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       # taz.de -- Prioritäten in der Entwicklungspolitik: Wieder mal mehr Wirtschaftsförderung
       
       > In Zukunft sollen Wirtschaftsinteressen bei der Entwicklungspolitik
       > stärker berücksichtigt werden. Die Zivilgesellschaft scheint dabei
       > zweitrangig zu sein.
       
   IMG Bild: Werden ihre Interessen künftig ausreichend berücksichtigt? – Kleinbäuerinnen in der indischen Nimad-Region
       
       Der Vorstoß von Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD), in
       Zukunft zuerst die deutsche Wirtschaft zu fragen, bevor sie in
       Verhandlungen über entwicklungspolitische Kooperationen mit Staaten geht,
       ist ein weiterer Baustein im Revival neoliberaler Interessen. [1][Alabali
       Radovan] will Märkte erschließen, Rohstoffe sichern, bietet Garantien und
       Risikoabsicherungen bei Investitionen und verspricht, Wirtschaftsvertreter
       stärker einzubeziehen.
       
       [2][Der neue Aktionsplan] dürfte bei Teilen der deutschen Wirtschaft auf
       Zustimmung stoßen. Andere Teile wird auch das nicht zu Investitionen im
       Globalen Süden bewegen, auch die früheren Initiativen dazu haben wenig
       neues Kapital gebracht.
       
       Wem das alles bekannt vorkommt: ja, wir sind in einer Zeitschleife. Alabali
       Radovans Aktionsplan „Starke Partnerschaften für eine erfolgreiche
       Wirtschaft weltweit“ kramt die Kernideen ihrer Vorgänger hervor, von Gerd
       Müller (CSU) oder auch Dirk Niebel (FDP).
       
       ## Sanfte Kehrtwende schon 2023 angekündigt
       
       Ex-Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte Ende 2023 noch eine
       sanfte Kehrtwende angedeutet. [3][Sie erklärte], dass „sich alle Angebote
       an die Wirtschaft künftig an den politischen Prioritäten der deutschen
       Entwicklungszusammenarbeit“ orientieren und „die Bedarfe der Partnerländer
       in den Mittelpunkt gestellt werden“. Sie wollte Frauen und Gewerkschaften
       zukünftig stärker bei der Planung und Durchführung von Projekten
       einbeziehen und alle Kooperationen sollten auf Klimaschutz, Sozial- und
       Umweltstandards überprüft werden.
       
       Obwohl das Vorhaben sicherlich an einigen Stellen in der Umsetzung hinkte,
       traf es einen Nerv. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)
       antwortete mit einem Positionspapier im Februar 2024, indem er eine
       „Zeitenwende“ forderte, hinzu einer stärkeren Beteiligung deutscher
       Unternehmen in der Entwicklungspolitik. Garantien, Risikoabsicherung,
       Marktzugang und so weiter.
       
       Entwicklungspolitik war immer schon geopolitische, wirtschaftliche
       Interessenpolitik – und stand gleichzeitig wegen des Anspruchs an
       Menschenrechte im Ausland auch immer unter Erklärungszwang gegenüber
       Rechten. Hinzu kommt ein BMZ-Etat, der vier Jahre in Folge gekürzt wurde.
       Das Ministerium stand kurz davor, komplett eingestampft zu werden. Die
       fortschreitende Militarisierung Europas, der Handelsstreit mit den USA und
       eine aufgeregte mediale Debatte über den Nutzen von Entwicklungspolitik für
       Deutschland, [4][angeheizt von der AfD], sind nur einige Gründe dafür.
       
       ## Ohne Rohstoffe keine Energiewende
       
       Dazu kommt Deutschlands enormer Hunger nach Rohstoffen. Ohne Kobalt und
       Kupfer, so stellte Alabali Radovan fest, gibt es keine Digitalisierung und
       keine Energiewende. Ob das BMZ weiterhin auf soziale und ökologische
       Lieferketten setzten will, wie Alabali Radovan beteuert, darf jedoch
       bezweifelt werden. Der Rahmen dafür wird gerade demoliert, [5][zum Beispiel
       mit dem Lieferkettengesetz]. Auch dafür hat sich der BDI erfolgreich
       eingesetzt.
       
       Für die Zivilgesellschaften problematisch ist die Entwicklungskooperationen
       zur Sicherung von Märkten und Rohstoffen, weil sie die Interessen
       Indigener, Kleinbäuer*innen oder Aktivist*innen vor Ort meist
       unberücksichtigt lassen. Dabei werden diese Gruppen oft auch von ihren
       Regierungen unterdrückt, die genau diese Art Kooperation wünschen.
       
       Mit der Stärkung von Wirtschaftsvertreter*innen in
       Regierungsverhandlungen dürfte das nur noch schlimmer werden. Gleichzeitig
       fallen gerade auch Gelder für Zivilorganisationen dem neuen Sparhaushalt
       zum Opfer. Bauern, die ihre eigenen Samen verwenden wollen?
       Umweltaktivist*innen, die Rohstoffe im Boden lassen wollen? Indigene, die
       ihr Land behalten wollen? Sie alle müssen sich hinten anstellen.
       
       9 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neue-Entwicklungsministerin-fordert/!6084838
   DIR [2] https://www.bmz.de/resource/blob/269838/aktionsplan-wirtschaft-entwicklung-20251002-ansicht.pdf
   DIR [3] https://www.bmz.de/de/aktuelles/archiv-aktuelle-meldungen/bmz-stellt-zusammenarbeit-mit-wirtschaft-neu-auf-181460
   DIR [4] /Ministerium-als-Sparkandidat/!6071060
   DIR [5] /Menschenrechte-in-der-Lieferkette/!6108002
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
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