URI: 
       # taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Muss Merz mehr Bahn fahren?
       
       > Friedrich Merz zitiert im Parlament alte Textbausteine von sich selbst.
       > Alice Weidel liebt die Apokalypse. Und die SPD hofft, dass die
       > Investitionen im Land ankommen.
       
   IMG Bild: Zitiert sich selbst: Bundeskanzler Friedrich Merz während der Generaldebatte am 24. September im Deutschen Bundestag
       
       Berlin taz | Weil der Bundestag den Haushalt 2025 und 2026 kurz
       hintereinander verhandelt, findet am Mittwoch die zweite Generaldebatte in
       einer Woche statt. Kanzler [1][Friedrich Merz] zitiert ein paar Mal sich
       selbst. „Schnell und bald“ werde es mit der Wirtschaft aufwärtsgehen. Man
       arbeite an „grundlegenden Reformen“, die allerdings wie schon am letzten
       Mittwoch recht unbestimmt bleiben. Und Merz beschwört „einen neuen Konsens
       der Gerechtigkeit“, ohne zu erklären, ob damit mehr gemeint ist, als den
       Bürgergeldempfängern das Schwarze unter den Fingernägeln zu missgönnen.
       
       Die Rede des Kanzlers, sonst ein schneidiger Rhetoriker, mäandert. Er lobt
       die Steuersenkungen für Unternehmen, die Begrenzung der Migration. Manche
       Textbausteine scheinen aus seiner letzten Rede zu stammen. Auf der
       Regierungsbank schauen auffällig viele in ihre Handys.
       
       Fahrt nimmt Merz auf, als er die Grünen frontal angreift und ihnen
       ideologische Klimapolitik vorhält. Kein Land habe „nachgemacht, was sie
       wollen“, ruft er den Grünen zu und wirbt für Gaskraftwerke und
       Technologieoffenheit. Auch den von Linken und Grünen erhobenen Vorwurf,
       [2][den Sozialstaat zu rasieren], weist Merz zurück. Dabei hatte der
       Kanzler kürzlich erklärt, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar.
       
       Merz' Rede besteht aus zwei rhetorischen Strategien, die unvermittelt
       nebeneinander stehen. Erst Staatsmann mit wolkigen Ankündigungen, dann
       Abteilung Rundumschlag. Es wird laut im Bundestag. Parlamentspräsidentin
       Julia Klöckner ruft zur Ordnung. Man möge den Kanzler anhören. Doch Merz,
       auf Betriebstemperatur, hat offenbar Vergnügen an den Zwischenrufen: „Ich
       halte das aus.“
       
       ## Die Wirklichkeit auf den Bahnsteigen
       
       Die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann hält es für „bodenlos“, dass
       Merz Grüne und AfD in einen Topf wirft. Merz habe als Oppositionspolitiker
       SPD und Grüne immer maßlos attackiert – und setze das als Kanzler mit den
       Grünen fort.
       
       Die Grünen setzen auf einen Doppelschritt. Einerseits beschwören sie die
       Einheit der Demokraten, ihnen fällt dabei die Rolle der loyalen Opposition
       zu. Andererseits greifen sie Schwarz-Rot frontal an. Merz, so Haßelmann,
       solle mal „mit der Bahn von Berlin nach Köln fahren“. Dann werde er
       begreifen, dass Schwarz-Rot viel mehr Geld in die Bahn stecken muss – und
       dass die defekte Infrastruktur das Vertrauen in die Demokratie zerstöre.
       
       Das wiederum geht SPD-Fraktionschef Matthias Miersch zu weit. Haßelmann
       mobilisiere damit populistisch das Bild der abgehobenen Politiker, der die
       Wirklichkeit auf den Bahnsteigen der Republik nicht kennen. Der Kanzler
       verstehe die Nöte des Landes auch ohne konkrete Erfahrung.
       
       Miersch, ein Redner der mittleren Tonlage, appellierte bei Bauen, Klima,
       Bahn, Digitalisierung, die geplanten Investitionen schnell und
       unbürokratisch umzusetzen. In der SPD hofft man, dass die Stimmung im Land
       (und die auch gegenüber der SPD) sich aufhellen wird, wenn sich vor Ort
       spürbar die segensreiche Wirkung des 500-Milliarden-Investitionsprogrammes
       zeigt.
       
