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       # taz.de -- Werner Herzog auf Instagram: Das Recht, offline zu sein
       
       > Die Welt funktioniert kaum noch ohne digitale Hürden. Selbst Werner
       > Herzog musste sich dem App-Zwang beugen. Es braucht ein Recht auf
       > analoges Dasein.
       
   IMG Bild: Weg mit den Mobiltelefonen!
       
       Eingebettet in die Maslow’sche Bedürfnispyramide, liegt das Internet neben
       Wasser, Nahrung und Schlaf bei den Grundbedürfnissen. Ein Report meiner
       Bildschirmzeit zeigte kürzlich einen Tagesdurchschnitt von zehn Stunden und
       58 Minuten an: Ich bin immer erreichbar, immer online.
       
       Werner Herzog erschien mir immer als ein Verweigerer der Erreichbarkeit.
       Einen „noted luddite“, einen bekannten Maschinenstürmer, [1][nennt ihn die
       Tech-Website], wo ich zuerst davon hörte, dass sogar dieser Werner Herzog
       jetzt ein Mobiltelefon hat. Dazu kam es, weil er während Dreharbeiten in
       Dublin nur mittels einer App sein Auto aus einem Parkhaus hatte auslösen
       können. Sein neues Gerät sei aber immer ausgeschaltet, er habe es nur für
       Notfälle wie den des gefangenen Autos.
       
       Dass es vom Alltag gestressten Kleinkindeltern mit all ihren
       Organisationsaufgaben nicht gelingt, sich dem Zwang zum Mobiltelefon zu
       entziehen – okay. Aber wenn ein für seinen Eigensinn bekannter, auf
       Autonomie bedachter und über beträchtliche Mittel verfügender Werner Herzog
       nun auch daran scheitert, ist es Zeit für einen Großalarm: Das analoge
       Leben darf nicht sterben!
       
       In Luc Bessons Film „Das fünfte Element“ (1997) gibt es den „Multipass“, in
       der Offenbarung des Johannes das „Malzeichen des Tiers“, das sich die
       Menschen auf die Stirn oder die rechte Hand zeichnen lassen, um ein
       Verhalten aufgezwungen zu bekommen. Nur zum Amüsement: Gott ist erklärter
       Gegner des Malzeichens und kündigt an, wer sich das Zeichen geben lasse,
       „wird von Gottes Zorneswein unvermischt eingeschenkt bekommen“.
       
       Meiner Krankenversicherung muss ich mit Gottes Zorneswein natürlich gar
       nicht erst kommen, die möchte schon, dass ich ihre App in meinen Multipass
       installiere. Für die Arbeit habe ich neun Apps, zur Nutzung meines Wohnorts
       zwei. Es könnten deutlich mehr sein, aber der zugebuchte Speicherplatz ist
       schon wieder ausgeschöpft.
       
       ## Es braucht eine Anpassung des Grundgesetzes
       
       Werner Herzogs bisheriger Verzicht auf ein Smartphone bedeutet natürlich
       nicht, dass er nicht am Internet teilgenommen hätte. Er hat sogar einen
       Film darüber gedreht: Um „Lo and Behold“ (2016) im Amazon-Account eines
       Freunds zu streamen, muss ich erst die App auf dem iPad installieren.
       Herzog besucht zuerst Pioniere des Internets, die sagen, das Internet sei
       heute unsicher, weil sie einander damals vertraut und deshalb auf
       Sicherheitsmaßnahmen verzichtet hätten. Herzog spricht auch mit Menschen,
       die angeben, an von Funkstrahlen und Radiowellen ausgelösten Krankheiten zu
       leiden. Die National Radio Quiet Zone rund um das Green-Bank-Teleskop
       bietet ihnen einen nahezu strahlenfreien Schutzraum. Dann fragt Herzog den
       aufstiegsorientierten Marsianer Elon Musk nach seinen Träumen. Nach langem
       Schweigen antwortet Musk, er könne sich an keine schönen Träume erinnern,
       nur an Albträume.
       
       In der Szene klingt an, wovon wir inzwischen mehr gehört haben: Die
       Techsonnenkönige von [2][Thiel] bis Zuckerberg rechnen mit einer baldigen
       Katastrophe, die zu überleben sie [3][in hawaiianischen Schutzbunkern oder
       schwimmenden Städten] planen. Glaubt man an die Apokalypse, ermächtigt die
       Überlebensnotwendigkeit zur Ausbeutung aller verfügbaren Ressourcen, zum
       Beispiel unserer Daten. 
       
       Es wäre Unsinn, Werner Herzog so etwas wie praktizierte Bedenkenlosigkeit
       anzulasten, weil er sich jetzt, vermutlich nach vielen zuvor überstandenen
       Erpressungssituationen wie der im Parkhaus, einen Multipass zugelegt hat,
       der Daten für die Apokalyptiker sammelt. Wie groß der Anpassungsdruck ist,
       zeigt das Einknicken des Ludditen-Herzog schon sehr deutlich.
       
       Heribert Prantl führte im Januar in seinem Kommentar [4][„Mündige Bürger
       haben ein Recht auf ein analoges Dasein“] die DHL-Packstationen als
       Beispiel dafür an, wie eine reine Digitalstrategie Menschen exkludiert. Er
       zitierte den damaligen Bundesminister für Digitales, Volker Wissing: „Wir
       müssen“, hatte der verkündet, „analoge Parallelstrukturen konsequent
       abbauen und auf komplett digitale Prozesse setzen.“ Das führe aber in die
       Verfassungswidrigkeit, schrieb der Jurist und Journalist Prantl dazu und
       forderte, Artikel 3 des Grundgesetzes um [5][ein „Recht auf einen analogen
       Zugang zur Daseinsvorsorge“] zu ergänzen.
       
       „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, heißt es da schließlich. Auch
       die, deren Maslow’sche Bedürfnispyramide noch ohne das Grundbedürfnis
       Internet solide dasteht.
       
       13 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.theverge.com/tech/787625/werner-herzogs-smartphone-is-for-parking-lot-emergencies
   DIR [2] /Podcast-ueber-Paypal-Gruender-Peter-Thiel/!6089888
   DIR [3] /Der-Irrsinn-der-Tech-Oligarchen/!6075030
   DIR [4] https://heribertprantl.de/artikel/muendige-buerger-haben-ein-recht-auf-ein-analoges-dasein/
   DIR [5] /Leben-ohne-Smartphone-und-Computer/!6051310
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Donata Künßberg
       
       ## TAGS
       
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