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       # taz.de -- Ungeklärter Doppelmord in Hessen: Nur ein Verdacht
       
       > In Dietzenbach wurden vor 25 Jahren Seydi und Aysel Özer erschossen. Die
       > Ermittler verdächtigten die Familie, ohne Beweise. Das erinnert an
       > NSU-Fälle.
       
   IMG Bild: 25 Jahre nach dem Mord: Kahraman Özer und seine Mutter im hessischen Dietzenbach
       
       Dietzenbach/Berlin taz | An der Wand von Kahraman Özers Wohnzimmer hängt
       ein Kinderfoto seiner kleinen Schwester. Schwarz-weiß, groß aufgezogen und
       gerahmt. Das Mädchen mit langen Haaren schaut ernst in die Kamera. „Das ist
       Aysel“, sagt Münevver Özer, ihre Mutter. Die 70-Jährige nimmt einen Schluck
       von ihrem Tee. Sie hat Tränen in den Augen. „Das war ihr Foto für den Pass,
       damit wir nach Deutschland kommen konnten.“ Sie hätten viel von Deutschland
       erwartet, hart gearbeitet. Doch, so sagt Özer, „etwas Schönes durften wir
       hier nicht erleben“. Münevver Özer sitzt auf dem Ecksofa ihres Sohnes in
       einem Hochhaus im hessischen Dietzenbach. Ohne ihre Tochter.
       
       Am vergangenen Mittwoch, einem regnerischen Tag, ist es genau 25 Jahre her,
       dass Aysel Özer ermordet wurde und mit ihr Münevver Özers Mann Seydi. Der
       Schmerz ist noch immer so groß wie damals. Die frühere Schneiderin zittert,
       schluckt manchmal und hält die Tränen zurück, wenn sie von den beiden
       spricht. Ihre Tochter sei „so schön, so lieb und so begabt“ gewesen, mit
       ihrem Mann habe sie „eine glückliche Ehe“ geführt. Auch vor 25 Jahren war
       es regnerisch, erinnert sich Özer. „Sie sind gegangen und nie
       wiedergekommen.“
       
       Neben der Mutter sitzt ihr Sohn Kahraman Özer. Auch er unruhig, manchmal
       wütend, oft aufgewühlt. „Mein Vater war ein sehr guter, ehrlicher Mensch,
       der hier in der Gegend hochgeachtet war“, erinnert sich der 49-jährige
       Gastronom mit Tränen in den Augen. „Er war seiner Familie sehr zugetan.“
       Seydi Özer war 1978 aus dem türkischen Adiyaman nach Deutschland gekommen.
       Sechs Jahre später folgte ihm seine Frau mit den fünf Kindern, Kahraman
       Özer ist das älteste. In Dietzenbach eröffnete Seydi Özer eine
       Änderungsschneiderei, wurde schnell erfolgreich. Der Sohn lächelt kurz, als
       er das erzählt. Am deutlichsten bleibt ihm in Erinnerung, wie elegant sein
       Vater stets gekleidet war.
       
       Nach der Schule begann seine Schwester, den Vater und die Mutter in der
       Schneiderei zu unterstützen, erzählt er. Denn die Eltern konnten nicht so
       gut Deutsch. Sie hielt den Laden am Laufen und wurde, wie ihre Eltern,
       „eine sehr gute Schneiderin“, sagt Mutter Münevver Özer. „Wir hatten ein
       sehr schönes Leben, waren eine beliebte Familie.“
       
       ## „Mir kam das alles wie eine Lüge vor“
       
       Und dann, vor 25 Jahren, war alles vorbei – als die Mutter und die Kinder
       von der Polizei erfuhren, dass Vater und Tochter ermordet wurden. „Mir kam
       das alles wie eine Lüge vor“, sagt Kahraman Özer, er war damals 24 Jahre
       alt. „Bis heute kann ich nicht glauben, dass sie tot sind.“
       
       Es waren zwei Schüsse, die Seydi Özer, damals 47 Jahre alt, aus nächster
       Nähe in den Kopf trafen. Und ein Schuss, der auch seine Tochter Aysel, 22
       Jahre alt, tödlich verletzte, am späten Abend des 8. Oktober 2000. Die
       beiden hatten zuvor ihren Onkel bei sich in Dietzenbach zu Besuch, fuhren
       ihn mit dem Auto nach Hause. Kahraman Özer erinnert sich, wie seine Mutter
       und die Geschwister irgendwann unruhig wurden, warum Seydi und Aysel nicht
       heimkehrten.
       
