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       # taz.de -- Sichere Radinfrastruktur: Man möchte schreien „Handelt endlich!“
       
       > Unfälle durch aufschwingende Autotüren sind keine Unglücke des
       > Schicksals. Sie sind das Ergebnis einer ignoranten Verkehrspolitik.
       
   IMG Bild: Radfahrerinnen in Amsterdam: In den Niederlanden gelten Dooring-Unfälle übrigens als Planungsfehler, nicht als individuelles Pech
       
       Wanda Perdelwitz wurde nur 41 Jahre alt. Die Schauspielerin starb Anfang
       dieses Monats, nachdem sie in Hamburg mit dem Fahrrad unterwegs war. Der
       Beifahrer eines Transporters, das links neben der Radspur hielt, öffnete
       plötzlich seine Tür. Perdelwitz hatte keine Chance.
       
       Hätte dieser [1][sogenannte Dooring-Unfall] verhindert werden können? Ja.
       Durch einen Helm? Natürlich nicht. Kein Helm dieser Welt hält eine
       aufschwingende Autotür auf. Genauso wie kein Helm dieser Welt Autofahrer
       zwingt, die Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten. Oder Radfahrer mit dem
       vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zu überholen. Dass nach jedem Unfall
       dieser Art in Interviews und Internetforen reflexhaft die Frage nach dem
       Helm aufgeworfen wird, macht wütend.
       
       Wut. Ein verdammt starkes Gefühl. „Handelt endlich!“, möchte man schreien.
       
       Ja, der 28-Jährige hätte die Beifahrertür des Transporters nicht einfach
       öffnen dürfen. Deshalb wird gegen ihn nun auch ein Ermittlungsverfahren
       eingeleitet. In der Straßenverkehrsordnung, Paragraf 14, steht schließlich:
       Wer eine Tür öffnet, muss sicherstellen, dass niemand gefährdet wird.
       
       ## Ausreden für schlechte Infrastruktur
       
       Wobei in Berlin jüngst ein Taxikunde freigesprochen wurde, der auf die
       gleiche Weise einen Radfahrer tötete. Der Anwalt des Beklagten fand den
       Freispruch angemessen: „Es gibt Schicksalsschläge, unvermeidbare
       Ereignisse, die nicht strafbar sind.“
       
       Schicksal? Das ist doch das, was von einer höheren Macht vorherbestimmt
       ist, oder?
       
       Verkehrspolitik ist aber eben keine höhere Macht. Ihre Macher sitzen in
       Parlamenten und Ämtern. Es sind Menschen, die seit Jahren eine
       Infrastruktur verantworten, die ein unachtsames Türöffnen zur tödlichen
       Gefahr werden lassen. Bis heute planen sie Radwege, die direkt neben
       parkenden Autos verlaufen und einer Einladung zum Dooring gleichkommen.
       
       Unsere sogenannte Radwegeinfrastruktur besteht aus Stückwerk: hier ein
       Abschnitt auf der Fahrbahn, dann einer auf dem Bürgersteig, anschließend
       ein schmaler „Radfahrstreifen“ zwischen fahrenden und parkenden Autos.
       
       Was auf solchen Wegen passiert, ist kein Schicksal, ist kein Unfall,
       sondern [2][das Ergebnis schlechter Verkehrspolitik]. Noch immer werden
       unfallvermeidende Infrastrukturmaßnahmen [3][wie Kiezblocks] – also Areale
       ohne Durchgangsverkehr für Autos – oder das kostenneutrale
       [4][flächendeckende Tempo-30-innerorts] zuverlässig blockiert.
       
       ## Technische Lösungen gibt es schon
       
       Dabei könnte Unfallvermeidung sogar technisch gelöst werden: Kein modernes
       Auto muss Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten können. Ebenso gibt es
       längst „Tote-Winkel-Assistenten“, die warnen, wenn beim Abbiegen oder
       Türöffnen ein Rad- oder Rollerfahrer in Gefahr ist.
       
       In den Niederlanden gelten Dooring-Unfälle übrigens als Planungsfehler,
       nicht als individuelles Pech. Dort trennt man Rad- und Autoverkehr
       konsequent und lehrt in den Fahrschulen den „niederländischen Griff“ – also
       das Autotüröffnen mit der jeweils entfernten Hand, um sich selbst ans
       Umdrehen zu erinnern.
       
       In Deutschland [5][sterben derweil jährlich viele Hundert Menschen] beim
       Radfahren oder Zufußgehen, Tausende werden schwer verletzt. Die meisten
       dieser Unfälle sind Ergebnis eines Systems. Und sie sind nicht nur Zahlen
       in Statistiken, sondern Menschen, die fehlen – in ihren Familien, in ihrem
       Beruf, in unserem Leben. Eine neue Verkehrspolitik ist lange überfällig!
       
       Bis dahin bleibt neben der Wut vor allem Trauer und eine Leere, die niemand
       füllen kann. Mein herzliches Mitgefühl all jenen, die durch einen
       Verkehrsunfall einen Menschen oder ihre Gesundheit verloren haben.
       
       19 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fahrrad-Falle-in-Mitte/!5608610
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   DIR [5] https://www.zeit.de/mobilitaet/2025-10/toedliche-fahrradunfaelle-2024-radfahrer-unfallbilanz-verkehrssicherheit
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kerstin Finkelstein
       
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