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       # taz.de -- Neues Album von Múm: Pflaster auf das Unheil kleben
       
       > Die isländische Softindieambientrockband Múm ist zurück. Was sagt ihr
       > neues Album „History of Silence“ zur Gegenwart?
       
   IMG Bild: Der Gegenwart trotzen Múm Zeit und Ruhe ab
       
       Man darf es auf keinen Fall ein Comeback nennen. Denn: „Wir haben uns ja
       nie aufgelöst. Weil wir genau das vermeiden wollten. Lass machen wie Sonic
       Youth und nie aufhören“, lacht Örvar Þóreyjarson Smárason, Mitgründer des
       isländischen Band-Kollektivs Múm. Wobei: Im Falle der US-Noiserockband
       [1][Sonic Youth] kam es zur Entfremdung. Anders bei Múm, sie blieben
       miteinander befreundet und gaben regelmäßig Konzerte. Nur nahmen sie eben
       kein neues Album mehr auf, seit zwölf Jahren. Der Zustand hat sich
       geändert, jetzt kommt „History of Silence“. Der Zeitpunkt habe sich einfach
       „richtig angefühlt“.
       
       Múm waren in den frühen nuller Jahren ein Indie-Pop-Phänomen. Mit ihrem
       Debütalbum „Yesterday Was Dramatic – Today Is OK“ im Jahr 2000 avancierten
       die vier Musiker:Innen zu Lieblingen der Kritik. Múm blieb ein ewiger
       Geheimtipp für softe, introspektive Popmusik. Das Quartett erschuf einen
       Sound, in dem sich die Gegenwart zu entfalten schien, ohne je konkret zu
       klingen. Und damit landeten sie im Niemandsland zwischen Artrock-Update,
       Electronica und Postrock.
       
       Zur selben Zeit veröffentlichten auch [2][Radiohead] ihr Album „Kid A“ und
       die isländischen Kollegen Sigur Rós ihr Debüt „Ágætis byrjun“. Múm, neben
       Smárason waren das Gunnar Örn Tynes und die Schwestern Kristín Anna und
       Gyða Valtýsdóttir, setzten sich in die Mitte.
       
       In ihrer erfolgreichsten Zeit wurden Múm vor allem als Teil der
       isländischen Indie-Szene wahrgenommen. [3][Das allein wirkte beinahe
       mystisch.] Die Musik schien bei vielen Hörer*innen Kamerafahrten über
       endlose, schneebedeckte Gebirgslandschaften und blubbernde Vulkane zu
       evozieren.
       
       Für das Zweitwerk „Finally We Are No One“ fanden sie sich an einem
       verlassenen Leuchtturm zusammen. „Das Märchenhafte war nie unsere
       Intention, aber es half dabei, dass unsere Musik gehört wurde. Also haben
       wir uns nicht dagegen gewehrt, auch wenn wir nicht glücklich damit waren.
       Andererseits lieben wir die Natur – das liegt in Island doch nahe.“
       
       ## Unbehagen statt Geborgenheit
       
       Dabei lebte der Kern von Múm eigentlich in Berlin, einzelne Mitglieder sind
       immer noch hier. Es ist eine Stadt, die Smárason als „zweite Heimat“ der
       Band bezeichnet. Die Erfahrung von Distanz, räumlich und persönlich, war
       deshalb ein zentrales Motiv in der Musik von Múm. Auch so begründet sich
       ihr Kollektivcharakter – Mitglieder wechselten stetig.
       
       Und vielleicht wohnte ihrer Musik auch deshalb Unbehagen inne und eben
       nicht das Gefühl von wohliger Geborgenheit. Und auch, wenn ihr Sound
       inzwischen ein bisschen oldschool klingt: Eigentlich hat sich die Zeit eher
       an Múm angepasst, als dass sie sich von ihnen entfernt hat: Videocalls,
       dezentrales Arbeiten und das Verschicken von Sounddateien sind heute
       Standard.
       
       Trotzdem fragt man sich, was eine Band, die ihren Klang in fast 30 Jahren
       zwar modifiziert – hin zu Songs, weg von elektroakustischen Tracks –, aber
       nie gewechselt hat, in dieser völlig veränderten Welt zu sagen hat. Die
       permanente Erschöpfung nennt Smárason als Grund, warum es so lange gedauert
       hat, bis nun ein neues Album erschienen ist. Aus der Musik spricht der
       graue Alltag im Spätkapitalismus.
       
       ## Pause vom Brotjob
       
       „Früher konnten Bands in Ruhe ihren Stil entwickeln. Heute haben wir alle
       viele verschiedene Jobs, arbeiten in vielen Projekten gleichzeitig, um über
       die Runden zu kommen. Es hat nicht nur mit Distanzen zu tun, sondern auch
       damit, wie fragmentarisch und prekär alles geworden ist.“ Die Musik sorgt
       allerdings bei ihm gerade für eine Pause vom Brotjob. „Die Musik trägt
       diese Lasten allein nicht“, sagt er nüchtern.
       
       „History of Silence“ entstand tatsächlich wieder an einem Rückzugsort. Die
       Gruppe fand sich auf einem Weingut in Süditalien zusammen, um dort
       gemeinsam zu arbeiten. „Es ist ein Wunder, dass es funktioniert hat.“ Die
       Basis sei Zeit und Ruhe, die man sich als Künstler zugestehen müsse und die
       es der Gegenwart abzutrotzen gilt. Eskapismus sei das aber nicht. „Man kann
       in Musik hineinsteigen, in einen anderen Raum, eine andere Atmosphäre, die
       aber ebenso real ist wie tägliche Routinen. Es ist einfach eine andere Art,
       das Leben zu fühlen. Es ist heute nur schwerer, da wieder reinzukommen.“
       
       Das trifft bedauerlicherweise auch auf diese leise, charismatische Musik
       zu. Sie biedert sich den Hörer*innen nie an, erzeugt bisweilen magische
       Momente, aber zu selten rockt sie wirklich. Vielleicht liegt es schlicht
       daran, dass Múm keine packenden Songwriter sind, ihre Stärke liegt im
       Anordnen von Texturen und Klängen. Dies gelingt so gut, dass die Musik von
       Múm immerhin Pflaster auf das Unheil der Gegenwart klebt. Die Magie heilt,
       wenn auch nur oberflächlich. Ein bisschen mehr Tiefe hätte schon sein
       dürfen.
       
       8 Oct 2025
       
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