URI: 
       # taz.de -- Ein Kohlehändler über Beharrlichkeit: „Ich bleibe bis zum Schluss“
       
       > Wer in Berlin Kohle braucht, ruft bei Dirk Kögler an. Der Kreuzberger hat
       > sie im Angebot. Er ist einer der letzten Kohlehändler in der Stadt.
       
   IMG Bild: „Der letzte Mohikaner“, so nennt sich Dirk Kögler selbst. So viele Kohlenhändler gibt es ja wirklich nicht mehr
       
       Wenn Dirk Kögler die Bestellungen in seiner Kreuzberger Brennstoffhandlung
       am Festnetztelefon entgegennimmt, kommt die Rechenmaschine zum Einsatz.
       Namen und Adressen werden säuberlich mit Kuli auf einem Block notiert.
       Obwohl er dick angezogen ist – der Allesbrenner in der Ecke ist aus –,
       sieht man dem stämmigen Mann die körperliche Arbeit an. Er hat Kohlenstaub
       auf Gesicht und Händen – vor der Nachmittagsschicht im Büro wurde
       ausgeliefert. Kögler zündet sich eine Zigarette an. 
       
       Dirk Kögler: Bin gerade erst rein. Heute Morgen hat sich ein Fahrer
       krankgemeldet, da mussten wir mit zwei statt mit drei Lkws fahren.
       Normalerweise schleppe ich ja nicht mehr mit, aber heute musste ich mit
       ran. Mit vier Leuten haben wir knapp 180 Zentner weggemacht.
       Braunkohle-Briketts vor allem, aus der Lausitz, das meiste die Treppen hoch
       bis in die Wohnungen. Die jungen Leute wollen heute nicht mehr schleppen,
       und die Alten schaffen es nicht mehr.
       
       taz: 180 Zentner, das sind also 9 Tonnen. Ist das normal für einen Tag?
       
       Kögler: Heutzutage ja. Früher haben wir 15 bis 20 Tonnen geschafft. Als ich
       Kind war, haben wir aber auch nur hier im Karree gearbeitet, ganze Häuser
       und Straßenzüge haben wir beliefert. Nach der Wende waren auch Großkunden
       dabei, ein Krankenhaus zum Beispiel. Heute liefern wir in das ganze
       Berliner Stadtgebiet. Auch das Kohlenlager ist weit weg, in Britz, da
       müssen wir morgens alles aufladen. Bis vor ein paar Jahren habe ich meinen
       Lkw hier vor der Tür geparkt und darauf Kohlen zwischengelagert, das geht
       jetzt nicht mehr – [1][Parkraumbewirtschaftung]. Das Hauptproblem ist aber,
       dass wir nicht mehr Auto fahren können. Überall sind diese Poller, [2][zur
       Verkehrsberuhigung]. Neulich haben wir eine Dreiviertelstunde gebraucht, um
       zum Abladen in eine Straße zu kommen. Und dann stehen überall die
       Paketlieferanten rum. Und das Ordnungsamt verteilt Strafen. Das macht alles
       keinen Spaß mehr.
       
       taz: Früher gehörten mit Kohlen beladene Lkws zum Berliner Stadtbild dazu. 
       
       Kögler: Ja. In den 70er Jahren waren wir in Westberlin 970
       Kohlenhandlungen.
       
       taz: Neben Ihnen findet Google nur noch „Holz-Kohle“ in dieser Gegend. Das
       ist jetzt aber eine Bar … 
       
       Kögler: Soweit ich weiß, gibt es in ganz Berlin nur noch den Teiche, den
       Engelke und mich. Die Alten haben alle dichtgemacht, da kam keiner mehr
       nach. Ich bin der einzige, der weitergemacht hat.
       
       taz: Und auch Sie sind schon vier Jahrzehnte dabei. Geht das nicht auf den
       Rücken? 
       
       Kögler: Nee, Rücken haben Kohlenträger meistens nicht. Wir haben alle mit
       15, 16 angefangen, da baut sich genug Muskulatur um die Wirbelsäule auf.
       Das Problem sind die Gelenke, die gehen mit der Zeit kaputt. Deswegen muss
       ich mich beim Tragen jetzt ein bisschen bremsen.
       
       taz: Sie haben die Kohlenhandlung von Ihren Eltern übernommen. 
       
       Kögler: Ja. Ich führe das Geschäft nun schon in der vierten Generation,
       mein Uropa mütterlicherseits hat das Geschäft gegründet. Wir sind alle in
       Kreuzberg geboren und waren alle in der Kohle, auch die Cousins und
       Cousinen. Es gab den Laden in der Nostitzstraße und dann den hier in der
       Körtestraße, seit 1907, glaube ich.
       
       taz: Der Laden heißt noch nach Ihrem Vater. 
       
