# taz.de -- Fußball-Wunder in Afrika: Auf direktem Wege
> Einfach quer über den Ozean: Der afrikanische Außenseiter Kap Verde
> qualifiziert sich dank eines guten Scoutings erstmals für eine WM der
> Männer.
IMG Bild: Feiern wie die Weltmeister: Nationalspieler von Kap Verde nach dem letzten Spiel in der WM-Quali gegen Eswatini
Im Oktober schauen die Bewohner der Kapverden gern auf den Atlantik hinaus.
Es ist die Zeit, in der das Meer zuweilen den Blick auf vorbeiziehende
Manta-Rochen und Walhaie erlaubt – ein beliebtes Schauspiel. Am vergangenen
Montag wendeten beinahe sämtliche Einwohner der ehemaligen portugiesischen
Kolonie die Blicke ab. Man schaute auf TV-Geräte und Leinwände bei Public
Viewings. Zumindest all jene, die nicht zu den Glücklichen gehörten, die
ein Ticket fürs Fußballstadion ergattert hatten.
Das Fußballnationalteam der Kapverden trat im letzten Qualifikationsspiel
der WM 2026 gegen Eswatini an. Es war das ganz große Match. Die „Blauen
Haie“, wie das Team von seinen Leuten liebevoll genannt wird, hatten in den
vorangegangenen neun Partien der Gruppenphase Erstaunliches geleistet. Sie
führten die Tabelle vor dem großen Favoriten Kamerun an. Ein Sieg noch –
und die Sensation wäre geschafft.
Doch die Dinge liefen zäh. In der ersten Spielhälfte taten sich die
Inselkicker schwer gegen das enorm tief verteidigende gegnerische Team. 0:0
zur Halbzeit. Die Nerven wurden von Minute zu Minute ärger strapaziert. Und
dann – in der 48. Minute – die große Erlösung: Dailon Livramento fiel der
Ball nach einem Flankenball förmlich vor die Füße und der Stürmer vom
portugiesischen Klub Casa Pia vollendete per Rechtsschuss zur 1:0-Führung.
Der Bann war gebrochen.
Nun liefen die Angriffe flüssiger: Nur sechs Minuten später stand es nach
Willy Semedos Tor 2:0. Der Jubel auf dem Feld und den Tribünen im Stadion
Estádio Nacional de Cabo Verde kannte kaum noch Grenzen, man hatte Mühe,
die Spieler überhaupt zur Fortsetzung des Matches zurück aufs Spielfeld zu
bekommen. 3:0 stand es am Ende – die Kapverden hatten es geschafft: die
Qualifikation für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr.
## Lange gab es gar keine Nationalmannschaft
Man spricht bei derlei Ereignissen gern vom „Fußball-Wunder“. Ein
strapazierter Begriff, der die Dinge auf den Kapverden aber ganz gut
trifft. 530.000 Einwohner [1][leben auf 9 der 15 Inseln,] jahrelang
kämpften ganze neun Fußballvereine während eines einwöchigen Turniers um
die Meisterschaft. Allerdings sind die Kapverden mehr als ihre neun
bewohnten Inseln im Zentralatlantik. Weltweit leben mehr Menschen mit
kapverdischen Wurzeln außerhalb der Landesgrenzen des Inselstaates als
innerhalb. Erst 2005 wurde eine regelmäßige Meisterschaftsrunde eingeführt
– mit nun zwölf teilnehmenden Mannschaften, die seither Spieltag für
Spieltag zwischen den neun bewohnten Inseln des Landes hin- und
herschippern.
Tja, und eine Nationalmannschaft – die gab es lange gar nicht. Erst 1984
wurde eine Gruppe junger Fußballer der drei größeren Inseln São Vicente,
Santiago und Sal zusammengestellt, die das erste offizielle Länderspiel
bestritt. Gegen Sierra Leone bezog das unerfahrene Team damals eine
Niederlage, die mit 0:2 durchaus achtbar ausfiel. Für den Afrika-Cup oder
gar eine Weltmeisterschaft versuchte man sich lange erst gar nicht zu
qualifizieren. Man drückte stattdessen dem Team Portugals die Daumen, wenn
größere Events anstanden.
