URI: 
       # taz.de -- Freunde in der Kunst und im Leben: Befreit vom Ideal eines heroischen Künstlertums
       
       > Sie waren Freunde und wurden berühmt: Eine Ausstellung über John Cage,
       > Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg und „Cy Twombly“ in
       > Köln.
       
   IMG Bild: Gruppenbild mit Merce Cunningham, John Cage, Karlheinz Stockhausen und Robert Rauschenberg 1964
       
       Die Biografie von John Cage liest sich wie ein „Who’s who“ der westlichen
       Moderne. Seine epochalen Ideen entwickelten sich entlang der Inspirationen
       durch diese Begegnungen, aber er war auch selbst ein großer Inspirator,
       Ideengeber und Katalysator, ein Pionier des genresprengenden Arbeitens. Der
       heute vor allem als Komponist geführte Cage war tatsächlich Allrounder, er
       oszillierte zwischen Aktions- und Konzeptkunst, Dichtung, Malerei,
       Pilzkunde, Philosophie und Musik.
       
       Das Kölner Museum Ludwig präsentiert John Cage nun als das Zentralgestirn
       eines bislang von der Kunstgeschichte wenig beachteten Netzwerks von fünf
       Freunden, die untereinander auch in wechselnden Liebesbeziehungen verbunden
       waren: [1][John Cage, Merce Cunningham,] Jasper Johns, Robert Rauschenberg
       und Cy Twombly. Öffentlich gelebt wurden diese Beziehungen damals nicht,
       zumal sich während der McCarthy-Ära in den USA die Lage der Homosexuellen
       verschärfte, da sie als Bedrohung für die nationale Sicherheit galten.
       
       Als John Cage bei einer Podiumsdiskussion nach seiner persönlichen
       Beziehung zu Merce Cunningham gefragt wurde, antwortete er lakonisch: „Ich
       koche, und Merce macht den Abwasch.“ Das konnte man zwar als Hinweis auf
       die lange Liebesverbindung der beiden Avantgarde-Größen verstehen. Aber
       selbst noch 1992, als John Cage starb, wünschte Cunningham in offiziellen
       Nachrufen nicht, dass er als hinterbliebener Lebenspartner benannt wurde.
       
       Die Geschichte der fünf Freunde, die nun im [2][Museum Ludwig] in einer
       fulminant bestückten Schau nachgezeichnet wird, wäre schon allein unter den
       Aspekten der privaten, damals mehr oder weniger heimlich gelebten
       Liebesverbindungen interessant genug. Die Ausstellung weist aber
       überzeugend nach, dass die intensiven persönlichen Beziehungen auch für das
       künstlerische Schaffen aller fünf mehr als folgenreich waren. Dass die
       Freunde einander bestärkende Ideengeber waren und die Kunst- und
       Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts ohne dieses Netzwerk vermutlich anders
       verlaufen wäre.
       
       [3][John Cage und Merce Cunningham] lernten sich 1938 kennen, 1944 verließ
       Cage seine Frau und lebte fortan mit dem Tänzer und Choreografen Merce
       Cunningham zusammen. Beide unterrichteten ab 1952 gemeinsam am legendären
       [4][Black Mountain College] in North Carolina, das sich, geprägt von
       Bauhaus-Größen, als Labor des interdisziplinären Arbeitens begriff.
       
       Dort trafen sie auf die jüngeren Studenten Robert Rauschenberg und Cy
       Twombly, die nach Rauschenbergs Scheidung seit 1951 ein Paar waren.
       Zwischen den vier Künstlern wuchs rasch eine lebendige Verbindung, vor
       allem zwischen Cage, Cunningham und Rauschenberg entstand eine kreative
       Partnerschaft und eine frappierende gedankliche Nähe.
       
       Das beweist der Auftakt der Kölner Schau, wenn im ersten Raum Cages
       Partitur zu seinem epochalen Werk über die Stille „4’33’“ mit Cunninghams
       choreografischen Notizen zur „Suite for Five“, Rauschenbergs „White
       Painting“ und Blättern mit sparsam hingehuschten Bleistiftspuren von
       Twombly sowie Jasper Johns’ „Large White Numbers“ in einen Dialog treten.
       Johns erweiterte das Quartett der Freunde seit 1954 und sprengte es später,
       als er sich Rauschenberg zuwandte.
       
