# taz.de -- Erforschung des Niederdeutschen: Moin, Digger!
> Die Hamburger Fachstelle Niederdeutsch erforscht Dialekte, Identität und
> Sprachvariation und erstellt ein Mittelniederdeutsches Wörterbuch.
IMG Bild: Weitergabe mit institutioneller Hilfe: Plattdeutsch-Unterricht
Man muss sich Ingrid Schröder als eine Mischung aus Sprachhistorikerin und
Detektivin, vor allem aber als wache Beobachterin vorstellen. Die
Professorin für Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität
Hamburg ist in Achim bei Bremen geboren. Sie ist mit der plattdeutschen
Sprache aufgewachsen, anders als die meisten heute.
„Rund 15 Prozent der Bewohner Norddeutschlands sind
Niederdeutsch-kompetent. Auch wenn sie es nicht aktiv sprechen, ist die
Kenntnis da. In der Stadt sieht das anders aus“, sagt sie.
Die von Schröder geleitete Niederdeutsch-Arbeitsstelle betreibt regionale
Sprachforschung, fragt nach den regional vorkommenden Dialekten, aber auch
nach der Beziehung zwischen Dialekten und Standardsprache: „Regionale
Sprache wird benutzt, um lokale Identität anzuzeigen – der Becher mit
Hamburg-Motiv und plattdeutschem Spruch bekundet, dass man sich hier zu
Hause fühlt. Das ist das moderne Thema, zu dem wir forschen.“
Niederdeutsch ist in der Großstadt-Kommunikation außer dem „Moin,
moin“-Gruß kaum zu hören. Was bewirkt es da, wenn der ÖPNV-Ansagen auf
Platt macht oder Restaurants plattdeutsche Speisekarten auslegen?
## „Digger“ ist ein Mix aus Norddeutsch und Dänisch
Anhand zahlreicher Interviews hat die Arbeitsstelle herauszufinden
versucht, [1][wie Sprachkontakt und Sprachvariation im städtischen Raum
aussehen]. Die Zugänge sind unterschiedlich. Je nachdem, ob man dem
Niederdeutschen im Theater oder Konzert oder auf der Arbeit begegnet, kann
sich das Verhältnis zum Plattdeutschen wandeln, von der Adaption bis hin
zur Tradierung.
Die Sprachverwendung wird zum identitätsstiftenden Moment wie beim Wort
„Digger“, einem Mix aus Norddeutsch und Dänisch. Es wurde in den
1990er-Jahren popularisiert, auch über den Hip-Hop. Dieses eigentlich
regionale Substrat wird benutzt, weil man jung ist, weil die Freunde es
tun, um ein cooles Image zu haben. Schröder erläutert: „So hat sich das
Wort abgelöst vom regionalen biografischen Ursprung und ist sozial
verortet.“ Sprachforschung und Sprachsoziologie liegen also eng
beieinander.
Darüber hinaus beschäftigt sich die Arbeitsstelle mit dem
„Mittelniederdeutschen Wörterbuch“, dem Niederdeutschen als Lingua franca
des Hanseraums. Hier geht es um die Kunst des langen Atems: „Ein Wörterbuch
ist ein absolutes Grundlagenprojekt. Ohne Wörterbuch können wir eine
Sprache weder erkennen noch lernen, das ist wie bei den Fremdsprachen.
Entscheidend ist dabei die Verbindung von Sprache und
[2][Kulturgeschichte].“
Schröder hofft, das 1923 gegründete Wörterbuch in diesem Jahrzehnt
abschließen zu können. Die Laufzeit ist der Tatsache geschuldet, dass jeder
Eintrag mit dem jeweiligen Sachhintergrund unterfüttert sein muss. Ein Wort
aus dem Warenverkehr etwa erfordert vertiefte Recherchen über Handelsströme
im Mittelalter.
## Das Besondere am Wörterbuch-Schreiben
Dieses Detektivische, das unerbittlich Genaue schreckt Ingrid Schröder
keineswegs. Sie hat als studentische Hilfskraft in Göttingen schon an eben
diesem Wörterbuch gearbeitet.
Schröder: „[3][Wörterbuch-Schreiben] macht Spaß. Diese Textsorte ist
strenger reglementiert ist als jede andere. Da muss man überlieferte Texte
befragen, die das Wissen über eine vergangene Gesellschaft vermitteln und
dies sehr komprimiert darstellen. Wie die Menschen damals lebten, ergibt
sich nicht nur aus Rechtstexten und Verträgen, sondern auch aus
Kochbüchern. Man taucht ein ins damalige Alltagsleben.“
Das macht die Hamburger [4][Niederdeutsch-Forschung] so faszinierend und
kostbar – sie schließt eine vergangene Welt auf, aber auch die sprachliche
identitätsstiftende Vielfalt unserer Gegenwart. Frauke Hamann
18 Oct 2025
## LINKS
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DIR [2] /Das-Haus-des-Reisens-in-Berlin/!6107386
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## AUTOREN
DIR Frauke Hamann
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