       Er sei dann mit dem Auto losgefahren, habe überall gesucht, doch die beiden
       nicht gefunden, erzählt Özer. Erst Stunden später erfuhr die Familie, dass
       eine Polizeistreife die Leichen bereits kurz vor 22 Uhr in ihrem Opel
       Vectra fand, an einer Bundesstraße neben einer Bushaltestelle, nahe der
       Nachbarstadt Neu-Isenburg. Der Blinker leuchtete noch nach rechts, die
       Beifahrertür war geöffnet, dahinter ein Waldstück.
       
       Am nächsten Morgen fand ein Autofahrer, der austreten wollte, in der Nähe
       des Tatorts in einem Gebüsch zufällig die Tatwaffe – eine seltene Pistole,
       Marke Colt Government, Kaliber.38. Kahraman Özer macht das noch heute
       fassungslos. „Sie haben damals nicht mal den Tatort richtig durchsucht.
       Selbst die Waffe hat später jemand anderes gefunden.“ Es bestärkt ihn in
       seiner Einschätzung, dass die Ermittler den Fall von Anfang an nicht ernst
       nahmen.
       
       ## Die Ermittler glauben der Familie nicht
       
       Für die Polizei aber muss schnell klar gewesen sein: Ein Raubmord war es
       nicht. Denn Seydi Özer hatte seine Wertsachen noch bei sich – eine Tasche
       mit mehreren Hundert D-Mark, sein Handy, Schmuck. Und so, wie das Auto
       aufgefunden wurde, mussten Seydi und Aysel Özer freiwillig angehalten
       haben. Der Verdacht der Ermittler richtete sich daraufhin noch in der
       Tatnacht gegen die Familie. Befragt wurden die Ehefrau Münevver Özer, Sohn
       Kahraman, der damalige Partner der getöteten Tochter Aysel, Onkel, Tanten,
       Freunde, Arbeitskollegen. Sie alle bestritten, etwas mit dem Mord zu tun zu
       haben.
       
       Die Ermittler aber glaubten ihnen nicht. Sie waren überzeugt, dass jemand
       aus der Familie oder deren Umfeld für den Doppelmord verantwortlich war.
       Einer der Hauptverdächtigen: Kahraman Özer. Die Polizisten warfen dem Sohn
       vor, für die Tatzeit kein überprüfbares Alibi zu haben. Bei seinen Angaben
       zur nächtlichen Autofahrt habe er sich in Widersprüche verstrickt über die
       Fahrstrecke und die Uhrzeiten.
       
       Und die Ermittler stellten mehrere Thesen auf – die letztlich alle auf
       einen „Ehrenmord“ hinausliefen. Eine lautete: Der Freund von Tochter Aysel
       Özer habe sie heiraten wollen – die Familie aber habe die Hochzeit
       untersagt. Vater Seydi Özer habe den Freund schließlich am Tattag wegen
       seines illegalen Aufenthalts in Deutschland anzeigen wollen. Weil dies
       seine Ehre verletzt habe, soll der damalige Freund den Mord verübt haben.
       Warum aber starb dann auch Aysel? Ein Versehen, ein unbeabsichtigter
       Schuss, mutmaßten die Polizisten.
       
       Eine andere These: Es soll einen Streit der Familie Özer mit einer anderen
       türkischen Familie gegeben haben, zuvor auch eine Schießerei, weshalb die
       andere Familie nun „Blutrache“ genommen habe. Oder: Vater Seydi Özer habe
       außereheliche Beziehungen gehabt, sogar eine mit seiner Tochter Aysel. Um
       diese Verletzung der Familienehre zu tilgen, habe die Familie beschlossen,
       den Vater und auch die Tochter zu töten. Kahraman Özer wird später lesen,
       was die Ermittler dazu damals notierten: „Aufgrund türkischer religiöser-
       und Moralvorstellungen sind solche sexuellen Verfehlungen nur dadurch zu
       heilen, daß sowohl der Mann als auch die beteiligte Frau getötet werden, um
       die Schande vollkommen auszulöschen.“
       
       ## Gerüchte passen zu den Thesen der Ermittler
       
       Es sind Gerüchte, welche die Ermittler in ihren Vernehmungen von
       Zeug*innen hören. Kahraman Özer weiß, dass andere Zeugen empört
       widersprechen. Dass sie betonen: Es sei für sie unerklärlich, warum Seydi
       und Aysel Özer getötet wurden. Beide seien gute Menschen gewesen, eine
       respektierte Familie, es habe zuvor keinen Streit gegeben. Aber für die
       Ermittler passen die Gerüchte, um den Verdacht auch gegen Kahraman Özer zu
       verstärken. Es wäre an ihm, als ältestem Sohn, die Familienehre
       wiederherzustellen, halten sie ihm vor.
       
