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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bitterschwarzes Labsal mit Kapuze
       
       > Alles und noch viel mehr über den lecker, lecker Cappuccino im
       > aufgeschäumten Spiegel der Jahrhunderte.
       
       Wer eine Reise tut, informiert sich vorher. Was einst der Reiseführer war,
       ist heute das Internet. Dort erklären uns die Ober-Checker, wie wir uns im
       Urlaubsland zu verhalten haben. Beispiel Italien. Das Allerschlimmste, was
       man im Land von Pizza, Pasta und Amore machen kann, scheint, da sind sich
       die Kenner einig, einen Cappuccino nach elf Uhr morgens zu ordern.
       
       Für Italiener ist Cappuccino halt ein Frühstücksgetränk. Mehr als ein
       Cornetto, also ein Hörnchen, gern süß gefüllt, gibt es dazu nicht. Nur
       heißt es ja noch lange nicht, dass es nicht okay sein könnte, auch nach elf
       zu frühstücken. Klar, so crazy wie in Berlin, wo man überall rund um die
       Uhr Croissants und Birchermüsli bekommt, ist es in Italien nicht, doch die
       Italiener sind da lockerer als manch Reisender.
       
       Sie mögen sich ihren Teil denken, einen vielleicht für einen Banausen
       halten, wenn wer zur Pizza Frutta ein beschäumtes Kaffeegetränk bestellt,
       doch verweigern werden sie es ihr oder ihm eher nicht. Es sei denn, die
       Milch ist alle. Italiener sind nämlich sehr zuvorkommend ihren Gästen
       gegenüber.
       
       Und falls wer Angst hat, für einen Touristen gehalten zu werden, wenn sie
       oder er nach elf Uhr morgens einen Cappuccino bestellt: Solange man das auf
       Englisch oder mit Duolingo-Kenntnissen (Perlen-Liga) – per favore, signora
       – tut und hinterher noch mit dem Handy die Tasse abfilmt, weil das Muster
       auf dem Schaum so schön ist, wird eventuell dem einen oder anderen
       Italiener klar werden, dass da kein Einheimischer sitzt, unabhängig von dem
       Deuter-Rucksack, dessen Riemen zuvor umständlich an den Stuhl geknotet
       wurden, damit ihn keiner dieser diebischen Italiener stibitzt, weil er so
       scharf ist auf den darin verstauten „Lonely Planet Italy“, die
       Reiseflaschen mit Sagrotan, Autan und Sonnencreme sowie natürlich die
       Notration Schwarzbrot mit Leberwurst.
       
       ## Das ist bloß ein Cappuccino
       
       Und ganz abgesehen davon: Das ist bloß ein Cappuccino. Ein blöder
       Milchkaffee, kein Heiligtum, kein Traditionsgetränk, das bereits Julius
       Caesar beim Überschreiten des Rubikons in einer To-go-Amphore, einer
       Amphora asportanda, mit sich führte. Aufgeschäumte Milch gibt es allein aus
       technischen Gründen seit nicht einmal einhundert Jahren. Espressomaschinen
       mit Milchdüse kamen schlichtweg erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf den
       Markt. Ein Irrtum wäre anzunehmen, die italienische Mamma könnte einstmals
       extra früh aufgestanden sein, um stundenlang mit ihren kräftigen Oberarmen
       die Milch aufzuschlagen, damit die Bambini es schön schaumig in der Tasse
       haben.
       
       Der Cappuccino, für viele Inbegriff italienischer Baristakunst, kann also
       gar keine lange Tradition haben. Wer schon in den Achtzigerjahren Kaffee
       trinken durfte, wird sich womöglich an sein erstes Heißgetränk dieser Art
       erinnern und an die Schlagsahne, die langsam vom bitterschwarzen,
       papiergefilterten Gebräu darunter aufgelöst wurde.
       
       Und es kommt noch ärger. Der Cappuccino ist überhaupt nicht in Italien
       erfunden worden. Und auch nicht von italienischen Emigranten in den USA,
       wie so manch anderer kulinarischer Italoklassiker wie Pizza Salami oder
       etwa Spaghetti Carbonara, die mehr einem amerikanischen Frühstück gleichen,
       Ham and Eggs, als einer neapolitanischen Nationalspeise.
       
