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       # taz.de -- Fotografin über ihr NSU-Fotoprojekt: „Diese Morde fanden mitten unter uns statt“
       
       > Regina Schmeken hat die Tatorte des NSU fotografiert, um sich mit den
       > Opfern solidarisch zu zeigen. Ihre Fotos sind im Altonaer Museum zu
       > sehen.
       
   IMG Bild: Hamburg-Altona, Schützenstraße: hier wurde Süleyman Taşköprü am 27.06.2001 vom NSU ermordet
       
       taz: Frau Schmeken, der Titel Ihrer Ausstellung „Blutiger Boden. Die
       Tatorte des NSU“ spielt auf eine nationalsozialistische Ideologie an.
       Wieso?
       
       Regina Schmeken: Der Titel verweist darauf, dass alle, die ermordet wurden,
       in ihrem Blute liegend gefunden wurden, daher „blutiger Boden“. Und er
       verweist auf die nationalsozialistische Propagandaformel, nach der sich nur
       Deutsche auf deutschem Boden bewegen dürften, eben nur Menschen mit
       „deutschem Blut“. Der NSU begründete seine Taten mit dieser Ideologie und
       fühlte sich dadurch berechtigt, Menschen zu töten.
       
       taz: Was möchten Sie mit dieser Ausstellung zeigen? 
       
       Schmeken: Ich bin zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren.
       Mit 20 war ich schon viel in Frankreich unterwegs und habe zu spüren
       bekommen, dass sich viele noch an den Krieg und die Verbrechen „der
       Deutschen“ erinnerten. In der BRD wurde spätestens nach 1968 viel getan, um
       an die Taten der Nationalsozialisten zu erinnern und diese aufzuarbeiten.
       „Nie wieder“ so hieß es, sollte so etwas in Deutschland geschehen. Nach den
       Verbrechen, die unsere Vorfahren begangen haben, und den Lehren, die daraus
       gezogen wurden, konnte man sich nicht vorstellen, dass dieses Gedankengut
       wieder auflebt.
       
       taz: Es ist aber wieder aufgelebt. 
       
       Schmeken: Ich wollte versuchen, diesem Ungeist etwas entgegenzusetzen. Als
       ich die Tatorte des [1][NSU] besucht habe, hat mich das zutiefst
       erschüttert. Diese Morde fanden mitten unter uns statt, in unseren Städten,
       in unserem Alltag. Und sie wurden von sehr jungen Menschen aus
       ideologischen Gründen begangen. Das hat mich zunächst fassungslos gemacht,
       aber auch so wütend, dass ich den Impuls hatte, dazu ein
       Ausstellungsprojekt zu machen.
       
       taz: Kann Kunst im Bereich der Erinnerungskultur eine wichtige Rolle
       spielen? 
       
       Schmeken: Meine Ausstellung ist nicht rein dokumentarisch. Die Spuren an
       den Tatorten waren ja längst verwischt. Das heißt, ich musste diese Orte,
       ihre Bedeutung und Ausstrahlung intuitiv erfassen, sie erspüren. Eine
       Journalistin hat mal geschrieben, dass es manchmal die Kunst braucht, um
       die Dimension einer Sache zu begreifen. Außerdem ist es ein Versuch, sich
       mit den Opfern und ihren Familien solidarisch zu zeigen.
       
       taz: Ihre Bilder zeigen, dass die Tatorte nicht irgendwo im Verborgenen
       liegen, sondern mitten in unserem Leben. 
       
       Schmeken: Das ist das Erschreckende. Und die Täter waren feige, weil sie
       sich nicht zu ihren Taten bekannten. Das hat weiteres Leid über die
       Familien gebracht, weil die deutschen Behörden meistens nur in eine
       Richtung ermittelt haben, nämlich [2][in den Familien und deren Umfeld].
       Dass die Täter rechtsradikal sein könnten, wurde ausgeblendet, obwohl sich
       zum Beispiel der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU)
       diese Frage bereits nach dem ersten Mord gestellt hatte. Diesem Hinweis
       wurde jedoch nicht nachgegangen. Familienmitglieder der Opfer wurden
       hingegen verdächtigt. Im Fall des ermordeten [3][Enver Şimşek] wurde seiner
       Ehefrau erzählt, dass ihr Mann eine Geliebte hatte, um eine Reaktion zu
       provozieren und so mehr über die Geschehnisse innerhalb der Familie
       herauszufinden. Solche Methoden wurden vonseiten der Behörden eingesetzt,
       was die Angehörigen zusätzlich sehr belastete.
       
       taz: Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes ist [4][bis heute lückenhaft]: War
       genau das für Sie auch ein Grund, künstlerisch Stellung zu beziehen, um an
       das Nicht-Aufgeklärte zu erinnern? 
       
       Schmeken: Die Arbeit erinnert auch an nicht aufgeklärte Aspekte der Taten
       und sie ist der Versuch, eine Brücke zu schlagen. Ich möchte in einem
       vielfältigen und toleranten Deutschland leben. Wir haben viel von den
       Menschen gelernt, die aus anderen Kulturkreisen zu uns gekommen sind. Wir
       haben ihnen etwas zu verdanken. Wir sollten das Zusammenleben lernen,
       unsere Unterschiede akzeptieren und uns respektieren. Das mag idealistisch
       klingen, aber das ist mein Anliegen.
       
       18 Oct 2025
       
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