Bis Lúcio Antunes kam. Der Hobbyfußballer übernahm 2010 die
Nationalmannschaft. Er hatte eine Idee: Antunes schaute sich in der
Fußballwelt nach höherklassigen Spielern mit kapverdischen Wurzeln um. Der
damals 46-Jährige war erfolgreich. Mit Spielern aus Portugal, Frankreich
und vielen in Osteuropa tätigen Profis stellte er ein neues Team zusammen,
das 2013 die erste ganz große Sensation schaffte: Nachdem man in der
Qualifikation das afrikanische „Fußball-Schwergewicht“ Kamerun
ausgeschaltet hatte (2:0 und 1:2) qualifizierten sich die Kapverden 2013
erstmals für das Endturnier des Afrika-Cups in Südafrika. Und nicht nur
das: Man erreichte auf Anhieb das Viertelfinale des wichtigsten sportlichen
Ereignisses Afrikas. Für Antunes hatte der Fußball-Erfolg weitreichende
Folgen: Er musste seinen Job als Fluglotse aufgeben, setzte fortan ganz auf
die Karte Fußballtrainer.
## Das größte Problem: die Finanzen
Viele seiner Profis standen zwar lediglich in zweiten oder dritten Ligen in
Europa auf dem Platz. Aber sie waren begeistert von der Gelegenheit, für
ein Nationalteam zu spielen. Für manche startete die
Nationalmannschaftskarriere im Internet. Als etwa Roberto Carlos Lopes,
gebürtiger Ire, auf LinkedIn seine kapverdische Mutter erwähnte, nahm der
kapverdische Fußballverband Kontakt auf. Es dauerte damals etwas, bis Lopes
tatsächlich im Inseltrikot auf dem Rasen stand. Er hatte die Nachricht
zunächst ignoriert, weil er kein Portugiesisch konnte. Erst ein halbes Jahr
später – man hatte ihn nochmals angeschrieben – reiste er erstmals auf die
Inseln.
Die Finanzen waren bei aller fußballerischen Qualität das große Problem der
Kapverden. Das Land hat keine Bodenschätze, Landwirtschaft ist auf den
regenarmen Inseln vor der westafrikanischen Küste kaum möglich. Gerade
einmal umgerechnet 1.800 Euro pro Mann bekamen die Spieler damals nach der
geschafften Qualifikation für die Endrunde der Afrikameisterschaft. Um die
Reise nach Südafrika überhaupt finanzieren zu können, mussten
Sonderaktionen her. In den Wochen vor dem Turnier wurde eine Stiftung
gegründet, in die alle Bürger der Inselgruppe einzahlten. Zusätzlich zu den
Spenden gingen die Einnahmen aus einem Benefizkonzert und zehn Prozent aus
dem Verkauf einer Sonderbriefmarke in den Fonds, der letztlich die Reise
der Nationalmannschaft absicherte.
Heute – zwölf Jahre nach dem ersten großen Coup – hat sich einiges
geändert: Der finanzschwache Fußballverband bekam von Handelspartner China
für 15 Millionen Euro ein nagelneues Nationalstadion mit Kunstrasen in
Praia spendiert, in das 15.000 Zuschauer passen. Der Weltfußballverband
[2][Fifa hat zudem Entwicklungsgelder locker gemacht.] Trainer Antunes ist
mittlerweile abgelöst worden. Roberto Lopes spielt zwar immer noch, hat
aber beispielsweise auch schon den Weg an die Seitenlinie angetreten – er
bildet mittlerweile hauptamtlich Nachwuchsfußballer auf den Kapverden aus.
## Reif für den Triumph
Die Nationalmannschaft hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Aus dem
einstigen „One-Hit-Wonder“ von 2013 ist ein Team geworden, das wie
selbstverständlich den Großen des Kontinents die Stirn bietet. [3][2022
erreichte man das Achtelfinale beim Afrika-Cup], 2024 machte das Team den
Eindruck, als sei es reif für den ganz großen Triumph. Souverän
marschierten die „Haie“ durch die Vorrunde und das Achtelfinale der
Kontinentalmeisterschaft, ehe im Viertelfinale äußerst unglücklich im
Elfmeterschießen das Aus gegen Südafrika kam.
Für den kommenden Afrika-Cup, der ab dem 21. Dezember in Marokko
stattfindet, hat sich die Mannschaft ganz locker qualifizieren können.
Unter Nationaltrainer Pedro Brito, seit 2020 im Amt und von allen nur
„Bubista“ genannt, gilt das Team als einer der Mitfavoriten auf den
Titelgewinn.
Die Mannschaft ist gewachsen. Der aktuelle Star heißt Logan Costa, der
Innenverteidiger spielt für den spanischen Erstligisten FC Villareal. Sein
Marktwert wird auf 18 Millionen Euro geschätzt, damit ist er der
wertvollste Spieler der Nationalmannschaft. Nicht verändert hat sich die
Herkunft der Spieler. Sie alle erblickten zumeist in Europa das Licht der
Welt. Costa ist gebürtiger Franzose, genau wie die
Nationalmannschaftskollegen Steven Moreira vom US-Team Columbus Crew oder
Willy Semedo, der auf Zypern für Omonia Nikosia spielt.