       ## Das Kreisen um die Stille
       
       Vom Band ist zu hören, wie John Cage mit den Tasten eines Klaviers wuchtig
       einzelne Töne in einen ansonsten stillen Raum wirft und damit die Stille
       zwischen den Tönen hörbar macht. Später in der Ausstellung ist zu sehen,
       wie Cunningham die Stille zwischen Cages Tönen in verharrende Bewegungen
       übersetzt und dabei durch Bühnenbilder tanzt, von denen eines [5][als
       Rauschenbergs erstes, so genanntes Combine-Painting] gilt.
       
       Das Kreisen um die Stille und ein weißes Nichts begann tatsächlich mit
       Gedanken zum Zen-Buddhismus, die sich John Cage über die Stille in der
       Musik in seinen „Lectures on Nothing“ machte. Die wiederum inspirierten
       Rauschenberg dazu, ein rein weißes Bild zu malen, was wiederum Cage darin
       bestärkte, mit seinem bis dahin radikalsten Werk „4’33’“ die Stille zum
       einzigen Thema zu machen, nämlich Musik ohne Musik.
       
       Die Ausstellung schöpft ansonsten aus dem Vollen: Für das Projekt haben
       sich das [6][Münchener Museum Brandhorst], das die weltweit größte Sammlung
       von Twombly-Arbeiten beherbergt, und das Kölner Museum Ludwig mit seinen
       umfassenden Beständen von Rauschenberg und Johns zusammengetan.
       
       Was die optischen Eindrücke angeht, stehen wenig überraschend die drei
       Maler aus dem Kreis der fünf im Zentrum der chronologisch gehängten
       Ausstellung, aber Cage und Cunningham werden doch als treibende und
       zugleich verbindende Kräfte gezeigt. So ist das Schaffen des Choreografen
       mit Videos, Originalkostümen und kuriosen Requisiten präsent, Cages
       Kompositionen dagegen bilden den insistierenden Soundteppich der Schau und
       sind in allen Sälen zu hören.
       
       Reich bestückt ist die Schau auch mit dokumentarischem Material, mit Fotos
       von Lebensstationen, Alltagsaufnahmen, gegenseitigen Porträtfotos, Briefen
       und Postkarten, mit Skizzenbüchern gemeinsam unternommener Reisen, wie der
       von Rauschenberg und Twombly nach Nordafrika über Spanien und Rom.
       
       ## Das Glück der Begegnungen
       
       Erstaunlicherweise gibt es allerdings kein Foto, für das sich alle fünf vor
       einer Kamera versammelten. Zahllose Fotos in Trio-Besetzung sind zu sehen
       und ein kurioses, wo Cage, Cunningham und Rauschenberg in einer Reisegruppe
       vor einem Papp-Helikopter zum Drachenfels posieren, der junge Karlheinz
       Stockhausen ist auch im Bild.
       
       Anrührend sind besonders die Fotos der jungen Künstler, oft in gelösten,
       heiteren Situationen. Sie erzählen viel vom Glück dieser Begegnungen, von
       inspirierter Stimmung und geistiger Nähe. Auf manchen Fotos sehen sie sich
       sogar täuschend ähnlich, mit ihren lässig aufgekrempelten Hemdärmeln und
       den akkuraten Haarschnitten. So ähnlich wie sich phasenweise auch die
       ästhetischen Sprachen der fünf annähern. Wenn man in der Schau etwa
       nachlesen muss, ob ein Blatt nun eine Skizze zu einem Cunningham-Ballett
       ist oder eine von Cages Partituren.
       
       Hoch anzurechnen ist der Ausstellung, dass sie die „Queerness“ der Künstler
       und ihre Liebesbeziehungen zwar als Erzählfaden definiert, aber gar nichts
       Reißerisches hat. Die Schau guckt nicht durchs Schlüsselloch, sondern
       versucht, die Codes und Hinweise auf das Private in den Werken zu finden.
       