       Kögler: Ja, er ist 2020 gestorben. Ich hab ihn hier im Büro auf dem Boden
       gefunden. Jetzt bin ich der Letzte. Sonst gibt es nur noch den Onkel. Der
       hat früher immer gekotzt, wenn er mit dem Alten mit musste. Mir hat das
       gefallen. Schon mit drei haben sie mich mit auf Tour geschickt,
       wahrscheinlich, damit sie mich unter Kontrolle haben. Mein Opa hat viel
       erzählt, und erlebt hat man unterwegs auch immer was. Und zur Senatsreserve
       zu fahren war auch immer schön.
       
       taz: Was ist Senatsreserve? 
       
       Kögler: Westberlin hatte damals stadteigene Lager, falls mal eine Blockade
       kommt. Das waren riesige Kohlenberge auf verschiedenen Plätzen, verteilt
       über die Stadt. Auf die mussten wir zugreifen, wenn nichts aus der DDR kam.
       Von dort kriegten wir die Kohle ja, da gab es ein Abkommen. Und wenn die
       drüben im Oktober die Güterwaggons für die Kartoffel- oder Rübenernte
       brauchten, dann kam hier nichts mehr an, und wir mussten zur Reserve. Da
       haben sich alle Kohlenarbeiter getroffen, und es wurde viel gequatscht. Das
       fand ich toll.
       
       taz: Trotzdem haben Sie in den 80er Jahren erst mal einen anderen Beruf
       gelernt. 
       
       Kögler: Ich hab sogar Abitur gemacht. Meine Mutter wollte, dass ich zur
       Bank gehe oder zur Versicherung. In den 80er Jahren sah es ja auch so aus,
       als ob bald Schluss ist mit Kohle, immer mehr Häuser waren saniert. Zwar
       gab es ein Gesetz, das vorschrieb, dass mindestens eine Feuerstelle pro
       Wohnung erhalten bleibt, insgesamt wurden es aber weniger. Ich hab dann
       eine Ausbildung als Speditionskaufmann gemacht. Aber dann fiel die Mauer,
       und hier im Geschäft war tierisch was los.
       
       taz: Ohne den neuen Markt in Ostberlin wären Sie nicht in das Geschäft
       eingestiegen? 
       
       Kögler: Richtig, ich bin ein Wendeopfer (lacht). Nee, ich hab mich darüber
       gefreut. Ich hab ja schon vorher beim Tragen geholfen und ich mochte die
       Arbeit.
       
       taz: Was genau mochten Sie daran? 
       
       Kögler: Den Umgang mit der Kundschaft. Heute kommen 98 Prozent übers
       Telefon, bei meiner Oma hat vielleicht einmal die Woche das Telefon
       geklingelt, da kamen alle hier rein und haben persönlich bestellt. So eine
       Straße war wie ein Dorf. Die Leute haben hier ein Leben lang gewohnt, die
       kannte man schon aus der Schule. Auch die Leute aus den Geschäften wohnten
       hier alle, die Kassiererin von Reichelt hast du an Heiligabend in der
       Kirche getroffen. An jeder Ecke wurde man begrüßt, mit jedem Kunden wurde
       kurz gequatscht. Klar, manchmal konnte das auch lästig werden. Zum Beispiel
       die Vertriebenen. Deren Geschichten konnte ich irgendwann nicht mehr hören.
       
       taz: Wieso? 
       
       Kögler: Jedes Mal, wenn ich dahin bin, haben die von Königsberg und
       Schlesien und so erzählt, dann wurde das Fotoalbum ausgepackt und geflennt.
       Die wussten, im Winter haben wir keine Zeit dafür und haben dann extra im
       Frühjahr bestellt. Tja, und dann musste man sich setzen und Fotos
       anschauen.
       
       taz: Was für ein Extraservice! 
       
       Kögler: Normal. Wir haben den alten Leuten auch die Asche runtergetragen
       oder die Mülltüte. In der Coronazeit hat mich ein Kunde gebeten, ihm
       Klopapier mitzubringen. Der war deswegen schon dreimal vergeblich die
       Treppen runter. Hab ich natürlich gemacht.
       
       taz: Die Bevölkerung dieser Stadt hat sich schon sehr verändert. 
       
       Kögler: Ja, richtige Berliner gibt es hier eigentlich nicht mehr. Die
       kommen aus Hamburg und München, bleiben 2,3 Jahre und ziehen dann weiter.
       Früher hatte ich Kunden, da hab ich die Kinder aufwachsen sehen. Und die
       mich natürlich auch.
       
       taz: Sind die neuen Berliner:innen auch anders drauf? 
       
