# taz.de -- Mobililtät von Morgen: Und wie viele Beine hast du?
> Im Jahr 2125 kann der Rollstuhl in der Ecke stehen bleiben. Denn dann
> leben wir barrierefrei in einer krabbelnden Gesellschaft.
IMG Bild: …„Wie hoch die Stufen waren, wie unpraktisch die Haltestellen – dabei hatte ich ja noch einen gesunden Fuß“
Wer gesund ist, hat 100 Probleme, wer krank ist, nur noch eins? Von wegen!
Gefühlt sind es eher 1.000, als ich pitschnass mit einem bandagierten Fuß
vor meiner Haustür stehe und den Schlüssel aus der Hosentasche fummle,
während eine Krücke zu Boden scheppert.
In dem Moment rettet mich Felix. Mein Freund aus der Zukunft hilft mir ins
Haus, kocht mir einen Tee und erträgt mein Selbstmitleid und die Flüche
über mein instabiles Sprunggelenk. Zornig erzähle ich, wie kompliziert die
Fahrt mit dem Bus vom Arzt nach Hause war. Wie hoch die Stufen waren, wie
unpraktisch die Haltestellen – dabei hatte ich ja noch einen gesunden Fuß.
„Dir fällt halt erst auf, wie sehr die öffentliche Infrastruktur [1][auf
funktionierende Körper ausgelegt] ist, bis du selbst mal aus dem Raster
fällst“, sagt Felix, als er mir den Tee bringt.
„Stimmt. Aber ich habe ja Hoffnung in die Zukunft. Im Jahr 2125 habt ihr
bestimmt die perfekte barrierefreie Gesellschaft, alles ebenerdig, alles
mit dem Rollstuhl erreichbar und so weiter.“
„Nein, ganz anders. Ihr seid noch eine rollende Gesellschaft. Wir sind eine
krabbelnde.“
„Bitte was?“
„Eure Mobilitätsinfrastruktur ist auf Fortbewegungsmittel mit Rädern
ausgelegt, weshalb ihr wahnsinnig viel Geld in Straßen investiert. Aber das
ist ein ziemlich antikes, mechanistisches Weltbild. Schon heute werden
Wearables entwickelt, die die normale menschliche Fortbewegung
unterstützen: also [2][batteriebetriebene Exoskelette], mit denen man
schneller laufen kann. Aber damit nicht genug. Warum soll ich für meine
zwei defizitären Beine eigentlich nur zwei bessere mechanische Beine
benutzen?“
„Weil Menschen so gebaut sind?!“
„Ja schon, aber zwei Beine sind für Gleichgewicht und Standsicherheit
suboptimal. Ein Vierbeiner kann sich wesentlich stabiler fortbewegen, und
als Sechsbeiner bist du nicht nur schnell, geländegängig und kannst Stufen
überspringen, sondern auch noch Gepäck auf deinem ausladenden Metallsteiß
transportieren.“
„Wie soll das funktionieren?“
## Ganz einfach Beine anclippen
„Ganz einfach. Bald gibt es für zusätzliche Beinpaare einen DIN-genormten
Unterbau, den man wie einen Gürtel tragen kann. Daran lassen sich beliebig
viele Beinpaare anclippen, die man relativ günstig kaufen oder an
öffentlichen Mobilitätshubs ausleihen kann.“
„Klingt wie ein Trend aus den 90ern … wie diese Känguru-Schuhe.“
„Nein, hüpfen ist Gift für die Knie. Krabbeln hingegen hält die Gelenke fit
und geschmeidig. Und die gesamtgesellschaftlichen Effekte sind enorm: Weil
viel weniger Fahrzeuge unterwegs sind, [3][sinkt die Feinstaub- und
Mikroplastikbelastung in den Städten]; auch die Straßenbeläge müssen
seltener saniert werden, das spart Geld! Alle paar Monate kommen neue
Fußmodelle heraus. Zum Beispiel Geckogrip für glatte Oberflächen,
Flüstersohlen zum Schleichen und der aktuelle Favorit meiner Kinder:
Samtige Katzenpfoten!“
„Warum Katzenpfoten?“
„Hallo? Alle lieben Katzenpfoten! Die Mobilität hat sich verändert: Überall
clippen Leute ihre Beinpaare zusammen und krabbeln gemeinsam leichtfüßig
und sicher voran. Und im Biergarten findet sich immer ein Platz, weil jetzt
auch Häuserwände erklettert und als Freischankflächen ausgebaut werden
können.“
„Wenn ich das so höre, kribbelt es mich überall am Körper.“
„Nein, daran liegt es nicht“, sagt Felix und deutet auf meinen Fuß. „An
deiner Bandage läuft eine Spinne – ach, jetzt hat sie sich schon wieder
verkrochen.“
15 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Theresa Hannig
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