       Am offensichtlichsten gelingt das in einem offenen Rondell, das mit
       Rauschenbergs „Bett“ von 1955 die prominenteste Leihgabe der Schau zeigt.
       Für diese Arbeit aus der Reihe der „Combines“ klebte Rauschenberg sein
       eigenes Bett mit Laken und inzwischen ausgebleichter Steppdecke auf eine
       Holzunterlage und besprenkelte und bekritzelte den Kopfteil mit Farbe und
       Grafit. Wenn man will, kann man in den Kritzeleien im Kopfteil
       Reminiszenzen an die typische Arbeitsweise von Cy Twombly erkennen.
       Gegenüber steht in der Schau eine „Odalisk“-Skulptur, die Rauschenberg mit
       einem ausgestopften Hahn bekrönte, dessen englischer Name „cock“
       bekanntlich doppeldeutig ist.
       
       So nahe die fünf Künstler sich kamen, so wenig leugnet die Ausstellung,
       dass ihre jeweiligen Werke für sich einen ganz eigenen Kosmos bilden, sich
       annäherten, aber sich auch wieder voneinander entfernten. Die fünf
       verfolgten auch nie die Idee, eine Künstlergruppe zu gründen, wie etwa die
       „Brücke“- oder „Blauer Reiter“-Künstler des Expressionismus. Geschweige
       denn, dass sie jemals so etwas wie ein Manifest verfassten. Dazu waren sie
       wohl alle fünf viel zu durchlässig, zu fluide, in ständiger Bewegung. Und
       geprägt durch das Denken eines großen, weißen Nichts, das Erlauschen der
       vollständigen Stille und das Warten auf den Eingriff des Zufalls auch
       vollständig befreit vom Ideal eines heroischen Künstlertums, das vehement
       auf einer einzigen ästhetischen Identität besteht.
       
       So überraschen im späteren Verlauf der Ausstellung die hauchzarte, fast
       impressionistisch anmutende Stoffarbeit „Analecta“ von Robert Rauschenberg,
       oder skulpturale, fast grob wirkende Arbeiten des nervösen
       Strichelkünstlers Cy Twombly. Die Ausstellung beginnt und endet mit Cage:
       Im letzten Raum ist sein zeichnerisches Zen-Alterswerk ausgestellt,
       Arbeiten, die beiläufig, eher hingeworfen wirken und der Schau einen
       wunderbar entspannten Ausklang bescheren.
       
       14 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Dokumentarfilm-Cunningham-im-Kino/!5641894
   DIR [2] https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/fuenf-freunde-john-cage-merce-cunningham-jasper-johns-robert-rauschenberg-cy-twombly
   DIR [3] /Dokumentarfilm-Cunningham-im-Kino/!5641894
   DIR [4] /Kunst-Avantgarde-Schule-Black-Mountain/!5203068
   DIR [5] /War-Gott-ein-Bildhauer/!1375893
   DIR [6] /Symposium-zu-Koerperbildern/!5743239
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Regine Müller
       
       ## TAGS
       
   DIR Ausstellung
   DIR Avantgarde
   DIR Musik
   DIR Tanz
   DIR Malerei
   DIR Freundschaft
   DIR Social-Auswahl
   DIR Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kunst-Avantgarde-Schule Black Mountain: Feuer einer anderen Bildung
       
       Das Black Mountain College ist oft mit dem Bauhaus verglichen worden. Eine
       Berliner Ausstellung räumt mit der irrigen Annahme auf.
       
   DIR John Cage zum 100. Geburtstag: Diese seltsame Präsenz
       
       John Cage wäre nun 100 Jahre alt geworden. Berühmt wurde der Komponist, als
       die Neue Musik politische Wirkung hatte. Sein Vermächtnis ist die
       Kooperation.
       
   DIR Zum Tod von Merce Cunningham: Wenn die Zeit sich kräuselt
       
       Gott würfelt nicht, Merce Cunningham schon. Wie man den Zufall in
       Strukturen bringt, hat den großen US-Choreografen immer interessiert. Mit
       90 Jahren ist er gestorben.