       Er habe all dies zurückgewiesen, erzählt Kahraman Özer. „Aber sie haben
       mich immer wieder beschuldigt und unter Druck gesetzt. Mit so etwas
       verdächtigt zu werden, ist furchtbar.“ Während Özer noch mit seiner Trauer
       ringt, seien ihm „immer wieder widerliche Fragen“ gestellt worden. „Möge
       Allah so etwas niemanden erleben lassen.“ Sein Eindruck: „Für sie waren wir
       die ganze Zeit die ‚nicht integrierten Türken‘.“
       
       Seine Familie sei „geistig einfach strukturiert“, urteilten die Ermittler,
       wie Kahraman Özer später aus den Akten erfährt. Sie unterdrücke
       Informationen, mache „wissentlich unwahre Angaben“. Private Probleme würden
       „beschönigt“. Es werde „bewusst alles verschwiegen, was ein eventuelles
       Motiv der Tat, das in der Familie begründet sein dürfte, erkennen läßt“.
       Und: „Auf keinen Fall besteht ein Mitteilungsbedürfnis an die deutsche
       Polizei.“ Dafür folge die Familie „extrem stark den althergebrachten
       türkischen Ehrbegriffen“, hielten die Ermittler fest. „Die Gründe dafür
       scheinen für uns Europäer mehr als zweifelhaft zu sein.“
       
       Die Ermittler nahmen schließlich DNA-Proben von fast 50 Familienmitgliedern
       und Bekannten. Alle gaben diese freiwillig heraus. Das Ergebnis: Es gab
       keine Treffer mit Spuren vom Tatort und auch keine mit der Tatwaffe. Die
       Ermittler überwachten auch Kahraman Özers Telefon, ebenso das von
       Verwandten und den Anschluss der Schneiderei, die der Sohn vorerst
       weiterführte. Doch eine Beteiligung an dem Mord ließ sich auch so nicht in
       Erfahrung bringen. Die Ermittler vermuteten dann, dass die Familie über die
       Tat offenbar nicht am Telefon, sondern im heimischen Wohnzimmer spreche.
       Darauf sei auch dort eine Überwachung erfolgt. Wieder ergebnislos. Özer
       erfuhr auch davon erst im Nachgang von seiner Anwältin.
       
       ## „Ein Baum, dem nach und nach alle Blätter abgefallen sind“
       
       Und der Verdacht entzweit die Familie, schafft Misstrauen und gegenseitige
       Verdächtigungen. „Lange Zeit habe ich jeden in meiner Familie genauestens
       beobachtet – von ihren Worten bis zu ihren Gesichtsausdrücken“, erzählt
       Kahraman Özer. Eine Zeit lang hätten selbst die Geschwister nicht mehr
       miteinander gesprochen, Verwandte hätten sich gegenseitig beschuldigt.
       „Unsere Familie war wie ein Baum, dem nach und nach alle Blätter abgefallen
       sind.“
       
       Das, was Kahraman Özers Familie durchmachte, erlebten zeitgleich auch
       andere Familien: Einen Monat bevor Seydi und Aysel Özer ermordet werden, am
       9. September 2000, [1][wird in Nürnberg ein türkischer Blumenhändler
       erschossen], an einem Verkaufsstand an einer Ausfallstraße – der 38-jährige
       [2][Enver Şimşek]. Später folgen weitere Morde, an acht Migranten, fast
       alle mit türkischer Familiengeschichte.
       
       Auch in ihren Fällen verdächtigt die Polizei immer die Angehörigen. Ihnen
       wird vorgeworfen, in Drogenhandel, in die organisierte Kriminalität oder
       die [3][PKK] verwickelt zu sein. Nichts davon lässt sich nachweisen. Auch
       in diesen Fällen blieben die Mörder über Jahre unerkannt. Bis sich im
       November 2011 in Sachsen der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)
       enttarnt – und zu den Morden bekennt. Die Täter waren also Rechtsextreme.
       Aber in diese Richtung hatte die Polizei nie ernsthaft ermittelt.
       
