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       # taz.de -- Buch über Politik in den Philippinen: Politdynastien und Seeleute
       
       > Mehr als 30 Autor*innen aus Europa und den Philippinen ergründen die
       > politische und soziale Komplexität des südostasiatischen Landes.
       
   IMG Bild: Die Keimzelle des Marcos-Clans 1965: Ferdinand und Imelda, mit Ferdinand „Bongbong“ jr., Irene und Imelda „Imee“ jr
       
       Der 9. Mai 2022 steht auf den Philippinen für eine politische Rolle
       rückwärts. An dem Tag wählte die Bevölkerung in einer zwar von einseitigem
       Zugang zu Medien, Geld und Beziehungen dominierten aber sonst recht freien
       demokratischen Wahl Ferdinand „Bongbong“ Marcos Junior zum
       Staatspräsidenten. 36 Jahre nachdem sein Vater Ferdinand Marcos senior samt
       Familie durch einen friedlichen Volksaufstand gestürzt wurde und ins Exil
       floh.
       
       Vater Marcos hatte den südostasiatischen Inselstaat seit 1965 regiert, von
       1972 bis 1981 per Kriegsrecht, auch danach bis zu seinem Sturz im Februar
       1986 als Diktator. Er ließ Gegner einsperren, foltern und töten und
       plünderte das Land mittels Korruption. Eine später eingesetzte Kommission
       schätzte das illegal erworbene Vermögen der Marcos-Familie auf 5 bis 10
       Milliarden US-Dollar.
       
       Marcos Senior starb 1989 in Hawaii, danach kehrte seine Familie auf den
       Philippinen zurück und ließ sich – juristisch weitgehend unbehelligt –
       wieder in politische Ämter wählen. „Bongbong“ war schon mit 26 Jahren unter
       seinem Vater Gouverneur der familiären Heimatprovinz gewesen. Ab 2002 wurde
       er dort abwechselnd zum Kongressabgeordneten und Gouverneur gewählt. 2010
       gelang ihm mit der Wahl zum Senator der Sprung in die nationale Politik.
       
       Wie dieses Comeback möglich war in einem Land, das für seine lebendige
       Zivilgesellschaft bekannt ist, zeigt das politische Lesebuch „Von Marcos zu
       Marcos. Die Philippinen seit 1965“. Am Anfang und Ende versuchen zwei der
       80 kurzen Texte diese Frage zu beantworten. So viel sei verraten: Eine
       monokausale Antwort gibt es nicht. Und natürlich könnte man die [1][Macht
       philippinischer Politclans] auch unter Titeln wie „Von Aquino zu Aquino“
       oder „Von Duterte zu Duterte“ fassen. Denn Sara Duterte, „Bongbongs“
       Stellvertreterin und Tochter von dessen Amtsvorgänger Rodrigo Duterte, gilt
       schon als Favoritin für die nächste Präsidentschaftswahl. Daran ändert auch
       nichts, dass ihr Vater in Den Haag auf seinen Prozess wegen Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit wartet.
       
       Rainer Werning und Jörg Schwieger, die sich seit der Marcos-Diktatur
       intensiv mit den Philippinen beschäftigen, haben mehr als 30 Autor*innen
       aus Europa und den Philippinen zu politischen und sozialen Entwicklungen
       schreiben lassen. Kurze analytische und deskriptive Texte wechseln sich mit
       interessanten Interviews ab. Aus herrschaftskritischer Sicht wird so in die
       Komplexität des Landes eingeführt.
       
       ## Fundiertes, gut lesbares Sachbuch
       
       Die Philippinen sind dieses Jahr [2][Ehrengast der Frankfurter Buchmesse].
       Das fundierte und gut lesbare Sachbuch dürfte dabei helfen, die erstmals
       einem deutschen Publikum in großem Stil vorgestellte philippinische
       Literatur in ihren politisch-gesellschaftlichen Kontext einzuordnen.
       
       Zwar regiert Ferdinand Marcos junior sanfter und geräuschloser als sein
       Vater und vor allem als sein Vorgänger [3][Duterte]. Dessen „Krieg gegen
       die Drogen“ fielen bis zu 30.000 Menschen zum Opfer. Unter Marcos jr. gibt
       es keine Abkehr von diesem Kurs, nur eine Reduzierung der Intensität. Auch
       sonst steht es schlecht um die Menschenrechte: „Zwar ist die Anzahl
       politischer Morde an Menschenrechtsverteidiger:innen etwas
       zurückgegangen, doch die politische Verfolgung von Aktivist:innen durch
       Einschüchterungen, Verleumdungen, Belästigungen und Drohungen hat sich
       weiter intensiviert,“ schreiben Astrud Beringer und Hannah Wolf vom
       Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen in dem Buch. Menschen und
       Organisationen würden durch ein neues Gesetz zur Verhinderung und
       Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung kriminalisiert.
       
       Das Buch zeigt auch Verbindungen der Philippinen nach Deutschland, von
       denen Grundlagen in der Marcos-Diktatur gelegt worden. Damals begann der
       systematische Export von Arbeitskräften, etwa Krankenschwestern,
       Pflegepersonal, Seeleuten. Die rund 385.000 im Ausland tätigen
       philippinischen Seeleute machen heute knapp ein Viertel aller weltweit
       beschäftigten Besatzungsmitglieder auf Schiffen aus.
       
       Die aus der Solidaritätsbewegung stammenden Herausgeber widmen auch der
       philippinischen Linken ein eigenes Kapitel. Schließlich sind die
       Philippinen das einzige Land in Südostasien, in dem noch immer ein
       bewaffneter kommunistischer Aufstand stattfindet. Der hatte einen großen
       Schub mit Vater Marcos’ Verhängung des Kriegsrechts 1972 bekommen, das
       Tausende Studierende in den Untergrund trieb. Auch dieses Kapitel bleibt
       knapp, nennt aber wichtige Eckpunkte wie auch die mit Mord und Folter
       einhergehenden „Säuberungen“ in den eigenen Reihen.
       
       Interessant ist im Zusammenhang mit der maoistischen Linken auch die
       Analyse, ob die Philippinen noch „halbfeudal“ oder schon „rückständig
       kapitalistisch“ sind. Der Soziologe Herbert Docena (Universität der
       Philippinen) zeigt auf, was in den 36 Jahren zwischen den Präsidentschaften
       von Vater und Sohn Marcos passierte. So dominiert heute der
       Dienstleistungssektor und nicht mehr die Landwirtschaft. Im Unterschied zum
       Marcos-Clan, der mithilfe von Bots und Influencern die Diktatur des Vaters
       erfolgreich als goldene Zeit verklären konnte, hat die revolutionäre wie
       reformistische Linke noch kein Rezept im Umgang mit diesen Entwicklungen
       gefunden.
       
       14 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
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