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       # taz.de -- Gaza-Demo in Berlin: Der Nahost-Diskurs öffnet sich
       
       > Die Großdemo zeigt: Israel-Kritik wird zunehmend möglich. Die Proteste
       > sollten sich angesichts der deutschen Geschichte aber nicht
       > radikalisieren.
       
   IMG Bild: Zehntausende demonstrieren in Berlin für das Ende des Krieges in Gaza
       
       Nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, dem Terror-Überfall der Hamas auf
       israelische Zivilisten, steht, wer mit Palästina sympathisiert, in
       Deutschland unter Verdacht. Die großkalibrige Waffe in dieser diskursiven
       Schlacht heißt Antisemitismus.
       
       Spätestens seit 2019, dem [1][BDS]-Beschluss des Bundestages, herrscht ein
       Klima der Unterstellung, des Ungenauen, Undifferenzierten. Es regiert die
       Staatsräson, in der die erste Bürgerpflicht zu sein scheint, bloß nichts
       Falsches zu sagen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Benjamin
       Netanjahu glaubte, eine Ausstellung in Berlin, die ihm missfiel, zensieren
       zu können.
       
       Nun gibt es Anzeichen, dass dieses stickige Klima kippt. [2][Mehrere 10.000
       Menschen haben in Berlin friedlich und freundlich gegen die maßlosen
       Kriegsverbrechen in Gaza und] die deutsche Unterstützung demonstriert.
       Warum jetzt?
       
       Der wesentliche Grund liegt in Israel selbst. Die brutale, expansive
       Politik von Netanjahu und seiner rechtsradikalen Regierung lässt sich auch
       mit dem allergrößten Wohlwollen nicht mehr in Einklang mit Völkerrecht oder
       Menschenrechten bringen.
       
       ## Antisemitismus ist real, die Kriegsverbrechen auch
       
       Dass [3][Netanjahu vor den fast leeren Rängen der UN-Vollversammlung] einen
       palästinensischen Staat mit einem IS-Staat in den USA nach 9/11 verglich,
       zeigt, dass diese Regierung in einem paranoiden Paralleluniversum versunken
       ist, einem Spiegelkabinett eigener Hybris.
       
       Ein Nebeneffekt der nicht mehr zu leugnenden israelischen Verbrechen im
       Gazastreifen und im Westjordanland ist, dass den Anhängern der Staatsraison
       hierzulande die Argumente ausgehen. Im Wesentlichen halten nur noch CSU und
       AfD Netanjahu noch für einen Kämpfer gegen den Terror.
       
       In Deutschland existiert ein virulenter Antisemitismus. Dass es Straßen
       gibt, die man besser nicht mit Kippa oder Davidstern frequentiert, ist
       skandalös – gerade in Deutschland. Aber die NS-Zeit und die staatlich
       kanonisierte Geschichtspolitik dürfen nicht den Blick für die Verbrechen
       trüben, die das israelische Militär systematisch verübt.
       
       Die Erinnerung an das von Deutschen begangene Menschheitsverbrechen nimmt
       selbst Schaden, wenn es zu einem Schutzschild wird, um sich den Schrecken
       vom Leib zu halten, der jetzt in Gaza passiert.
       
       ## Die Bitterkeit der Gaza-Aktivisten
       
       In Deutschland öffnen sich nun diskursive Fenster, die lange verriegelt
       waren. Dazu gehört auch, dass Palästinenser, die in Deutschland leben,
       nicht mehr advokatorisch vertreten werden, sondern, wie auf der Demo in
       Berlin, selbst sprechen. Sie treten als ernstzunehmende politische Subjekte
       auf – und verstummen nicht mehr unter einem instrumentellen,
       generalisierten Antisemitismus-Verdacht.
       
       Und jetzt? Manche Protestbewegungen müssen überspitzen, radikale
       Forderungen stellen, um gehört zu werden. Das war in Phasen der
       Frauenbewegung, der Anti-Atom-Bewegung, der Friedensbewegung so. Bei der
       Pro-Palästina-Bewegung wäre Radikalisierung der falsche Schritt.
       
       Man kann verstehen, wenn AktivistInnen, die sich vor ein paar Monaten noch
       unter allgemeinem Nicken als Antisemiten verleumden lassen mussten und
       heute fast Vorboten eines neuen Mainstreams sind, eine gewisse Bitterkeit
       empfinden. Aber Bitterkeit, retrospektive Rechthaberei führen nie nach
       vorn. Radikalisierung wäre keine nötige Aufmerksamkeitsproduktion, sondern
       regressiver Rückweg in die Selbstisolation.
       
       Diese Bewegung wird nur erfolgreich sein, wenn sie eine Verbindung zur
       Mitte herstellen kann – zu Kirchen, Gewerkschaften, Mitte-Parteien. Und es
       gibt ja vernünftige, realpolitisch umsetzbare Forderungen, die die meisten
       Deutschen teilen: Stopp aller Waffenexporte nach Israel, Anerkennung
       Palästinas, und, vielleicht am wichtigsten, Aussetzung des
       EU-Assoziierungsabkommens mit Israel. Es ist eine Frage politischer
       Klugheit, ob die Akteure der Bewegung verstehen, dass ihr Adressat die noch
       immer zögerliche, ängstliche Mitte sein sollte.
       
       28 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
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