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       # taz.de -- Parlamentswahl in Tschechien: Babiš räumt ab
       
       > Der Rechtspopulist Babiš gewann die tschechische Parlamentswahl noch
       > deutlicher als erwartet. Nun steht eine schwierige Regierungsbildung
       > steht bevor, viele Fragen bleiben offen.
       
   IMG Bild: Der Vorsitzende der oppositionellen „ANO“ (JA), Andrej Babiš, gewinnt die Parlamentswahl
       
       Prag taz | Tschechien hat gewählt, das Ergebnis ist eindeutig: [1][Andrej
       Babiš] ist zurück. Seine rechtspopulistische Ano („Ja“) übertraf alle
       Erwartungen und wurde stärkste Kraft. Sie kam laut vorläufigem Ergebnis auf
       34,9 Prozent, ein Plus von 7,7 Prozentpunkten. Die bisher regierende
       Mitte-Rechts-Koalition Spolu („Gemeinsam“) von Premierminister Petr Fiala
       stürzte dagegen auf 23,1 Prozent ab (minus 4,6 Prozentpunkte). Die
       Wahlbeteiligung lag bei knapp 69 Prozent, dem höchsten Wert seit mehr als
       20 Jahren.
       
       Leicht unter den Erwartungen blieb die rechtsradikale SPD, die auf 7,8
       Prozent kam (minus 1,8 Prozentpunkte). Sie steht für nationale
       Souveränität, strikte Migrationskontrolle und ein Referendum über EU- und
       Nato-Mitgliedschaft. Auch die erstmals kandidierenden „Motoristen“ sind dem
       rechten Lager zuzuordnen – sie kamen auf 6,8 Prozent und ziehen damit ins
       Parlament ein. Die Partei positioniert sich gegen den Green Deal, für
       billigere Energie und autofreundliche Politik. Die EU-Mitgliedschaft
       stellen sie jedoch nicht in Frage.
       
       Nicht ins Parlament geschafft hat es, durchaus überraschend, die
       linksradikal-nationale Stačilo! („Genug“), die sich unter anderem für einen
       EU- und Nato-Austritt ausspricht. Sie kam nur auf 4,3 Prozent und blieb
       damit unter der Fünfprozenthürde. Durchaus respektabel schnitten die
       moderate Bürgermeisterpartei Stan (11,1 Prozent) sowie die linken „Piraten“
       (8,8 Prozent) ab, die beide zuletzt mitregierten.
       
       Der Wahlerfolg von Andrej Babiš, gegen den immer wieder Korruptionsvorwürfe
       im Raum standen, erklärt sich aus einem Paradox: Objektiv gute
       Wirtschaftsdaten – deutliches Wirtschaftsdatum, niedrige Schuldenquote –
       trafen auf negative Stimmung in der Bevölkerung. Die Preise sind deutlich
       gestiegen, die Reallöhne stagnieren jedoch seit vier Jahren, sagt
       Politologe Vít Dostál. „Die Menschen erinnern sich, dass ihre
       wirtschaftliche Situation zwischen 2017 und 2021 besser war. Also jene
       Zeit, in der Babiš regierte“, sagt Dostál, der die Gesellschaft für
       Außenpolitik AMO in Prag leitet.
       
       Premier Fiala schaffte es zudem in den letzten vier Jahren nicht, zentrale
       Wahlversprechen wie die Lösung der Wohnungskrise einzuhalten. Die
       Protestparteien, allen voran Babiš, nutzten diese Unzufriedenheit geschickt
       aus. Die Ano-Kampagne kritisierte die Regierung, bot aber selbst kaum
       Lösungen an. Wie Babiš seine Versprechen – etwa günstigere Hypotheken,
       höhere Renten, mehr Sozialleistungen – finanzieren will, ist gänzlich
       ungeklärt.
       
       Doch der klare Wahlsieg des 71-jährigen Milliardärs, der auch
       „tschechischer Trump“ genannt wird, bedeutet noch lange nicht, dass der Weg
       zu einer neuen Regierung einfach wird. Denn mit voraussichtlich 81 Mandaten
       in der 200 Sitze zählenden Abgeordnetenkammer braucht Babiš jedenfalls
       Partner, doch jede Koalitionsoption birgt Risiken.
       
       Naheliegend wäre eine Koalition mit der rechtsradikalen SPD oder den
       rechtspopulistischen „Motoristen“. Beide hätten im Verbund mit Ano eine
       Mehrheit. Darüber hinaus ist auch eine Ano-Minderheitsregierung denkbar,
       laut Dostál durchaus wahrscheinlich. Auch eine große Koalition mit Teilen
       der bisher regierenden Spolu wäre möglich, gilt aber aufgrund
       wechselseitiger Antipathie und abgegebener Versprechen beider Seiten an
       ihre Wählerschaft als höchst unwahrscheinlich.
       
       Eine Schlüsselrolle kommt zudem Präsident Petr Pavel zu, der die künftige
       Regierung, wie auch immer sie aussehen wird, vereidigen wird. Der ehemalige
       Nato-General hat bereits vor der Wahl angedeutet, dass er problematische
       Ministerkandidaten ablehnen könnte. Er betonte schon im Vorfeld, dass es
       eine Kultur der Kompromisse brauche und dass die internationale Ausrichtung
       Tschechiens – also Mitgliedschaft bei EU und Nato – nicht zur Disposition
       stehen dürfe.
       
       Westliche Regierungschefs wären laut dem Politologen Dostál gut beraten,
       trotz aller Differenzen Babiš zu gratulieren und ihn für sich zu gewinnen.
       So ließe sich vielleicht verhindern, dass dieser noch weiter ins
       EU-feindliche Camp eines Viktor Orbán abdriftet. Denn mit ihm macht er im
       EU-Parlament bei den „Patrioten für Europa“ bereits gemeinsame Sache. Ob
       Babiš nach einem angriffigen Wahlkampf nun wieder moderater auftritt, ist
       derzeit völlig offen. Mehr als alles andere gilt er als Fahne im Wind, die
       vor allem am eigenen Vorankommen interessiert ist.
       
       4 Oct 2025
       
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