       Bis in die achtziger Jahre wusste in den USA niemand, was ein Cappuccino
       ist. Es gab ja auch keine mitteilungsbedürftigen Youtuber und Reiseblogger.
       Damals hätte man Cappuccino wahrscheinlich für eine Foltermethode der
       Freunde der italienischen Oper, also der Mafia, gehalten, deren Opfer ihr
       Ende dann mit einer über den geschundenen Kopf gezogenen Kapuze im
       Michigansee fanden.
       
       Denn ja, „Cappuccino“ bedeutet „Kapuze“. Einer Legende nach soll das
       Heißgetränk nach einem Kapuzenmönch benannt worden sein, der schon im 17.
       Jahrhundert danach verlangt haben soll. Milchschaum wird da wohl kaum eine
       Rolle gespielt haben. Kapuziner waren zwar harte Jungs, Entbehrung gewohnte
       Bettelmönche, aber auch von denen wird keiner Milch schaumig geschlagen
       haben. Die tranken vermutlich nicht mal Kaffee. Sowieso, die Idee, Milch in
       denselben zu kippen, wäre Italienern von allein vermutlich nie gekommen.
       
       Da mussten schon die Ösis anlangen. Und wer bereits die Freude hatte, in
       einem Wiener Kaffeehaus Platz zu nehmen, weiß es eh längst: Der Kapuziner
       entstammt der Wiener Kaffeehauskultur und ist irgendwann über die Alpen
       geschwappt, ganz unaufgeschäumt. Damals waren nationale Grenzlinien noch so
       porös wie eine gute Schaumkrone und Teile Norditaliens in habsburgischer
       Hand.
       
       Triest, bis dato eine der italienischen Kaffeemetropolen schlechthin, war
       bis 1919 Österreichs einzige Hafenstadt. Vermutlich trank man hier den
       ersten Kapuziner auf italienischem Boden. Außerdem serviert man dort
       Cappuccino bis heute aus einem kleinen Glas mit einer geringen Schaumkrone.
       Im restlichen Italien würde man dies als „Espresso macchiato“ bezeichnen,
       Espresso mit einem Klecks Milchschaum. Und den darf man auch nach elf Uhr
       morgens bestellen, ohne für einen Banausen gehalten zu werden.
       
       ## Eigentlich eine österreichische Spezialität
       
       Fassen wir also zusammen, liebe Italo-Traditionalisten aus aller Welt: der
       Cappuccino, dieses herrlich italienische Heißgetränk mit der
       sanftschaumigen Milchkrone ist eigentlich eine österreichische Spezialität.
       Wie aber, so fragt man sich jetzt, haben die Habsburger es hingekriegt, den
       Schaum ohne Druck auf den Kessel in die Milch zu kriegen?
       
       Ganz einfach: Sie haben Schlagobers benutzt. Bis heute bekommt man in Wien
       seinen Kapuziner als kleinen Mokka mit wenigen Tropfen geschlagener Sahne.
       Das ist im Grunde so, wie Cappuccino bis in die neunziger Jahre in
       deutschen Cafés und an sonntäglichen Kaffeetafeln gereicht wurde – mit
       einem ordentlichen Schlag Sahne, wenn auch auf den Filterkaffee. In
       Mecklenburg-Vorpommern wird das heute noch so praktiziert.
       
       Wer also wirklich erleben will, wie ein italienischer Kellner die Fassung
       verliert und erst mal seinen Chef holen muss, bevor er in heiße Tränen
       ausbricht – Mamma mia! –, sollte einen „Cappuccino alla vecchia maniera“,
       also so wie früher bestellen, schön fett mit Schlagsahne. Da ist es dann
       sicher egal, ob es schon nach elf ist und ob man dazu nur ein Cornetto
       haben will. Oder gleich ein Schinkenpanino. Am besten mit Vollkornbrot.
       
       11 Oct 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thilo Bock
       
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