       Und sie tat es offenbar auch nicht nach dem Mord an Seydi und Aysel Özer.
       Er habe davon jedenfalls nie etwas mitbekommen, erzählt Sohn Kahraman Özer.
       „Eigentlich hätten wir vom Staat Antworten verlangen müssen, wenn man
       sieht, wie ermittelt wurde. Stattdessen wurden wir beschuldigt.“ Und weil
       die Polizei immer davon ausging, dass der Täter aus dem Umfeld der Familie
       stammte, habe er auch selbst lange nicht daran gedacht, dass das Motiv auch
       rechtsextrem sein könnte. Erst später beschäftige sich die Familie mit
       diesem Gedanken. „Ich möchte wissen, was passiert ist, warum es passiert
       ist, warum sie ermordet wurden“, sagt Münevver Özer, die Witwe.
       
       ## Gericht untersagt Überwachung der Familienwohnung
       
       Tatsächlich hatte Dietzenbach um die Jahrtausendwende eine rechtsextreme
       Szene. Im Stadtparlament saßen damals die rechtsextremen Republikaner, die
       Stimmung gegen Geflüchtete machten. 2003 brachten Durchsuchungen bei
       Neonazis im benachbarten [4][Frankfurt am Main] Waffen zutage, die Neonazis
       hatten Angriffe gegen Antifas geplant. Sechs Jahre vor dem Tod von Seydi
       und Aysel Özer erschoss ein Neonazi den 50-jährigen Ali Bayram in Darmstadt
       in seiner Wohnung.
       
       Und Kahraman Özer berichtet, wie schon wenige Monate nach dem Doppelmord
       das Frankfurter Landgericht den Ermittlern eine weitere Überwachung der
       Familienwohnung untersagt hatte – mit der Begründung, dass es nur unbelegte
       Vermutungen seien, wonach die Täter aus der Familie kämen. Vielmehr
       deuteten die Ermittlungsergebnisse darauf hin, dass die Mörder außerhalb
       der Familie zu suchen seien. Auch das erfuhr Sohn Kahraman Özer erst Jahre
       später. Ob dann tatsächlich auch außerhalb der Familie ermittelt wurde,
       weiß er nicht.
       
       „Jahrelang geschah nichts“, so war Özers Eindruck. „Die Polizei kam nur
       gelegentlich vorbei, um mich zu vernehmen.“ Dafür habe die Polizei nur
       wenige Monate nach dem Doppelmord die Schneiderei in anderer Sache
       durchsucht: nach einem anonymen Hinweis, dass dort Menschen illegal
       beschäftigt würden.
       
       Es war schließlich das Auffliegen der NSU-Mordserie, das die
       Bundesanwaltschaft Ende 2011 veranlasste, ungeklärte Mordfälle noch einmal
       überprüfen zu lassen. In rund 3.300 Fällen ermittelten daraufhin lokale
       Staatsanwaltschaften, ob diese Teil der Terrorserie sein könnten. Nach
       taz-Informationen wurde der Doppelmord an Seydi und Aysel Özer jedoch erst
       im Frühjahr 2014 an das BKA gemeldet und geprüft. Das Ergebnis: Hinweise
       auf einen Bezug zur NSU-Serie gebe es nicht.
       
       Mitgeteilt wurde die Prüfung der Familie nicht. Sie erfuhr davon erst, als
       ihre Anwältin 2023 bei der Bundesanwaltschaft zu einer Aussage der
       NSU-Terroristin [5][Beate Zschäpe] nachfragte. Die inzwischen zu
       lebenslanger Haft Verurteilte hatte damals vor einem bayerischen
       Untersuchungsausschuss erklärt, dass sie weitere Mordopfer ihrer Gruppe
       nicht ausschließen könne. Denn die Taten hätten ihre Mituntergetauchten Uwe
       Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen, es könne sein, dass es weitere Morde
       gebe, von denen sie nichts wisse.
       
       Aber auch die für die Ermittlungen zuständige Staatsanwaltschaft Offenbach
       verneint auf taz-Anfrage: „Anhaltspunkte für ein rechtsextremes Motiv haben
       sich bislang nicht ergeben.“ Gleichwohl werde „weiterhin in alle Richtungen
       ermittelt“. Und die Behörde versichert, dass „der Akteninhalt weiterhin auf
       etwaige weitere Ermittlungsansätze überprüft“ werde. Inzwischen richte sich
       der Verdacht „gegen unbekannt“, so ein Sprecher. Die Ermittlungen gegen
       ehemals Beschuldigte seien im Jahr 2005 mangels Tatverdacht eingestellt
       worden.
       
