# taz.de -- Hype um Romance-Literatur: Die Lust im Text
> Menschen unter 30 greifen immer häufiger zu Lovestorys mit bunten
> Buchrücken. Schüttet Romance die Gräben zwischen E- und U-Literatur zu?
IMG Bild: Weisen Groschenromane den Weg zu einem lustvolleren Leben?
Gäbe es keine Buchmessen, womöglich wäre der etablierten Literaturkritik
der Hype um Romance-Bücher noch gar nicht aufgefallen. Denn dass Verlage
ihr anspruchsvolleres Programm mit Liebesromanen im Stile Cecelia Aherns
oder Jojo Moyes gegenfinanzieren, ist an sich nicht neu. Doch als im
letzten Jahr [1][die Frankfurter Buchmesse eine ganze Halle dem Genre New
Adult zuwies,] in der sich dann junge Erwachsene in Schlangen einreihten,
um ein Foto mit ihren dem Feuilleton gänzlich unbekannten
Lieblingsautor:innen zu machen, da ist man doch neugierig geworden. Um
nicht zu sagen: alarmiert.
Außerhalb der Messen ist das Interesse an Romance jedoch relativ schnell
abgeflaut. Es scheint, man hat sich damit abgefunden, dass Dark Romance,
Romantasy und New Adult eben jetzt die Schlachtrösser sind, die das Geld
einbringen; die Lastentiere, die die alte Möhre Hochliteratur ziehen.
Haftet dieser Perspektive erkennbar etwas Elitäres an, lassen viele der
Romance-Szenarios ebenfalls wenig Klassenbewusstsein erkennen.
Einige Autor:innen verpassen ihren Love Interests einen aristokratischen
Hintergrund, auch Millionärssöhne gibt es. So etwa in J. S. Wondas „Hunting
Angel“-Serie, deren dritter Band mit einer Rückschau beginnt: Zurück zu
jenem Tag, als ein reicher Teenager ein Mädchen auf seiner Hausparty
vergewaltigt. Er sei „ein ziemlicher Arsch“ damals gewesen, bekennt er.
J. S. Wonda ist eine der bekanntesten deutschen Autor:innen des Genres
und „Hunting Angel“ typische Dark Romance: Missbrauch, Verbrechen,
Menschenhandel sind die Zutaten, die bei einer heißen Liebesgeschichte
nicht fehlen dürfen. Die dunkelste Ecke der Romance-Sparte beschäftigt die
bürgerliche Kritik dabei am meisten: Mit Sorgen ums Kindeswohl ist man
schnell bei der Hand. Minderjährige vor dem schützen zu wollen, was
zwischen zwei Buchdeckel passt, wirkt angesichts all der nur einen Klick
entfernten Grausamkeiten allerdings geradezu aberwitzig.
## Das lustvollere Leben im Blick?
Gehen wir davon aus, dass die Altersvorgaben bei Dark Romance konsequent
eingehalten werden (wie bei Pornovideos). Dass niemand eine schlechte
Feministin ist, der Fantasien von gewaltsamem Sex hat, ist klar. Ob das
Lesen von Spice und Smut wirklich zu einem lustvolleren Leben führt oder
nicht eher Ersatzbefriedigung bleibt, hingegen weniger.
Dabei ist der therapeutische Effekt von Romance-Literatur nicht von der
Hand zu weisen. Repräsentation ist wichtig und das Genre durchaus ziemlich
queer. Vermischt wird mitunter Lovestory mit Pädagogik und Empowerment.
In Sophie Bichons „Und wir tanzen über den Flüssen“ etwa verlieben sich
drei Menschen ineinander und entscheiden, auch zu dritt zusammenzubleiben.
Im Jargon nennt man diese Konstellation Reverse Harem. Der Frau und den
beiden Männern wird mit Unverständnis begegnet, doch sie klären ihr Umfeld
geduldig über Polyamorie auf, Gespräche über Labels, die man verwenden oder
nicht verwenden will, finden so statt, dass jede:r Lesende:r sie
versteht.
Auch bei Fanfiction, also von Fans geschriebenen Fortsetzungen oder
Abwandlungen von Romanen und Serien, spielt Queerness eine Rolle. Die Welt
von Harry Potter etwa, eigentlich eine recht heterosexuelle Angelegenheit,
wird von Fanseite gewissermaßen gequeert, indem sich etwa Gryffindor-Helden
mit bösen Slytherin-Boys vereinigen.
Die Tatsache, dass sich auf Fanfiction-Portalen explizit nach bestimmten
Kategorien („tropes“) wie eben Reverse Harem, Enemies to Lovers oder Fake
Dating suchen lässt, die auch im Romance-Bereich zum Einsatz kommen, zeigt:
Hier geht es um Erwartbarkeit, um Bedürfnisbefriedigung. Romance scratcht
einen itch. Literatur wiederum: ist der itch.
## Denkpausen nicht nötig
Wenn Roland Barthes von der durchs Lesen ausgelösten Selbstauflösung
angesichts neuer Sinnzusammenhänge schreibt, der Lust am Text, ist bei
Romance die Lust ausschließlich im Text zu Hause. [2][Die Bücher sind
klassische Page-Turner:] Denkpausen einzulegen ist nicht nötig, eher
hinderlich, denn Befriedigung stellt sich höchstens ein, wenn der Text die
Lesende flutwellenartig überspült.
