# taz.de -- Queerfilmfestivals in Norddeutschland: Nebenbei nonbinär
> Bei den norddeutschen Queerfilmfestivals laufen Filme, in denen das Thema
> Queerness unausgesprochen bleibt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.
IMG Bild: Plötzlich muss sich Cass um die 11jährige Arie kümmern: Szene aus dem Film „Outerlands“
Der Herbst ist die Saison der queeren Filmfestivals. Am Dienstag wird das
internationale Queer Film Festival in Hamburg eröffnet und bald folgen die
Festivals in Bremen, Hannover und Rostock. Die unabhängigen queeren
Filmfestivals in Deutschland haben den Verband queerscope gegründet. Das
stärkt ihre Position bei den Filmproduktionsfirmen und ermöglicht,
Reisekosten für Gäste zu teilen. Besonders beliebte oder interessante Filme
werden so auf verschiedenen dieser Filmfestivals gezeigt, die ja die
lokalen Communitys ansprechen und so nicht miteinander in Konkurrenz
stehen.
Wenn man davon ausgeht, dass eine queere Gruppe erst dann nicht mehr
diskriminiert wird, wenn eine Hauptfilmfigur ganz selbstverständlich queer
leben kann, ohne dass es in dem Film viel Aufhebens davon gemacht wird, ist
„Outerlands“ von Elena Oxman solch ein Gamechanger. Der amerikanische
Spielfilm, der sowohl in Hamburg, Hannover und Rostock gezeigt wird,
erzählt von Cass.
## „Outerlands“ von Elena Oxman
Cass, gespielt von [1][Asia Kate Dillon], lebt als nichtbinäre Person. Die
hält sich mit kellnern und der Betreuung von Kindern wohlhabender Eltern
über Wasser. Ihre Queerness wird im Film nur beiläufig und indirekt
thematisiert, etwa wenn etwa geschlechtsspezifische Pronomen verwendet oder
korrigiert („they say they“) werden. Cass lebt isoliert, scheint aber damit
ganz zufrieden zu sein, bis eine flüchtige erotische Beziehung zu einer
chaotisch lebenden alleinstehenden Mutter dazu führt, dass Cass sich
plötzlich um deren 11-jährige Tochter Ari kümmern muss.
Der Plot erinnert an „Alice in den Städten“, einen der schönsten frühen
Filme von [2][Wim Wenders]. Wie dort wirken diese erzwungene temporäre
Elternschaft sowie die Suche nach der spurlos verschwundenen Mutter wie ein
Katalysator, der Cass aus Lethargie und Isolation weckt und liebesfähiger
macht.
Der Film ist immer nah bei seinen Figuren, die mit viel Empathie und einem
zärtlichen Humor gezeichnet und gespielt werden. Da wird nichts
melodramatisch überspitzt. Stattdessen geht es um kleine alltägliche Dramen
wie unbezahlte Rechnungen oder Erinnerungen an die traumatische Kindheit.
Der Film spielt in San Francisco und ist auch eine fast dokumentarische
Milieustudie der [3][dortigen queeren Subkultur]. Nur dort ist ein wohl
einmaliger Bruch der Konventionen des Erzählkinos auch nur halbwegs
plausibel, denn im Kino sind die – fast immer männlichen – fiesen
Bankmitarbeiter durch die von Schulden geplagte Protagonist*innen
endgültig in den Ruin gedrängt werden, eine dramaturgische Konstante. Doch
hier sitzt am Schreibtisch eine lesbische Sachbearbeiterin, die Cass hilft,
wo sie nur kann, sodass they schließlich sogar in ihrem Gästezimmer
einquartiert wird. Dies ist ein Film, bei dem man ständig „schön, wenn es
so wäre“ sagen möchte.
## „Kaktusfrüchte“ von Rohan Kanawade
Auch in dem indischen Spielfilm „Kaktusfrüchte“ von Rohan Kanawade, in
Hamburg und Rostock zu sehen, wird nie ausgesprochen, dass die Hauptfigur
queer ist. Aber die Gründe dafür sind genau entgegengesetzt, denn in dem
kleinen westindischen Dorf, in dem der 30-jährige Stadtbewohner Anand nach
dem Tod seines Vaters die rituelle zehntägige Trauerzeit begeht, scheint es
gar kein Wort für die gleichgeschlechtliche Liebe zu geben.
In Mumbai kann er offen als schwuler Mann leben, im Dorf wird er dagegen
nicht einmal offen angegriffen, als sich eine Romanze zwischen ihm und dem
schüchternen Bauern Balya entwickelt, weil sein Verhalten für die Menschen
dort unbegreiflich ist und darum ignoriert wird.
Auch hier fehlt jeder melodramatische Effekt. Stattdessen ist
„Kaktusfrüchte“ eine filmische Meditation über Themen wie Familie,
Identität, Sexualität und Tradition geworden. Ein langsamer Film auf dessen
minimales, dafür aber sehr authentisches Erzählen man sich einlassen muss.
Aber die so eingeforderte Geduld zahlt sich durch den genauen Blick auf
diesen für uns archaisch wirkende Mikrokosmos aus.
## „Dreamers“ von Joy Gharoro-Akpojodor
Um große Gefühle geht es dagegen in dem britischen Spielfilm „Dreamers“ –
läuft in Hamburg und Bremen – der auch sonst konventioneller als die beiden
anderen Film daherkommt. Regisseurin Joy Gharoro-Akpojodor arbeitet hier
mit den Konventionen des Knast-Kinos. Da dürfen solche Genrezutaten wie die
gewalttätige Gang der Alteingesessenen, die den Neuankömmlingen erst einmal
das Leben zur Hölle macht und sogar ein Ausbruchsversuch nicht fehlen.
Der Handlungsort des Films ist jedoch kein Gefängnis, sondern ein
Abschiebezentrum, in dem Frauen inhaftiert sind, deren Asylanträge
abgelehnt wurden. Hier verliebt sich die Afrikanerin Islo in ihre
Zimmergenossin Farah. Aber die Emotionen, die beide beherrschen, sind
Verzweiflung und Angst vor der [4][Abschiebung]. In Nigeria wurde Islo als
lesbische Frau verfolgt, eingesperrt und in der Haft vergewaltigt.
Der Film zeigt wie quälend das Warten auf gerichtliche Entscheidungen und
die immer plötzlich auf die Frauen einbrechende Abschiebung ist. Die Liebe
in den Zeiten der Deportation bringt keine Hoffnung sondern nur noch
größere Ängste, aber auch wenige Momente des Glücks. Und Joy
Gharoro-Akpojotor gelingt es mit den Mitteln des Gefühlskinos diese
tragische Romanze als eine politische Anklage zu inszenieren, die zornig
macht.
14 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Wilfried Hippen
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