       Kahraman und Münevver Özer aber berichten, wie von außen immer noch ein
       Verdacht auf der Familie laste, weil bis heute kein Täter ermittelt wurde.
       Der Sohn erzählt, wie er nach der Tat eine Depression entwickelte,
       jahrelang psychische Probleme hatte, immer wieder bei der Arbeit
       zusammenbrach. „Während andere junge Menschen an ihre Zukunft denken
       konnten, musste ich Tag und Nacht darüber grübeln, was uns noch passieren
       könnte.“ Denn der Mörder laufe ja noch frei herum. Noch heute lebt er in
       Angst, vor allem um seine Kinder, wenn diese allein seien, sagt Özer. „In
       mir ist immer noch eine Leere.“
       
       Auch Mutter und Ehefrau Münevver Özer berichtet, wie die Ungewissheit sie
       über die Jahre krank gemacht habe: mehrere Herzinfarkte, psychische
       Probleme, anhaltende Beschwerden. Ihr Körper halte es nicht aus. „Ich stehe
       jeden Morgen auf und weine heimlich, damit ich meine anderen Kinder nicht
       traurig mache.“
       
       ## Spuren an der Tatwaffe
       
       Die Familie drängt weiter auf Aufklärung. Über ihre Anwältin baten sie
       letztens die Ermittler, den Mordfall in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY
       … Ungelöst“ auszustrahlen. Die Staatsanwaltschaft aber soll das mit der
       Begründung abgelehnt haben, es seien keine neuen Ermittlungsansätze zu
       erwarten.
       
       Zudem drängte die Familie die Ermittler, neuere Untersuchungstechnik zu
       nutzen, um vielleicht doch noch DNA-Spuren an der Tatwaffe zu
       identifizieren. Zu vier unbekannten Personen konnten dort Spuren
       festgestellt werden. Gegenüber der taz aber räumt die Staatsanwaltschaft
       Offenbach ein, dass neue Untersuchungen nicht mehr möglich sind – weil die
       Tatwaffe nicht mehr existiert. Wegen eines „versehentlichen Schreibfehlers“
       habe die Asservatenstelle bereits im April 2012 die Tatwaffe vernichten
       lassen, erklärt ihr Sprecher. Er betont aber, dass die ursprünglich
       gesicherten DNA-Spuren weiterhin für Ermittlungen zur Verfügung stünden.
       Für Kahraman Özer bleibt auch dieser Vorfall – in einem laufenden, offenen
       Mordverfahren – unbegreiflich.
       
       Özer will die Hoffnung dennoch nicht aufgeben. „Ich setze alles daran,
       diesen Fall aufzuklären“, sagt er in seinem Wohnzimmer in Dietzenbach.
       Seine Hoffnung sei, dass er dann vielleicht wieder „der alte Kahraman“ sein
       werde wie vor dem Mord. „Ich werde mich fühlen, als wäre ich neu geboren.“
       
       In letzter Zeit bemühte sich Kahraman Özer, zumindest die persönlichen
       Gegenstände seines Vaters und seiner Schwester von der Polizei
       zurückzubekommen – nach 25 Jahren. Die Armbanduhr seines Vaters, dessen
       Handy, einen Goldring, eine Gebetskette, das Geld. Immer und immer wieder
       habe seine Anwältin bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt, wann endlich die
       Habseligkeiten herausgegeben werden könnten. Mal habe die Antwort gelautet,
       man müsse prüfen, ob diese noch für die Ermittlungen gebraucht würden,
       erzählt Özer, später dann, dass man die Gegenstände suchen müsse. Am Ende
       habe es geheißen: Der Verbleib aller Gegenstände sei „nicht mehr
       nachvollziehbar“. Auch sie sind also verschwunden.
       
       Keinen Vater und Ehemann mehr, eine getötete Schwester und Tochter, kein
       Täter, keine Erinnerungsstücke. Am Ende haben Münevver und Kahraman Özer
       nichts. Nur weiter die Last des Verdachts, der über ihrer Familie liegt.
       
       12 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /25-Jahre-spaeter/!6113181
   DIR [2] /25-Jahre-spaeter/!6113181
   DIR [3] /Endgueltiges-Ende-der-PKK/!6096244
   DIR [4] /Frankfurt/Main/!t5444222
   DIR [5] /Zschaepe-im-Aussteigerprogramm/!6104779
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yağmur Ekim Çay
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Polizei Hessen
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Opfer rechter Gewalt
   DIR Rechtsterrorismus
   DIR wochentaz
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Rechte Gewalt
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
       
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