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       # taz.de -- Nachruf auf Claudia Cardinale: Die selbstbewusste Heldin
       
       > Für Sergio Leone spielte sie das Lied vom Tod, für Visconti die Frau, die
       > Männern den Kopf verdreht. Als Feministin engagierte sie sich für MeToo.
       
   IMG Bild: Claudia Cardinale bei Dreharbeiten, 1964
       
       „Achteinhalb“ von Federico Fellini, „Der Leopard“ von Luchino Visconti oder
       „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Sergio Leone sind allesamt Klassiker des
       europäischen Kinos. Unsterbliche Filme, und das auch dank einer
       Schauspielerin, die das italienische Kino geprägt hat wie nur wenige:
       Claudia Cardinale.
       
       Die genannten Filme sind in den Sechzigern entstanden, Cardinales größter
       Zeit. Sie spielte auch danach noch in vielen Filmen Haupt- und Nebenrollen,
       selbst in ihren Achtzigern war sie noch aktiv, aber nur noch selten kamen
       unter ihrer Mitwirkung dabei ähnliche Meisterwerke heraus wie in ihrer
       Blütezeit.
       
       So wie es heute immer noch weitgehend läuft, lief es eben erst recht
       damals: Eine Schauspielerin wie Cardinale, die nicht nur für ihre
       Schauspielkunst berühmt war, sondern auch für ihre Schönheit, hatte es mit
       zunehmendem Alter schwerer, an die ganz großen Rollen heranzukommen. Was
       freilich nicht heißt, dass sie in den letzten Jahrzehnten vergessen wurde,
       erst recht nicht in Italien, wo sie neben den großen Filmdiven [1][Gina
       Lollobrigida] und Sophia Loren zu einem Nationalheiligtum erklärt wurde.
       
       Sie wurde auf großen Filmfestivals für ihr Lebenswerk geehrt, auch bei der
       Berlinale, und irgendwann fand sie neben der Schauspielerei auch noch eine
       weitere Berufung als Aktivistin, lautstarke Feministin und
       Menschenrechtlerin.
       
       ## Solidarisierung mit jungen Schauspielerinnen
       
       Sie, die als junge Frau selbst vergewaltigt wurde, machte sich stark für
       MeToo und solidarisierte sich so mit einer jungen Generation von
       Schauspielerinnen. Es war ihr zunehmend ein Anliegen, mithilfe ihrer
       Prominenz, die langsam in den Legendenstatus überging, etwas zu bewirken.
       
       Geboren wurde Claudia Cardinale im tunesischen Tunis als Tochter
       sizilianischer Auswanderer. Sie sprach in ihrer Jugend nur Französisch und
       Arabisch, Italienisch lernte sie erst so richtig, als es mit ihrer
       Filmkarriere in den Fünfzigern langsam losging.
       
       Mit 20 „wurde ich zur Heldin eines Märchens, zum Symbol eines Landes,
       dessen Sprache ich kaum sprach“, schrieb Cardinale in ihrer Autobiografie
       über ihre Anfänge in der italienischen Filmwelt. In den ersten Filmen
       musste sie noch synchronisiert werden.
       
       Dann kam der große Durchbruch in den Sechzigern, in denen sie auch ein paar
       Rollen in Hollywoodfilmen annahm und neben John Wayne und [2][Rita
       Hayworth] vor der Kamera stand. Aber die längste Zeit ihrer Karriere war
       sie in Europa aktiv, der Weg in die USA blieb nur ein kurzer Abstecher.
       
       ## Wie sie einen Ballsaal betritt
       
       Viele ihrer ganz großen Rollen, wegen derer sie so unvergesslich wurde,
       bekam Cardinale natürlich auch aufgrund ihres Aussehens, das ihr bereits
       als junger Frau einen Preis bei einem Schönheitswettbewerb einbrachte. Wie
       sie dieses in ihren Filmrollen einzusetzen wusste, zeigte freilich, was sie
       als Schauspielerin draufhatte. In Viscontis großem Historiendrama „Der
       Leopard“ verkörpert sie beispielsweise Angelica Sedara, eine Frau, die
       ihren sozialen Aufstieg vorantreibt und wirklich allen Männern den Kopf
       verdreht, auf die sie so stößt.
       
       In einer Szene des Films betritt sie einen Ballsaal, und allen aus der
       feinen Gesellschaft stockt bei ihrem Anblick einfach nur der Atem, und es
       wirkt so, als würde die Zeit stehen bleiben. Weil alle nun sehen, dass sie
       wirklich so schön ist, wie bereits überall gemunkelt wurde.
       
       Eigentlich macht die Cardinale hier nicht viel, scheint einfach sie selbst
       zu sein, stolz und erhaben, aber die Wirkung, die sie dabei auch beim
       Betrachtenden des Films erzielt, ist einfach magisch. Diesen Trotz in ihrem
       Blick, wenn sie den Augenblick ihres Triumphs genießt, vergisst man nicht
       mehr.
       
       ## Ausgerechnet in einem Western
       
       Ähnlich ist es auch in „Spiel mir das Lied vom Tod“, dem großen Epos von
       Sergio Leone. Auch hier spielt sie eine Frau vom gesellschaftlichen Rand,
       eine ehemalige Prostituierte, die es zu etwas bringen möchte im Wilden
       Westen.
       
       Ausgerechnet in einem Western, wo Frauen meist kaum mehr zu tun haben, als
       dem Helden ihr Herz zu schenken, darf sie eine der tragenden Hauptfiguren
       spielen, die mindestens so kraftvoll und zupackend agiert wie ihre
       männlichen Schauspielpartner, die Berufsmachos [3][Charles Bronson] und
       Henry Fonda. Sie verleiht dieser Pionierin, die von den Männern, mit denen
       sie es zu tun bekommt, natürlich unterschätzt wird, eine unheimliche Würde
       als schöne, vor allem aber als starke Frau, die sich durchzusetzen weiß.
       
       Am 23. September ist Claudia Cardinale im Alter von 87 Jahren im
       französischen Nemours gestorben.
       
       24 Sep 2025
       
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