       Kögler: Ja, das merk ich schon bei der Bestellung. Irgendwann hab ich eine
       E-Mail gekriegt, da stand drin: Ich bestelle 3 Tonnen zu dem und dem Tag.
       Wie stellt der sich das vor?! Ich muss doch meine Touren planen, außerdem
       weiß ich doch gar nicht, ob ich an dem Tag genug Platz auf dem Lkw hab.
       Auch hab ich mittlerweile fast Angst, den Leuten zu sagen, dass ich um acht
       komme, vor zehn steht ja kaum einer auf. Einer hat mich mal gefragt:
       Liefern Sie auch nach 22 Uhr?
       
       taz: Das ist die Lieferando-Bestell-Mentalität. 
       
       Kögler: Ja, genau. Die wollen alles immer sofort. Die lagern auch nicht
       mehr ein. Früher haben die alten Leute noch vor dem Urlaub eingekellert,
       das war noch die Mentalität aus dem Krieg, so nach dem Motto: Frieren ist
       schlimmer als hungern. Da ging es also im Juni schon wieder los. Heute hab
       ich bis September nichts zu tun. Viele werden auch erst wach, wenn es
       plötzlich kalt wird. Dann kommt der ganze Stress auf einmal.
       
       taz: Und was machen Sie dann in den Sommermonaten? 
       
       Kögler: Ich fahre Pflanzen aus. Früher habe ich auch eine Weile auf dem Bau
       beim Abriss gearbeitet, aber das war nichts für mich, immer an einem Ort
       sein, immer mit denselben Leuten. Ich komme gern rum.
       
       taz: Haben Sie da nie überlegt, aus Berlin weg und in die Welt zu gehen? 
       
       Kögler: Nein, nie. Als ich zwanzig war, fiel ja auch die Mauer, da kam die
       Welt hierher! Da war was los. Nicht nur im Geschäft, sondern überhaupt. Für
       eine Weile war das wie ein rechtsfreier Raum hier, da konnte man alles tun.
       Überall war Fete angesagt.
       
       taz: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Tour nach Ostberlin? 
       
       Kögler: Nein. Viele Ostberliner waren aber froh, dass sie jetzt woanders
       bestellen konnten. Einige Kohlenhändler im Osten waren ja wie der liebe
       Gott, der über das begehrte Gut entscheidet. Die haben ihre Kunden richtig
       schlecht behandelt. Tja, und das hat sich dann gerächt. Das hat mir mein
       Vater schon beigebracht: Behandele die Leute anständig, sonst bleiben sie
       weg. Deswegen habe ich 2022, als die große Energiekrise war, auch niemanden
       extra bedient. Da haben alle Kunden das Gleiche gekriegt.
       
       taz: Bleiben wir noch etwas in der Wendezeit. Neben vielen neuen Kunden
       brachte der Mauerfall ja auch Konkurrenten, oder? 
       
       Kögler: Ja, aber die hatten kein Personal mehr. So ein DDR-Kohlenarbeiter
       hat 33 Ost-Pfennig gekriegt für den Zentner, mit in den Kriechkeller
       krabbeln und in die Kästen stecken und so. Eine Straße weiter hat der
       Kohlenarbeiter aber eine Mark West gekriegt und musste dafür nur Kohlen
       reinbringen. Zack, da waren die Arbeiter weg.
       
       taz: Wie lang hat der Boom im Kohlengeschäft gedauert? 
       
       Kögler: Kurz. Innerhalb von vier bis fünf Jahren haben die im Osten alle
       Öfen rausgekloppt. Das ging viel schneller als in Westberlin.
       
       taz: Der Gedanke, dass es mit dem Geschäft bald Schluss sein könnte, hat
       Sie also immer begleitet. 
       
       Kögler: Mein Opa hat schon immer gesagt: Mit der Kohle ist es bald vorbei.
       Das war in den Siebzigerjahren. Jetzt ist 2025, und ich und mein Onkel sind
       immer noch da! Und die Alten gucken uns von oben zu. (lacht) – Nee, ich
       halte es wie meine Eltern: Alles ohne Angst, nichts ohne Sorgen. Zur Not
       geh ich wieder Lkw fahren.
       
       taz: Der politische Wandel bedroht Ihr Geschäft ja nicht nur, er feuert es
       auch manchmal an. 
       
