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       # taz.de -- Selenskyj greift durch: Bürgermeister ausgebürgert
       
       > Der ukrainische Präsident entzieht dem Bürgermeister von Odessa, Hennadij
       > Truchanow, die Staatsbürgerschaft. Überraschend kam das nicht.
       
   IMG Bild: Ist jetzt kein Ukrainer mehr: Der Bürgermeister von Odessa, Hennadij Trukhanow, im August 2022
       
       Odessa taz | In der [1][Hafenstadt Odessa] wird im vierten Jahr des
       russisch-ukrainischen Krieges wahrscheinlich eine Militärverwaltung
       eingeführt. Präsident Wolodymyr Selenskyj entzog dem Bürgermeister Hennadij
       Truchanow die ukrainische Staatsbürgerschaft. Damit verliert Truchanow nach
       ukrainischem Recht sein Amt. „Zu viele Sicherheitsfragen in Odessa sind zu
       lange ungelöst geblieben“, erklärte der ukrainische Präsident in einer
       Videobotschaft am Dienstagabend. Die Entscheidung kam weder zufällig noch
       überraschend, denn Truchanow hat eine abenteuerliche Biografie.
       
       In den turbulenten 1990er Jahren hatte der gebürtige Odessit zunächst eine
       Firma für Sicherheitsdienste. Beamte der italienischen
       Strafverfolgungsbehörden bezeichneten ihn in einem Dokument von 1998 als
       „mögliches Mitglied einer kriminellen Vereinigung“. Truchanow wies dies
       zurück. Anschließend war der heute Sechzigjährige Berater für Unternehmen
       und politische Einrichtungen, dann begann er eine eigene politische
       Karriere.
       
       Seit 2005 ist er Abgeordneter des Stadtrats von Odessa, seit 2010
       Vorsitzender der Fraktion der prorussischen Partei der Regionen, die 2023
       verboten wurde. 2012 zog er für diese Partei ins ukrainische Parlament ein.
       Schon dreimal wurde er seit 2014 zum Bürgermeister von Odessa gewählt, auch
       dank seines Images als „starker Mann“, „Wirtschaftsexperte“ und „echter
       Offizier“. Er verstand es, zwischen politischen Lagern zu vermitteln. Doch
       Truchanow gilt als einer der umstrittensten Bürgermeister der Ukraine.
       
       Bereits zweimal wurden Verfahren wegen Korruption gegen ihn vor dem
       obersten Antikorruptionsgericht der Ukraine verhandelt. Allerdings
       ergebnislos – Truchanow kam gegen Kaution frei. Nicht weniger skandalös:
       [2][Als Russland 2014 die Krim und einen Teil des Donbass annektierte],
       zeigte sich Truchanow offen prorussisch. Er nahm an entsprechenden Demos
       teil und pflegte Kontakte zu inzwischen in Ungnade gefallenen prorussischen
       Politikern.
       
       Schon damals hieß es, Truchanow habe neben der ukrainischen auch die
       russische Staatsbürgerschaft. Das ist nach ukrainischem Recht verboten.
       Offizielle Beweise dafür gab es bislang nicht. Erst diese Woche wurden die
       ukrainischen Sicherheitsbehörden fündig.
       
       ## Kritik nach Überschwemmung mit zehn Toten
       
       Zum vollständigen Bild gehört jedoch auch, dass Truchanow 2022 die
       russische Invasion in der Ukraine nicht unterstützte und Russland als
       Aggressor bezeichnete. Die meisten ukrainischen Patrioten in Odessa
       allerdings jubeln nun: Endlich wird ihr Erzfeind abgesetzt. Die Zahl seiner
       Kritiker wuchs vor allem in den letzten Wochen, [3][nachdem es in der Stadt
       infolge starker Regenfälle zu einer Überschwemmung gekommen war, bei der
       zehn Menschen starben.]
       
       Politische Analysten warnen jedoch, es gebe momentan keinen Ersatz für
       Truchanow und sein Team. Seine Anhänger wiederum halten die Anschuldigungen
       schlicht für erfunden: In den als Beweismittel vorgelegten Screenshots gibt
       es viele Unstimmigkeiten wie ein unähnliches Foto und die falsche
       Schreibweise seines Namens.
       
       Der in Ungnade gefallene Truchanow selbst sagte vor Medienvertretern, er
       habe nicht vor, die Ukraine zu verlassen, und wolle beweisen, dass er kein
       russischer Staatsbürger sei. „Ich werde mich verteidigen, ich werde vor
       Gericht gehen, notfalls vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
       … Das ist schon äußerste Willkür, die es nicht geben darf“, zitierten ihn
       ukrainische Medien.
       
       Aus dem Russischen: [4][Gaby Coldewey]
       
       15 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Odessa/!t5009857
   DIR [2] /Krim-Annexion/!t5015673
   DIR [3] https://www.rnd.de/panorama/unwetter-in-der-ukraine-neun-tote-in-odessa-nach-heftigen-regenfaellen-GFT4WMAAZJMFFHSI6QXNTP5D5I.html
   DIR [4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Artem Perfilov
       
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