Weitere Stars wie Wagner Pina von Trabzonspor oder Telmo Arcanjo vom
portugiesischen Erstligisten Vitória hätten auch für Portugal auflaufen
können. Alle haben aber Eltern oder Großeltern von den Kapverden und sind
nach Fifa-Regeln spielberechtigt für das Land. Heute sind alle 25
Nationalspieler Profis – verteilt auf 16 Länder, von den USA bis zur
Türkei.
Nun also der Coup – die WM-Teilnahme. „Diesen Menschen von den Inseln diese
Freude zu bereiten, ist enorm“, sagte Cheftrainer Bubista nach dem Sieg
gegen Eswatini. Er findet: „Es ist ein besonderer Moment bei der Feier zum
50. Jahrestag unserer Unabhängigkeit. Viele Leute hier in der Hauptstadt
Praia haben mir gesagt, die WM-Qualifikation sei das größte Ereignis auf
den Kapverden seit der Unabhängigkeit am 5. Juli 1975.“
## Tanz in der Hauptstadt
Verteidiger Moreira, der Mann von Columbus aus den USA, meinte: „Ehrlich
gesagt, habe ich in Europa gespielt und in der MLS gewonnen, aber wenn man
für sein Land spielt, ist das etwas anderes.“ Weiter strahlte er: „Ich kann
es nicht beschreiben – die Leidenschaft, die die Fans einem
entgegenbringen, ist einfach unglaublich. Und: Unsere Gruppe ist wie eine
Familie. Das sieht man, wenn wir Tore schießen, wir sind immer zusammen und
tanzen.“
Getanzt wurde am Montagabend in der Hauptstadt Praia noch lange. Nach dem
Jubelsturm im neuen Nationalstadion wurden die Feierlichkeiten ins
symbolträchtige Estádio da Várzea, verlegt, wo sich Tausende Fans zuvor zum
Public Viewing versammelt hatten. Dort, in diesem betagten Stadion, hatte
man 1975 die Unabhängigkeit gefeiert und hier bestritten die Kapverden im
Jahr 2000 ihre allerersten WM-Qualifikationsspiele.
Livemusik von Künstlern, die aus aller Welt eingeflogen waren, sorgten für
eine Party bis in den frühen Morgen. Im nächsten Jahr hoffen sie auf eine
WM mit der ehemaligen Kolonialmacht. Portugal hat die Qualifikation aber
noch nicht ganz geschafft – ein direktes Duell mit Cristiano Ronaldo und Co
würde die Blicke der Einwohner zweifelsohne wieder vom Meer in Richtung der
TV-Geräte wenden lassen.
18 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Nachtleben-auf-den-Kapverden/!5170578
DIR [2] https://inside.fifa.com/de/advancing-football/fifa-forward
DIR [3] /Qualifikationsspiele-zum-Afrika-Cup/!5081820
## AUTOREN
DIR Olaf Jansen
## TAGS
DIR Fußball-WM
DIR Afrika
DIR Außenseiter
DIR Social-Auswahl
DIR Kolumne Latin Affairs
DIR Afrika-Cup
DIR Handball-WM
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Vor der WM in Nordamerika: Ein Fußball-Fest in Mexiko
Vorfreude auf die Fifa-Spiele: Neben USA und Kanada sollen 2026 in
Mexiko-Stadt, Monterrey und Guadalajara WM-Partien steigen.
Immobilienbesitzer freut's.
DIR Gastgeber Kamerun beim Afrika-Cup: Hüpfen in der Ferne
Beim Afrika-Cup in Kamerun wird deutlich mehr auf den Straßen als in den
Stadien gefeiert. Das hat nicht nur mit den Ticketpreisen und Corona zu
tun.
DIR Deutsche Handballer im WM-Achtelfinale: Corona entscheidet Spiel
Die deutschen Handballer gewinnen gegen Kap Verde, weil das Team zu viele
Corona-Ausfälle zu verbuchen hat. Ungarn ist der nächste Gegner.
DIR Qualifikationsspiele zum Afrika Cup: Nobodys schaffen Fußball-Wunder
Das Spiel Senegal gegen die Elfenbeinküste musste wegen übler Randale
abgebrochen werden. Tags darauf vollbrachten die Kapverden ein kleines
Fußball-Wunder.