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       # taz.de -- Krieg gegen Drogen auf Philippinen: Als Präsident Duterte Zombies und Dealer töten ließ
       
       > Rechter Exzess: Patricia Evangelistas Memoiren „Some People Need Killing“
       > erzählen von den Massentötungen unter dem philippinischen Präsidenten
       > Duterte.
       
   IMG Bild: Demonstranten in Manila beten im November 2017 dafür, dass das Töten aufhört
       
       „Some People Need Killing“ erzählt „eine Geschichte der Morde in meinem
       Land“, wie der Untertitel des Buchs allzu bescheiden ankündigt. Denn es ist
       nicht nur „a memoir“, wie es im Original heißt, sondern die Geschichte der
       „außergerichtlichen Tötungen“ unter der Herrschaft von Präsident Rodrigo
       Duterte [1][in den Philippinen]. Zukünftige Historiker werden sich auf
       dieses Werk berufen.
       
       Patricia Evangelista, die Autorin des 2023 erschienenen Buchs, bezeichnet
       sich selbst als Traumareporterin. Sie hat etwa über die Folgen des Taifuns
       „Hayan“ berichtet. Vor allem aber steht ihr Name für Artikel und
       Reportagen, die sie für das philippinische Onlinemedium „Rappler“
       geschrieben hat über die Morde an Drogendealern und ihren Kund*innen, denen
       Präsident Duterte den Krieg erklärt hatte, aber auch an Menschen, die sich
       zufällig am falschen Ort befunden haben. Offiziell starben fast 8.000
       Menschen in diesem „Krieg“ gegen die eigene Bevölkerung. Schätzungen von
       Menschenrechtsorganisationen gehen jedoch von um die 30.000 Toten aus.
       
       Sie fielen gezielten Exekutionen durch Polizisten oder von der Polizei
       befehligten „Bürgerwehren“ zum Opfer. Duterte hatte dies zu seinem
       zentralen Wahlkampfthema gemacht und zuvor als langjähriger Bürgermeister
       von Davao deutlich gemacht, dass er nicht in Metaphern sprach, wenn er
       ankündigte, Krieg gegen Leute zu führen, „die mein Land zu zerstören
       drohen“. Unter seiner Ägide operierten in Davao Todesschwadronen, die ihre
       Befehle direkt vom Bürgermeister erhielten.
       
       ## Die Tötungen begannen am ersten Tag
       
       Als Präsident dehnte Duterte die Gewalt über das gesamte Archipel aus. Er
       trat sein Amt am 1. Juli 2016 an, und an diesem Tag begannen die Tötungen.
       Jimmy Reformado, ein gesuchter Drogenhändler in der Stadt Tiaong, wurde von
       „unbekannten Auftragsmördern“ erschossen, wie es offiziell hieß. Tags
       darauf traf es Victorio Abutal, einen Dealer in Lucban, der „von
       Auftragsmördern vor den Augen seiner Frau“ getötet wurde.
       
       Diese Formulierung wird sich noch oft wiederholen, es häufen sich aber auch
       die Fälle, in denen Menschen von der Polizei erschossen wurden, weil sie
       „deren Anwesenheit bemerkten und zur Waffe griffen“. Zeugen berichten, dass
       die Polizisten bei solchen geplanten Tötungen Waffen mitbrachten, die sie
       nach erledigter Arbeit zu den Opfern legten. Zu Beginn von Dutertes
       Amtszeit war die Zahl der Getöteten an manchen Tagen zweistellig.
       
       Evangelistas Job bei Rappler war seit dem Beginn von Dutertes
       Präsidentschaft, über diese Tode zu berichten. Doch eines Tages wurde es
       auch für sie gefährlich. Sie arbeitete damals an einer Geschichte über eine
       Serie von Tötungen in der Hauptstadt Manila. Die Reporterin suchte nach
       Zeugen, studierte Polizeiberichte und traf Männer, die detailliert
       beschrieben, wie sie ihre eigenen Nachbarn auf Befehl von oben getötet
       hatten. Evangelista fragte bei Polizisten Interviews an, die von den Tätern
       beschuldigt wurden, die Exekutionsaufträge erteilt zu haben. Rappler
       entschied, dass es in Manila zu gefährlich geworden sei für die
       Journalistin. Ihre Geschichte erschien erst, als ihr Flugzeug im Oktober
       2018 von der Startbahn Richtung USA abgehoben war.
       
