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       # taz.de -- Ehemaliges RAF-Mitglied: Astrid Proll und die taz
       
       > Auf der Titelseite der allerersten Ausgabe ging es um Astrid Proll. Was
       > macht sie heute, und wie schaut sie auf die taz?
       
   IMG Bild: Titelseite der Nullnummer der taz vom 22. September 1978
       
       Als am 22. September 1978 die taz-Nullnummer erschien, war für die
       Redaktion kaum ein Thema wichtiger als sie: „Astrid Proll“, das ist schon
       die ganze Überschrift, gleich unter dem Titelkopf auf Seite eins. Mit dem
       Namen war genug gesagt, eine Unterzeile gab es nicht.
       
       47 Jahre später stellen sich für Nachgeborene aber Fragen: Wer war das
       nochmal, irgendwas mit RAF? Und was macht sie heute?
       
       Anruf bei Astrid Proll, die 78 Jahre alt ist und in Berlin lebt. „Ach, die
       taz“, sagt Proll, es klingt liebevoll. Sie habe die Zeitung täglich
       gelesen, aber irgendwann damit aufgehört. Warum? „Ich kannte die Autoren
       und wusste schon, was die schreiben.“ Proll findet es gut, „dass die Alten
       bei der taz jetzt langsam weg sind und die Jungen übernehmen“.
       
       Eine Woche vor Erscheinen der taz-Nullnummer war Proll in London
       festgenommen worden. Dort war sie untergetaucht und hatte in einer
       Autowerkstatt gearbeitet. Nun drohte die Auslieferung.
       
       ## Entlassen aus der Isolationshaft, dann untergetaucht
       
       Proll war Mitglied der ersten Generation der [1][RAF.] Mit 22 Jahren war
       sie zusammen mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin in den Untergrund
       gegangen, da wurde nach ihr noch gar nicht gefahndet. Bei der Geburtsstunde
       der RAF, der Baader-Befreiung, soll sie den Fluchtwagen gefahren haben. An
       den späteren Morden war sie nicht beteiligt. 1971 wurde Proll verhaftet und
       musste in Isolationshaft. Dort erging es ihr so schlecht, dass ihr Prozess
       abgebrochen und Proll aus der U-Haft entlassen wurde. Sie nutzte die
       Gelegenheit, um unterzutauchen – bis zu ihrer Festnahme.
       
       Kaum ein Thema hat die frisch gegründete taz seitdem so begleitet wie die
       RAF. [2][Erst im vergangenen Jahr erschien ein Brief vom untergetauchten
       Burkhard Garweg.]
       
       Am Telefon erzählt Proll, sie habe spät verstanden, wie sehr sich
       FDP-Innenminister Gerhart Baum für sie eingesetzt habe. Nach ihrer
       Auslieferung wurde der Vorwurf des versuchten Mordes fallen gelassen, Proll
       wurde wegen Raubüberfalls und Urkundenfälschung verurteilt. Wegen ihrer
       langen Untersuchungshaft musste sie nicht mehr ins Gefängnis.
       
       Im Untergrund seien die Medien „der Feind“ gewesen, aber nach ihrer Haft
       brauchte sie einen Job: Sie arbeitete als Fotoredakteurin für Tempo, auch
       mal freiberuflich für den Spiegel, obwohl Rudolf Augstein das nicht gern
       gesehen habe. Damit schließt sich ein Kreis: Denn von Proll stammen frühe
       ikonische RAF-Fotos, von Andreas Baader und Gudrun Ensslin nach dem
       Untertauchen in Paris, bevor das RAF-Bild von Fahndungsplakaten geprägt
       war.
       
       Wer hat sich seit der ersten Ausgabe nun mehr verändert, Astrid Proll oder
       die taz? „Ach, wir beide“, sagt Proll, und dann: „Ich auf jeden Fall. Mein
       Bestreben war, mich anzupassen. Ich habe lange genug als Außenseiterin
       gelebt.“
       
       ## Was Proll der taz wünscht
       
       Proll liest heute die Süddeutsche, im E-Paper. Weil sie manche der
       Autorinnen aus ihrer Zeit bei Tempo kennt. Und obwohl die SZ „wahnsinnig
       bürgerlich“ sei. Gilt das heute auch für sie? „Ach, dafür ist meine Rente
       zu klein“, sagt Proll, aber sie wolle nicht klagen, „ich habe immer für
       mich allein gesorgt.“ Gerade hat Proll ihre Autobiografie geschrieben, sie
       erscheint im kommenden Jahr.
       
       Auch heute geht der deutsche Staat mit voller Härte gegen Linke vor. Und
       nicht nur der: Weil deutsche Behörden [3][Antifaschist*in Maja T.
       rechtswidrig auslieferten, sitzt T. nun in Ungarn in Isolationshaft.] Proll
       weiß, was das bedeutet. „Ich verfolge das“, sagt sie. In der SZ gebe es
       dazu wenig. „Sollte ich wohl öfter die taz lesen“, sagt Proll.
       
       Der taz wünscht sie, dass sie „keine normale Zeitung“ bleibt, und weiter
       viele Unterstützer hat. „Hauptsache, eure Jobs sind sicher“, sagt Proll.
       „Ja, so red’ ich heute.“
       
       16 Oct 2025
       
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