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       # taz.de -- Fotografin Jitka Hanzlová: Das Fantastische ihrer Bilder verbirgt sie fast
       
       > Man muss ihre Bilder betrachten wie mittelalterliche Illuminationen: Die
       > erstaunliche Fotografie Jitka Hanzlovás ist in der Albertina Wien zu
       > sehen.
       
   IMG Bild: Jitka Hanzlová: Untitled, 1996, aus der Serie „Bewohner“ und „Joy Angela, Chinatown“, 1999, aus der Serie „Female“ (v.l.n.r.)
       
       Vor dreißig Jahren war Jitka Hanzlová Teil einer Kohorte von Fotografen,
       für die das Farblabor im Studium selbstverständlich geworden war. Rein
       äußerlich, durch das Hochformat und eine gewisse Blässlichkeit der Farben
       war sie damals Mainstream, und Leute auf der Straße in ein Porträt zu
       verwickeln, war geradezu in Mode. Die letzte lebendige Verbindung zum
       Printjournalismus waren die Strecken für das Magazin der Süddeutschen
       Zeitung, ansonsten waren alle unterwegs in Richtung Kunst und Lehre.
       
       Jetzt aber, wo die Albertina in Wien ihr eine Retrospektive ausrichtet,
       auch wenn sie nicht so heißt, steht Hanzlová als Künstlerin höchst eigen,
       wenn nicht allein in der fotografischen Landschaft. Ihre Beharrlichkeit ist
       betörend, ihr Erfindungsgeist enorm. Am schwierigsten zu verstehen ist ihre
       Arbeit über Rassepferde in Nordafrika, weil sie diese so wild anschaut, als
       wäre sie selber ein Pferd.
       
       Der Titel der Ausstellung in der „historischen Pfeilerhalle“, dem
       Premiumplatz [1][für Zeitgenossen in der Albertina], heißt „Identities“,
       der auf dem Cover des Katalogs allerdings nicht auftaucht. Vielleicht war
       sich der Kurator Walter Moser nicht ganz sicher, ob es zulässig ist, das
       Modewort einem solchem leisen und eleganten Werk überzustülpen. Zwar bringt
       Jitka Hanzlová (vor allem) Frauen und (einige) Männer dazu, in ihrem
       geschäftigen Leben eine Auszeit zu nehmen, die eine Art Spiegelfunktion
       hat. Insofern ist schon die Frage, wer diese Menschen sind, wo sie
       herkommen und was sie umtreibt, aber es kann kein Zufall sein, dass sie als
       Abgebildete namenlos bleiben. Hanzlová bestätigt nichts und bezweifelt
       nichts. Die Bilder sind transitorisch, aber nicht deshalb, weil Fotografien
       das „immer“ wären, sondern weil die Porträtierten durch Hanzlová quasi
       hindurchgehen. Man muss nur daneben halten, wie [2][Rineke Dijkstra] ihr
       Gegenüber ikonisch herausputzt, um zu erkennen, wie persönlich Hanzlovás
       Blick ist.
       
       Sie entkam mit 24 dem spätstalinistischen Regime in Prag, fand sich wieder
       als disprivilegierte Exilantin in Essen und entdeckte dort, relativ spät,
       die Fotografie. Einige Jahre später sah sie ihre Familie wieder und
       verzauberte deren Dorf in ein hinreißendes postsozialistisches Idyll, nicht
       ohne eine gewisse Rohheit. Später verwandelte sie den böhmischen Wald zu
       einem archaischen „Forest“, megagrün und gruselig schwarz. Diese Fotografin
       hat keine Angst vor Seele.
       
       ## Mit den Waldgeistern auf gutem Fuß
       
       Während sie mit Waldgeistern ganz offensichtlich auf gutem Fuß steht, hat
       sie einen großartigen Sinn dafür entwickelt, wie schwierig es ist, in der
       Zivilisation Wurzeln zu schlagen. Man könnte es zuspitzen und sagen, dass
       ihre große Erzählung der Fremdheit nicht eigentlich die Metropole meint,
       sondern den Westen, während ihr Naturbegriff dem Staunen eines Kindes
       entstammt. Oder eben dem Staunen einer Exilantin, die an den Ort der
       Kindheit zurückkehrt. Insofern ist ihr Naturbegriff schon wieder
       Geschichte.
       
       Eigentümlicherweise ist Jitka Hanzlová beim Hochformat geblieben, selbst
       wenn sie tief in blaue Wasser starrt oder Wolken katalogisiert. Für eine
       umfassende Retro stellt das im Lay-out ein gewisses Problem dar. Man muss
       ihre Fotografien betrachten wie mittelalterliche Illuminationen, dann
       bemerkt man auch die farbliche Feinschraffur ihrer Bilder: Symbole,
       Zeichen, Schriften; krumme Dinger im Himmel und Löcher in der Wirklichkeit.
       Ihre Fähigkeit, zu beobachten, grenzt ans Fantastische. Sie stellt das
       nicht aus, im Gegenteil, sie verbirgt es fast.
       
       Das Einzige, was vergessen wurde, sind Jitka Hanzlovás Bücher. Denn
       fotografische Bücher haben als Medium die Magazine abgelöst. Sie geben den
       Projekten ihre Namen: „Rokytník“, „Hier“, „Bewohner“, „Female“, „Forest“,
       „Horse“. Das hätte in der Ausstellung zwei schöne, lange Vitrinen ergeben.
       Und die Buchhandlungen der Museen, mit wenigen Ausnahmen, helfen auch nicht
       mehr weiter.
       
       1 Oct 2025
       
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