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       # taz.de -- Theater in Senftenberg: Ich quäle mich, also bin ich
       
       > Eine Sporthalle wird zur Theaterbühne und mit ihr die Erinnerung an den
       > Sport in der DDR. Weniger sportlich ist der Umgang mit dem Intendanten.
       
   IMG Bild: Aus dem Festspiel „Aktivist“
       
       Seit er vor drei Jahren als Intendant der [1][„Neuen Bühne Senftenberg“]
       begonnen hat, gewinnt der Intendant Daniel Ris mit spektakulären
       Spielzeitauftakten an historischen Orten immer mehr Zuschauer und steigert
       damit die Eigeneinnahmen des Theaters. Überregional wird die Bühne
       inzwischen wieder so beachtet wie in den Zeiten der DDR. Ende September
       startete man nun in der riesigen Niederlausitzhalle, spielte also wieder
       mit Stadtgeschichte.
       
       1959 als Sporthalle „Aktivist“ eröffnet, galt sie mit dem neuen Stahldach
       als größte freitragende Sporthalle Europas. In drei Wochen beginnt ihr 35
       Millionen Euro teurer Umbau zu einer Mehrzweckhalle. Warum erhielt
       [2][Daniel Ris] im März dieses Jahres von den Trägern der Stadt Senftenberg
       und dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz überraschend die Mitteilung, sein
       2027 auslaufender erster Fünfjahresvertrag werde nicht verlängert?
       
       Bis heute wird über die Gründe spekuliert. Denn der Intendant hat einen
       gleichgeschlechtlichen Lebenspartner, gibt sich bunt-vielfältig und redet
       auf Veranstaltungen gegen Nazis. Man sei froh, dass das Raunen und Flüstern
       darum nun wieder Befassung mit der Kunst weiche, so wird man in Senftenberg
       empfangen.
       
       Na ja, künstlerische Maßstäbe sollte man beim Auftakt nicht so streng
       anlegen. Im ersten Teil eine stimulierende Debatte um die Rolle des Sports
       in der DDR und heute und im zweiten Teil eine unterhaltsame Show. Acht
       Spielerinnen und Spieler üben sich anfangs in Volkssport. Bald diskutieren
       sie über eine „Es war nicht alles schlecht“-DDR, die sich neben einer Bühne
       in der Kleinstadt Senftenberg eben auch die in jeder Hinsicht beachtliche
       Halle für Breiten- und Spitzensport leistete.
       
       ## Auch der militante Sportunterricht der DDR wird parodiert
       
       Die Texte des erst 1991 geborenen polnischen Regisseurs [3][Kajetan
       Skurski] zur DDR, die ihre Anerkennungskomplexe mit einer weltweit
       unvergleichlichen Sportförderung kompensierte, klingen anfangs
       ausgesprochen ostalgisch. Sportleidenschaft steht vor politischer
       Verzweckung. Ehrgeiz gepaart mit Gemeinschaftsgeist, Selbstüberwindung,
       Persönlichkeitsentwicklung, so etwas wie Zucht.
       
       „Wer sich bewegt, ist müde und kommt abends nicht auf dumme Gedanken.“
       Demgegenüber heißt es zur Zeitenwende 1989: „Ein Mensch ist im neuen System
       nicht mehr viel wert.“ Erst mit dem Schicksal des von der Stasi
       ausgebremsten Radsporttalents [4][Wolfgang Lötzsch] erscheint die Kehrseite
       der Debatte.
       
       Nun wird der militante Sportunterricht in der DDR parodiert, klingt Doping
       an und die totale Hingabe an sportliche Spitzenleistungen wird hinterfragt.
       Wenn sich dann das Publikum auf Nebenräume der Halle verteilt, beginnt
       wirkliches Theater. Vielleicht ist das Solo der Schauspielerin Catharina
       Struwe das erschütterndste.
       
       Ja, sie habe als Trainerin „die Mädchen laufen lassen, bis sie spuckten“.
       „Ich wollte, dass sie gewinnen, aber nicht für die DDR, sondern für mich.“
       Weil ein tiefes Vertrauensverhältnis zu ihren Schützlingen bestand. „In
       ihren Augen war Feuer“, beschreibt sie. Und vergleicht sie mit einer nicht
       mehr belastbaren Generation heute, die mimosenhaft auf ihre Unversehrtheit
       achtet.
       
       ## Der Abend ist pulikumsnah
       
       Im zweiten Teil kam dann nur noch Show mit Spielmannszügen, Chor und
       Sportgruppe plus Supersportlerin Michaela. Das ist publikumsnah, nicht im
       Ansatz linksextremistisch, sondern identitätsstiftend. Mithin
       lausitztröstend.
       
       Nach seinem De-facto-Rauswurf ärgert sich Intendant Daniel Ris, dass sein
       Traum von zehn Theaterjahren in Senftenberg gestoppt wurde. Er freut sich
       aber auch auf seine jetzt beginnende vierte Spielzeit – und fährt zugleich
       zum ersten Bewerbungsgespräch jenseits von Senftenberg. „Der Drops ist
       gelutscht“, resümiert er halbernst. Der Träger-Zweckverband von Kreis und
       Stadt, der ihn unbedingt loswerden will, wird in Kürze ebenfalls eine
       Neuausschreibung der Intendantenstelle veröffentlichen.
       
       Welche Vorwürfe konkret an Daniel Ris hängenbleiben, ist nach wie vor
       unklar. Ende August hatte er fundiert und ausführlich auf eine
       Pressemitteilung der Träger entgegnet. Darin waren ihm Führungsfähigkeiten
       und eine „konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ abgesprochen,
       strukturelle Mängel und ein angeblicher Schaden von 250.000 Euro angelastet
       worden.
       
       Über Andeutungen geht auch Senftenbergs Bürgermeister Andreas Pfeiffer
       (CDU) im Gespräch nicht hinaus. An der künstlerischen Eignung des
       Intendanten bestehe kein Zweifel, versichert er. Auffallend oft redet er
       von Strukturreformen, womit jedoch kein weiterer Personalabbau gemeint sein
       soll. Ein Thema ist aber offenbar die anderswo übliche künftige Trennung
       von Intendanz und kaufmännischer Geschäftsführung. Oder geht es im
       AfD-beherrschten Raum Senftenberg doch um Haltungsfragen?
       
       2 Oct 2025
       
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   DIR Michael Bartsch
       
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