       Der Stress, dem die Reporterin durch ihre Arbeit ausgesetzt war, zeigte
       sich bei ihrer Ankunft am Flughafen JFK in New York, erinnert sich
       Evangelista: Beim Ausfüllen der Einreiseformulare checkt sie in ihrem Pass,
       ob sie ihren eigenen Namen richtig geschrieben hat. Zuvor hatte sie
       nächtelang wach gelegen, aus Angst, ein falsch gesetztes Komma könne eine
       Verleumdungsklage nach sich ziehen: „Die praktische Vorsicht, die eine
       Reporterin im Drogenkrieg an den Tag legen muss, hatte sich in eine beinahe
       lähmende Paranoia verwandelt“, die sich allerdings auch oft als berechtigt
       erwiesen hatte.
       
       ## Eine kurze Geschichte des Landes
       
       In ihrem Buch beschreibt Evangelista präzise, was sie gesehen, gehört und
       herausgefunden hat. Ihr Buch ist aber auch die Geschichte ihrer Familie:
       Schon ihr Großvater war ein bekannter Journalist, er schrieb ein Buch über
       die Ankunft des Spaniers Magellan, der von Giftpfeilen niedergestreckt
       wurde, als er die Inseln der spanischen Krone einverleiben wollte.
       
       Evangelista erzählt so auch die Geschichte der Menschen, die wir heute als
       Filipinos kennen und die sich stets [2][gegen die Kolonialmächte] wehrten,
       von denen sie immer wieder betrogen wurden – zuletzt von den Amerikanern,
       die sich den Widerstand der einheimischen Bevölkerung im Kampf gegen die
       Japaner zunutze machten, dann aber für weitere 48 Jahre dominierten.
       Evangelista erinnert an die Diktatur des Ehepaars Marcos und an die
       nachfolgende Herrschaft Corazon Aquinos.
       
       [3][Dutertes Krieg] gegen die Drogen brachte auch eine eigene Sprache
       hervor, was Evangelista zu sprachphilosophischen Überlegungen animiert. Sie
       zählt mit: In den ersten sechs Monaten seiner Präsidentschaft benutzte
       Duterte 1.254-mal das Wort „töten“, in einer Reihe von Zusammenhängen und
       gegen verschiedene Widersacher gerichtet: „Präsident Duterte sagte, tötet
       die Abhängigen, und die Abhängigen starben. Er sagte, tötet die
       Bürgermeister, und die Bürgermeister starben. Er sagte, tötet die Anwälte,
       und die Anwälte starben. Manchmal waren die Toten keine Drogendealer,
       korrupte Bürgermeister oder Menschenrechtsanwälte. Manchmal waren sie
       Kinder, aber sie wurden trotzdem getötet, und der Präsident nannte sie
       Kollateralschäden.“
       
       ## Man musste glauben, dass Duterte ein guter Mann sei
       
       „Some People Need Killing“, manche Leute brauchen den Tod, ist das Zitat
       eines Mannes, der für den Präsidenten getötet hat und sich für
       rechtschaffen hält, wie er Evangelista erklärt. Man kann vermuten, dass er
       seinem Präsidenten Glauben schenkte, der oft vom Töten, nie von Mord
       sprach.
       
       Die hohe Zustimmung für Duterte erklärt Evangelista unter anderem damit,
       dass er stets behauptete, er setze sich für die Armen ein. Um ihn wählen zu
       können, meint sie, musste man glauben, dass Duterte ein guter Mann sei, man
       musste an das Schicksal und an Gott glauben und schließlich daran, dass
       Gott eine Vorliebe für todbringende Autokraten habe.
       
       An Stellen wie diesen kann man erkennen, dass Evangelista, die ihre Arbeit
       sehr ernst nimmt, vielen von Dutertes Opfern einen Namen gibt und ihre
       Familien zu Wort kommen lässt, manchmal nicht anders kann, als sich von der
       Alltäglichkeit des Tötens durch schwarzen Humor zu distanzieren. Sie hat
       ein beeindruckendes Buch geschrieben.
       
       15 Oct 2025
       
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