       Jens Spahn, Chef der Unionsfraktion, blies in das gleiche Horn. „Jedes
       baureife Projekt bei Schiene und Straße“ müsse schnell finanziert werden.
       Miersch adressierte den Aufruf schneller zu werden vor allem an
       CDU-Minister. Spahn blieb allgemein. Aber nach dem Desaster der
       RichterInnen-Wahl scheinen die Fraktionschefs zeigen zu wollen, [3][dass
       sie auf einer Welle senden].
       
       Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linkspartei, polemisierte gegen
       Schwarz-Rot, anders als die Grünen ungebremst durch staatspolitische
       Zurückhaltung. „Herr Merz, ich bin ein ruhiger Mensch“, so Reichinnek
       selbstironisch und in gewohnt rasantem Redetempo. Schwarz-Rot baue den
       Sozialstaat ab, tue zu wenig für das Klima. Und trickse beim Haushalt.
       
       ## AfD für ein Ende der Brandmauer
       
       Anders als versprochen, so Reichinnek, würden Merz & Klingbeil das
       Sondervermögen nutzen, um Haushaltslöcher zu stopfen. So investiere die
       Regierung mehr als 18 Milliarden aus dem 500-Milliarden-Programm für die
       Bahn, um im Kernhaushalt „14 Milliarden für die Bahn zu streichen“.
       Schwarz-Rot „saniert mit dem Sondervermögen nicht das Land, sondern seinen
       Haushalt“. Das sehen die Grünen und die liberalen Ökonomen, die das
       Sondervermögen vorgeschlagen hatten, ähnlich.
       
       Für den Tiefpunkt sorgte die AfD. Tino Chrupalla, AfD-Fraktionschef, hatte
       die Debatte eröffnet, ein Recht, das der größten Opposition zusteht. Er
       kritisierte die „Schuldenorgie“ der Regierung, verwies auf 20 Milliarden
       Euro, die bei Bürgergeld für Migranten ausgegeben würden und bei der
       Sanierung von Schulen fehlen würden. Chrupallas Rede, für AfD-Verhältnisse
       moderat, endete mit einem vernuschelten Aufruf an die Union, sich
       Schwarz-Blau zu öffnen.
       
       Dass die Rechtsextremen auch anders können, zeigte Chrupallas Co-Chefin
       Alice Weidel. Folgt man ihr, dann hat der Untergang Deutschlands schon
       stattgefunden. Schwarz-Rot zerstöre zielgerichtet die Wirtschaft, betrüge
       die Steuerzahler und sei auf dem „Marsch in den Staatsbankrott“. In den
       Städten regiere „allgegenwärtige Gewalt“, migrantisch natürlich.
       „Verzweifelte Familien, gescheiterte Lebensträume“ – so Weidels
       apokalyptische Skizze.
       
       Die AfD-Chefin bekam von Klöckner einen Rüffel, weil sie die Linksfraktion
       in einem Atemzug mit Schlägerbanden nannte. Am Ende forderte auch Weidel,
       wie immer fast ohne Mimik, „die sehr geehrten Kollegen von der Union auf,
       sich von der Brandmauer zu befreien.“
       
       Die Sozialdemokratin Wiebke Esdar konterte knapp, Weidels Rede habe nur
       eines gezeigt. „Die AfD darf nie Regierungsverantwortung bekommen“. Das
       müsste eigentlich auch den Union-Abgeordneten einleuchten.
       
       24 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Friedrich-Merz/!t5546388
   DIR [2] /Koalitionsauschuss/!6111931
   DIR [3] /Wieder-Nullrunde-beim-Buergergeld/!6107604
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Bundesregierung
   DIR Kanzler Merz
   DIR Bundestag
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwarz-rote Koalition in Berlin 
   DIR GNS
   DIR Bundestag
   DIR Palästina
   DIR Wirtschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vor Generaldebatte im Bundestag: Bundeskanzler setzt auf Heimspiel
       
       Der UN-Vollversammlung bleibt Friedrich Merz fern, weil er im Bundestag
       reden will. Der Haushalt für 2026 könnte im Fokus stehen, womöglich auch
       die Außenpolitik.
       
   DIR Anerkennung Palästinas: Bundesregierung an der Seitenlinie
       
       Das Kalkül Israels ist klar: Es will mit seiner Siedlungspolitik dafür
       sorgen, dass es nichts mehr anzuerkennen gibt. Und Deutschland schaut zu.
       
   DIR Bundeshaushalt unter Merz: Planlos Richtung Zukunft
       
       Die Regierung verplempert Schulden, die weder nachhaltig noch sinnvoll
       investiert sind. Bald fehlen Milliarden, weil nicht an morgen gedacht wird.