       Kögler: Ja. Als der Krieg in der Ukraine losging, haben die Leute hier bis
       zur Ecke gestanden. Jeder, der noch einen Ofen hatte, wollte Kohlen im
       Keller haben. Für den Fall, dass die Russen das Gas abdrehen.
       
       taz: Bei einer so hohen Nachfrage kann man den Preis kräftig erhöhen … 
       
       Kögler: Das mache ich grundsätzlich nicht. Die Kohle ist ja schon so viel
       teurer geworden, das ist ja an den Gaspreis gekoppelt. Wenn ich heute zu
       den Leuten komme, dann sind die Fenster vor Kälte beschlagen, die heizen
       oft nur noch ein Zimmer. Früher in den Siebzigern, da haben mir die Leute
       im Unterhemd aufgemacht.
       
       taz: Ihre Preispolitik geht also auch auf den Anstandsappell Ihres Vaters
       zurück. Was haben die Eltern Ihnen sonst noch mitgegeben? 
       
       Kögler: Zum Beispiel, dass, wenn jemand eine andere Meinung hat, du den
       zwar doof finden kannst, dem wird aber nichts getan. Leben und leben
       lassen, so haben sie mich erzogen. Und so lebe ich bis heute. Und deswegen
       verstehe ich auch nicht, dass die da alle aneinander geraten und rumwüten.
       
       taz: Sie spielen auf die oft angeheizte Stimmung in den gesellschaftlichen
       Debatten an. Bekommen Sie die in Ihrem Alltag zu spüren? Gibt es etwa
       Leute, die Sie dafür anpöbeln, dass Sie trotz des Klimawandels noch Kohle
       verkaufen? 
       
       Kögler: Nein, so was hört man eher hinten rum.
       
       taz: Auf meine Anfrage hin haben Sie aber gezögert, ob Sie bei diesem
       Interview mitmachen wollen.
       
       Kögler: Ja. Ich will nicht, dass einer auf die Idee kommt, meinen Laden
       oder den Lkw anzuzünden. So was ist einem Bekannten passiert. Dem haben sie
       zwei Betonmischer angezündet.
       
       taz: Es sind nicht nur Aktivisten, die meinen, dass mit der Kohle endlich
       Schluss sein muss. Auch Politik und Wissenschaft fordern das. Können Sie
       das verstehen? 
       
       Kögler: Ich bin kein Freund davon, alles radikal zu machen. So wie früher,
       radikal die Straßenbahn weg. Oder die Güterzüge. Ich hab die Kohle immer
       mit der Eisenbahn bekommen, dann haben sie die Schienen rausgeholt. Jetzt
       kriege ich sie mit Lkws. Das ist doch auch nicht umweltfreundlich. Und dann
       heißt es, Gas ist besser als Kohle, [3][und sie bauen so was wie diesen
       LNG-Terminal.] Die ganze Erde bebt, die Robben sind alle weg, alles
       versaut. Das ist doch Mist.
       
       taz: Als „letzter Mohikaner“ im Kohlengeschäft haben Sie sich inzwischen
       einen richtigen Namen gemacht. 
       
       Kögler: Ja, über mich wurde schon so einiges geschrieben. Am Schlimmsten
       war ein Artikel, in dem behauptet wurde, dass Schluss ist mit der Kohle.
       Das hat mich fast Kunden gekostet, weil die alle dachten, dass ich aufhöre.
       
       taz: Wird hier der Ofen im Kohlenhandel denn nicht bald aus sein? 
       
       Kögler: Das Geschäft wird immer weniger, aber noch läuft es. Und ich bleibe
       bis zum Schluss.
       
       21 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Parkraumbewirtschaftung-in-Kreuzberg/!6094933
   DIR [2] /Verkehrswende-in-Berliner-Kiezen/!5782417
   DIR [3] /LNG-Importe-aus-den-USA/!6096070
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karlotta Ehrenberg
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Lesestück Interview
   DIR Kohle
   DIR Kohleausstieg
   DIR Fossile Brennstoffe
   DIR Berlin-Kreuzberg
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mechanikerin über den männlichen Blick: „Ach, Sie sind also die Frau vom Chef“
       
       Katrin Ludwig arbeitet seit fast 14 Jahren als Zweiradmechanikerin. Dass
       sie die Technik beherrscht, können manche Kunden immer noch nicht glauben.
       
   DIR Vom taz-Drucker zum S-Bahn-Fahrer: „Wer liest heute schon noch gedruckte Zeitungen?“
       
       Als Drucker hat Jürgen Rademacher die taz gedruckt. Dann schulte er um zum
       S-Bahn-Fahrer. Seitdem sieht er, wie Licht und Tageszeiten wechseln.
       
   DIR Klimaaktivistin über langen Atem: „In diesem Sinn bin ich wohl eine Staatsfeindin“
       
       Hanna Poddig ist schon seit 20 Jahren Vollzeit als Aktivistin unterwegs.
       Sie kennt sich so inzwischen mit Knästen und auch Talkshows aus.