
sie auch eine Familie, die auf dem Gelände wohnt: zwei Rotfüchse mit ihren
sechs Welpen. Für einige Aufnahmen hat Kienzle, der auch Teil der
Initiative ist, seinem Mitstreiter Axel Jansa eine Kamera zur Verfügung
gestellt, denn der wohnt genau über den Gärten.„Heute Morgen habe ich sie
unten herumtollen sehen“, erzählt Jansa. Dass sie bald obdachlos sind,
wissen die Tiere nicht.
9 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.nachbarschafft-ev.de/klimainsel
DIR [2] /Landeseigene-Wohnungsunternehmen/!6015464
DIR [3] /Berliner-Abgeordnetenhaus/!6115459
DIR [4] https://www.kommunalegalerie-berlin.de/ausstellungen/gaerten-des-widerstands
## AUTOREN
DIR Claudius Prößer
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