Zumindest, wenn man sich in der Lage dazu sieht, den Figuren Sätze wie „Ich
bin inzwischen 23 Jahre alt und stehe auf eigenen Beinen“ zu verzeihen und
großzügig über obsessives Tanzen im Regen hinwegsieht. Was nicht vielen
diesseits der Gräben zwischen E- und U-Literatur gelingen dürfte.
Jedenfalls noch nicht.
Denn wenn der Spätkapitalismus uns eins gelehrt hat, dann das: Wer nicht
wachsen will, geht unter. Und das Wachstum im Romance-Bereich war in den
letzten Jahren enorm. Bei Penguin Random House, der größten
Publikumsverlagsgruppe im deutschsprachigen Raum, habe sich der Umsatz
durch New-Adult-Titel von 2023 auf 2024 nahezu verdoppelt, sagte eine
Sprecherin gegenüber der taz.
Bei Bastei Lübbe, dem zweitgrößten Verlag, machten die
„Community-getriebenen Modelle“, worunter auch die Romance-Imprints fallen,
mittlerweile 39 Prozent des Umsatzes aus. Romance ist dabei ein weltweiter
Trend. Insbesondere auf den Philippinen, [3][dem Gastland der diesjährigen
Buchmesse,] wo viel im Literaturbetrieb über Selbstorganisation läuft, hat
das Genre Unmengen an Fans.
## Es ist nett in der Romance-Welt
Nun ist ein „New Adult“, wer zwischen 18 und 30 Jahre alt ist. Wenn diese
kleine Gruppe für derart viel Umsatz in der sonst eher krisengeplagten
Buchwelt verantwortlich ist, könnte man es den Verlagen verübeln, gäben sie
der Versuchung nach und nähmen immer mehr nährstoffarme Literatur in ihre
Programme auf, in der Hoffnung weitere Leser:innen auch jenseits der 30
zu gewinnen?
Es ist nett in der Romance- und BookTok-Welt. Die Fanfiction trägt es
bereits im Namen, kritische Distanz zum Gegenstand kennt man hier nicht,
mitunter weist die Netiquette einen sogar darauf hin, Kritik nur auf Wunsch
der:des Autor:in zu äußern. Was der Literaturwissenschaftler [4][Moritz
Baßler] in Bezug auf Fantasy feststellt, gilt für Romance-Communitys
ebenso: „Gutfinden ist in der Attraktionskultur das A und O, so wie die
Kaufentscheidung in der marktförmigen Populärkultur.“ Fragen der Ästhetik,
des Handwerks, des Sinns und der Aussage rückten in den Hintergrund.
Fürs Geschäft sind Buchblogger auf Social Media mittlerweile wohl
mindestens genauso wichtig wie die Literaturkritik. Formal unabhängig muss,
man erstere in einem Umfeld ohne Daumen-runter-Button wohl trotzdem dem
verlagsseitigen PR-Apparat zurechnen: Auf dem hübsch arrangierten
Büchertisch, zwischen Duftkerze und Farbschnitt, ist zumeist schlicht kein
Platz für Kritik.
Farbschnitte sind übrigens tatsächlich ein Kaufargument: Es scheint so
einige Menschen zu geben, die kaufen Bücher eher, wenn die Schnittkanten
bunt leuchten. Was häufig bei Romance-Büchern der Fall ist.
Jene Bücher sind schnell geschrieben, schnell gelesen. Die deutsche
Bestseller-Autorin D. C. Odesza etwa hat trotz ihres recht jungen Alters
bereits über 50 Dark-Romance-Romane geschrieben. Die Werbung übernimmt das
Spektakel selbst, indem es sich immer wieder reproduzierende
Zustimmungsschleifen auf Social Media erschafft. Ist Konsumierbarkeit das
einzige Kriterium, so dehnt sich der Markt bis ins Unendliche: Den
Süchtigen verlangt es nach dem immer gleichen Stoff. Es ist womöglich kein
Zufall, dass die New-Adult-Leser:innen jener Generation angehören, die
Tiktok verfallen ist.
## Der Massenmensch
Es ist so eine Sache mit dem Mainstream: Massenmenschen produziert man
dadurch, dass man sie Massenware konsumieren lässt, hielt der Philosoph
Günther Anders 1956 in „Die Antiquiertheit des Menschen“ fest. Konsum und
Produktion fallen so zusammen: Durch den Konsum der Massenware macht sich
der Konsument zum Mitarbeiter bei der Produktion des Massenmenschen. Dieser
Massenmensch ist im höchsten Maße berechenbar. Der Markt hat leichtes
Spiel.
Ein Teufelskreis, in dem mittlerweile übrigens auch die Maschinen
mitmischen. Fragt man eine generative Text-KI etwa, wie sie eine
Liebesgeschichte schreiben würde, fallen häufig Formulierungen, die bereits
in Romance-Büchern unangenehm auffallen: Wir waren nicht „perfekt“, dafür
aber „echt“, urteilen Liebespaare regelmäßig über sich. Diese Häufung mag
Zufall sein, [5][immerhin wurde die KI mit echten Texten trainiert.] Die
Maschine greift also auch auf das Werk menschlicher Romance-Autor:innen zu.
Dass diese Beziehung wechselseitig ist, das würden hingegen nur böse Zungen
behaupten.
16 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Julia Hubernagel
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