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       # taz.de -- Merz' Äußerung zum „Stadtbild“: Saubere Städte, schmutzige Sprache
       
       > Bundeskanzler Friedrich Merz redet von Problemen im „Stadtbild“ und
       > fordert im selben Atemzug mehr Abschiebungen. Die Union testet einen
       > neuen Kampfbegriff.
       
   IMG Bild: Fehlt heute im Stadtbild: Döner, der nur drei Euro kostet, wie hier in Fürstenwalde 2018
       
       Niemand kann leugnen, dass sich das Stadtbild in den vergangenen
       Jahrzehnten vielerorts stark verändert hat – insbesondere im Osten. Viele
       Innenstädte wurden dort mit Fördergeldern saniert, marode Bauten aus der
       DDR-Zeit abgerissen, und wo früher ein „Konsum“ war, zogen Kettenfilialen
       ein.
       
       Zugleich leidet der Osten unter Abwanderung und Deindustrialisierung. Viele
       der schmuck sanierten Dorfkerne und Innenstädte in Brandenburg oder Sachsen
       sind heute menschenleer und nur noch Kulisse für Ausflügler und Touristen –
       oder Treffpunkt für junge, oft männliche Geflüchtete, die sich dort
       einfinden, um der Enge ihrer Wohnheime zu entfliehen.
       
       Ohne die Fluchtmigration insbesondere nach 2015 wären manche ostdeutschen
       Orte komplett ausgestorben, und ohne ausländische Arbeitskräfte würde die
       Hotellerie und Gastronomie dort zusammenbrechen. Dadurch hat sich das
       Stadtbild gewandelt. Gerade ältere Menschen im Osten Deutschlands empfinden
       diesen Wandel oft als Verlust einer vertrauten Umgebung. Sie plagen
       Phantomschmerzen.
       
       Vor diesem Hintergrund muss man die beiläufige Bemerkung von Friedrich Merz
       einordnen, die er am Rande einer Pressekonferenz in Brandenburg fallen
       ließ. Bei der von der Union propagierten „Migrationswende“ sei man schon
       „sehr weit“ gekommen, sagte der Kanzler in Potsdam. Die Zahl der
       Asylanträge etwa sei stark zurückgegangen. „Aber wir haben natürlich immer
       im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister
       ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu
       ermöglichen“, [1][fügte Merz hinzu].
       
       Damit verknüpfte er in einem Satz das Thema Flucht und Migration mit der
       Rede von einem angeblich problematischen „Stadtbild“ – und indirekt damit
       auch mit dem Thema Kriminalität, denn abgeschoben werden sollen ja in
       erster Linie straffällig gewordene Asylbewerber:innen.
       
       ## Söder und Merz unisono
       
       Erst vor wenigen Wochen hatte Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus
       Söder, in einem Interview davon gesprochen, das Stadtbild müsse sich
       „wieder verändern“, und das ebenfalls in einen Zusammenhang mit Migration
       gebracht: Es [2][brauche einfach „mehr Rückführungen“]. Dass Merz und Söder
       fast wortgleich diese Formulierung wählen, deutet darauf hin, dass die
       Konservativen einen neuen Kampfbegriff gefunden haben, den sie nun testen.
       
       Die Rede vom „Stadtbild“ ist ein klassisches „Dogwhistle“: eine
       populistische Aussage, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden
       werden kann – ähnlich wie bei einer Hundepfeife, deren Töne aufgrund ihrer
       hohen Frequenz nur Hunde wahrnehmen.
       
       In der vermeintlich harmlosen Rede vom „Stadtbild“ können sich besorgte
       Bürgerinnen und Bürger wiederfinden, die sich an Leerstand, Graffiti an den
       Wänden oder Müll auf der Straße stören und wollen, dass ihr Dorf wieder
       schöner wird. Indem Merz und Söder das Aussehen von Innenstädten jedoch mit
       der Ankündigung verknüpfen, mehr abzuschieben, sprechen sie aber auch
       knallharte Neonazis an, die von „national befreiten Zonen“ träumen und
       jeden vermeintlichen „Ausländer“ aus dem Land werfen möchten – egal, wohin.
       
       Merz und Söder machen sich damit einen Kampfbegriff der AfD zu eigen, mit
       dem diese Erfolg hatte. In Gelsenkirchen warb die Alternative für
       Deutschland beim Kommunalwahlkampf „für eine saubere Heimat mit einem
       gepflegten Stadtbild“. Die albanischstämmige AfD-Landtagsabgeordnete Enxhi
       Seli-Zacharias forderte dort, arabische Ladenschilder aus der Innenstadt zu
       verbannen.
       
       ## Die Vagheit ist Programm
       
       Man mag es als Ironie empfinden, dass manche Parteifreunde sie selbst in
       bestimmten ostdeutschen Orten womöglich als „störend“ empfinden könnten.
       Aber die Vagheit des Begriffs „Stadtbild“ lässt solche Widersprüche zu. Die
       „Störung“ des Stadtbilds durch andere Menschen liegt daher ganz im Auge des
       Betrachters. Man sieht einem Menschen ja nicht an, ob er hier studiert oder
       arbeitet oder ob er kriminell ist, und ob er hier geboren wurde oder erst
       gestern als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist.
       
       Zu den Widersprüchen gehört auch, dass die Döner-Bude in vielen kleinen
       ostdeutschen Orten mittlerweile der einzige soziale Treffpunkt ist. Dort
       nehmen auch Anhänger der AfD und selbst beinharte Neonazis gerne
       gelegentlich einen Imbiss zu sich.
       
       Einem ominösen Stadtbild zuliebe diese Orte zu schließen – so weit würde
       selbst die AfD nicht gehen.
       
       15 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://x.com/Helge_Limburg/status/1978378107401756808
   DIR [2] https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-soeder-stadtbild-debatte-migration-afd-li.3319232?reduced=true
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
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