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       # taz.de -- Trauer in Manchester: „Es gibt hier keinen Platz für Hass“
       
       > Nach dem Terroranschlag auf eine Synagoge trauert die jüdische Gemeinde
       > und erfährt viel Zuspruch. Wie der Anschlag passieren konnte, wühlt auf.
       
   IMG Bild: An der Absperrrung vor der Synagoge Heaton Park, Manchester, Sonntag
       
       Manchester taz | An der Absperrung der Manchester Heaton Park Shul liegen
       Blumen. „Mit Liebe und Sympathie für alle jüdischen Brüder und Schwestern
       nach dieser schändlichen und feigen Attacke. Gute und anständige Bürger
       Manchesters sind mit euch und werden immer mit euch sein. Es gibt hier
       keinen Platz für Hass. Wir werden es nicht akzeptieren“, schreibt die
       Familie O’Shea.
       
       Die orthodoxe Synagoge Heaton Park, ein kastenförmiger Ziegelbau aus den
       1960er Jahren, ist abgesperrt. Durch große Fenster sieht man Lampen an der
       Decke. Die Türen haben kleine Fenster. Hier starben am Donnerstag, an Jom
       Kippur, dem heiligsten Tag des jüdischen Kalenders, zwei Menschen [1][bei
       einem Angriff]. Der 66-jährige Melvin Cravitz starb vor der Synagoge, als
       er versuchte, den Angreifer aufzuhalten. Der 53-jährige Adrian Daulby erlag
       hinter der Tür Fehlschüssen der Polizei.
       
       Der Täter, den die Polizei am Tatort erschoss, war Jihad al-Shamie, ein 35
       Jahre alter Brite syrischer Abstammung. Bereits als Kind wanderte er mit
       seinen Eltern aus Syrien ein, 2006 erhielt er die britische
       Staatsbürgerschaft, inzwischen ist er Vater.
       
       Auf dem Radar der Antiterrorbehörden stand al-Shamie nicht, aber laut
       Polizei bestand gegen ihn der Verdacht, eine Frau vergewaltigt zu haben.
       Zum Tatzeitpunkt war er auf Kaution frei. Eine 18-Jährige erzählte der
       [2][Manchester Evening News], dass al-Shamie sich mit ihr angefreundet, ihr
       IS-Videos gezeigt und von ihr Vollverschleierung verlangt habe.
       
       ## „Man hat uns im Stich gelassen“
       
       Aaron Litwin, 37, und Gershon Rose, 43, leben in der Nachbarschaft, zwei
       Männer mit schwarzer Kippa, die Fransen ihrer Gebetsschals hängen unter
       ihren Jacken hervor. Rose ist ein jüdischer Lokalaktivist, er habe über
       2.000 Whatsapp-Kontakte, sagt er. „Ich bin außer mir und fühle, dass man
       uns in Stich gelassen hat. Dieser Hass auf den Straßen hätte gestoppt
       werden müssen“, „wie in Deutschland“, glaubt er. Er habe die Leute auf
       seinem Kanal befragt, und „97 Prozent sind der Meinung, dass wir vor
       unseren Synagogen bewaffnete Polizei haben sollten“.
       
       Aaron hat eine andere Lösung. „Meine Frau sagt, es ist Zeit, dass wir
       endlich nach Israel auswandern. Es wäre eine schwere Entscheidung, ich bin
       hier aufgewachsen und kenne nichts anderes, aber wir fühlen uns nicht mehr
       sicher.“
       
       Gegenüber der Synagoge ist eine kleine jüdische Bäckerei. „Das eine Opfer
       betete vor mir, das andere hinter mir“, erzählt der 59-jährige Yoss Joseph,
       der gerade Bagels bestellt. „Ich sah die beiden Woche für Woche und am
       Abend, bevor sie ermordet wurden. Die beiden waren echt gute Menschen,
       voller Güte und Hingabe.“ Das Morgengebet musste er heute in einem
       Ersatzraum abhalten. Und jetzt? „Wir können nur weitermachen und stark
       bleiben.“
       
       Al-Shamie hielt sich angeblich schon 15 Minuten vor dem Angriff vor der
       Synagoge auf und wurde vom jüdischen Sicherheitspersonal angesprochen. Er
       soll sich dann entfernt haben, bevor er mit seinem Auto zurückkehrte und
       damit direkt auf die Synagoge zufuhr.
       
       Aber die Polizei und der jüdische Sicherheitsdienst seien zu loben, findet
       Joseph. „Unsere Polizei hat keine Schusswaffen“, sagt er. „Dass in acht
       Minuten Spezialisten der Antiterroreinheit vor Ort waren, kann man nur hoch
       anerkennen.“ Nötig sei hingegen viel mehr Erziehung gegen Judenhass. „Ich
       bin für die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht, aber dies ist
       das eine und die Verbreitung von Hass das andere.“
       
       ## Bestattung in aufgewühlten Zeiten
       
       Am späten Vormittag versammeln sich in Salford auf dem jüdischen Friedhof
       mehrere Hundert Trauernde zur Bestattung von Melvin Cravitz. Auf den Weg
       zum Friedhof begegnet man wie überall im Land vielen britischen Fahnen,
       gehisst von selbst ernannten Patrioten, ein Zeichen, wie aufgewühlt
       Großbritannien gerade ist.
       
       Rabbiner Walker, ein Mann mit langem weißem Bart, beginnt mit der
       alttestamentarischen Erzählung von Aaron, der mit dem Tod seiner beiden
       Söhne konfrontiert war. Dann erzählt er, wie Cravitz am Morgen seiner
       Ermordung keuchend in die Synagoge eilte. „Er war ein herzensguter,
       bescheidener Mann, alle liebten ihn.“
       
       Nach weiteren Ansprachen ziehen sich die Angehörigen für ein privates
       Begräbnis zurück. Zur gleichen Zeit wird in Manchester und London der Opfer
       des 7. Oktober 2023 gedacht.
       
       5 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-dem-Anschlag-in-Grossbritannien/!6117572
   DIR [2] https://www.manchestereveningnews.co.uk/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
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