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       # taz.de -- Neue Regierung in Frankreich: Ein neues Kabinett der bekannten Gesichter
       
       > Auffallend an der neuen französischen Regierung sind die vielen
       > Bisherigen. Experimente kann und will sich Premierminister Lecornu nicht
       > leisten.
       
   IMG Bild: Aufbruch sieht anders aus: Emmanuel Moulin, Generalsekretär des Élysée-Palasts, verkündet die neue Kabinettsliste
       
       Paris taz | Seit Montagabend hat Frankreich wieder eine Regierung. In einer
       ersten Etappe hat der am 9. September von Präsident Emmanuel Macron
       nominierte [1][Premierminister Sébastien Lecornu] die 18 wichtigsten
       Ministerposten besetzt. Weitere Regierungsmitglieder sollen später ernannt
       werden. 13 der „neuen“ Regierungsmitglieder waren bereits im Kabinett von
       [2][François Bayrou], das nach der Niederlage bei einer
       Vertrauensabstimmung am 8. September zurücktreten musste.
       
       Auf den Schlüsselposten gibt es sehr wenig Änderungen: Die vormalige
       Premierministerin Elisabeth Borne bleibt für die Erziehung zuständig,
       Manuel Valls (auch er war früher schon mal Regierungschef) hat weiter die
       Verantwortung für die Überseegebiete, Gérald Darmanin bleibt Justiz- und
       Bruno Retailleau Innenminister, [3][Rachida Dati] ist weiterhin
       Kulturministerin, Jean-Noël Barrot Außen- und Europaminister, Annie
       Genevard Landwirtschafts- und Catherine Vautrin Arbeits-, Sozial- und
       Gesundheitsministerin etc.
       
       Bei den Neubesetzungen fällt die Rückkehr des ehemaligen
       Wirtschaftsministers Bruno Le Maire als Staatsminister für die Verteidigung
       auf. Er übernimmt so das Amt, das Lecornu selbst zuvor innehatte. Beachtet
       wird auch die Rückkehr des vormaligen Industrieministers Roland Lescure,
       der an Stelle des ausgeschiedenen Eric Lombard Wirtschafts- und
       Finanzminister wird. Der ehemalige Haushaltsminister von Präsident Nicolas
       Sarkozy, Eric Woerth, wird nach einem Freispruch vor Gericht Minister für
       die Raumplanung, Dezentralisierung und Wohnung.
       
       Selbst die beiden „Neuen“ in Lecornus Ministerkabinett sind bisherige
       Abgeordnete der Mitte-Rechts-Regierungsparteien. Politisch bleiben diese
       noch mehr unter sich als vorher in der Regierung Bayrou, in der mit
       François Rebsamen wenigstens ein ehemaliger Sozialist vertreten war.
       
       ## Absolute Priorität: Stabilität und ein Haushalt für 2026
       
       Auch parteiunabhängige Leute aus der zivilen Gesellschaft sucht man
       vergebens auf der freilich noch unvollständigen Liste. Den von Lecornu in
       seiner Antrittsrede versprochenen „Bruch“ mit der Politik und der Methode
       seines Vorgängers sucht man vergebens.
       
       Schon so scheint er die größte Mühe gehabt zu haben, in fast vier Wochen
       dauernden „Konsultationen“ sein Regierungsteam zu bilden. Lecornu möchte
       mit all diesen Bisherigen auf Kontinuität setzen. Dies soll wohl ein
       positives Signal an die Finanzmärkte sein, die besorgt auf die wachsende
       Verschuldung und die politische Instabilität schauen. Erste Ratingagenturen
       haben kürzlich die Bonität Frankreichs herabgestuft.
       
       Experimente kann sich Lecornu da kaum leisten. In seiner Begründung für die
       alt-neue Regierung unterstreicht er, dass es die Hauptsorge sein müsse,
       jetzt gemeinsam für Stabilität zu sorgen. Lecornu räumt ein, es sei
       notwendig, mit allen anderen Parteien im Parlament zu diskutieren und
       Kompromisse zu finden. Denn wie sein Vorgänger Bayrou verfügt auch Lecornu
       nicht über eine tragfähige relative Mehrheit. Um Regierungsvorlagen zu
       verabschieden und eine allfällige Vertrauensabstimmung überleben zu können,
       ist er auf die Unterstützung oder die passive Duldung durch einen Teil der
       Opposition angewiesen.
       
       Seine absolute Priorität ist es, fristgerecht für 2026 einen Staatshaushalt
       zu verabschieden. Und das wird für die Regierung Lecornu bereits in diesen
       Tagen zur großen Bewährungsprobe.
       
       ## Zittern vor der nächsten Vertrauensabstimmung
       
       Bisher hat Lecornu seine Karten nicht aufgedeckt. Die wenigen Vorschläge,
       die er bisher gemacht hat, um der Schuldenkrise und den
       Kaufkraftforderungen zu begegnen, stießen auf wenig Echo. Details dazu will
       Lecornu am Dienstag in seiner Regierungserklärung vor den Abgeordneten der
       Nationalversammlung liefern. Das einzige Zugeständnis an die Opposition war
       sein Versprechen, er wolle zur Verabschiedung des Staatshaushalts nicht zum
       undemokratischen [4][Verfassungsartikel 49.3] greifen, der es der Exekutive
       erlaubt, die Vorlage ohne Votum und Debatte für angenommen zu erklären.
       
       Die linke Opposition fordert eine sozial gerechtere Verteilung der
       Steuerlasten mit der Einführung einer Reichtumssteuer für die
       Wohlhabendsten, wie sie namentlich der Ökonom Gabriel Zucman vorschlägt. Er
       möchte bei den Reichsten jährlich 2 Prozent zusätzlich kassieren. Das lehnt
       Lecornu bisher ab. Für die linken Fraktionen in der Nationalversammlung
       könnte dies Grund genug sein, bei der erstbesten Vertrauensabstimmung für
       den Sturz der Regierung Lecornu zu votieren.
       
       Diese muss erst dann wirklich zittern, wenn sich auch die Rechtspopulisten
       von Marine Le Pen frontal gegen die Regierung stellen sollten. Und auch
       diese sind mit Lecornus Entwurf unzufrieden. Zu den Konzessionen, die sie
       verlangen, gehört eine härtere Migrationspolitik.
       
       Im Fall von vorzeitigen Wahlen könnten die Rechtspopulisten des
       Rassemblement National laut Umfragen zudem mit zahlreichen Sitzgewinnen
       rechnen. Warum also sollten gerade sie dem neuen Premier eine Schonzeit
       gewähren? Wie schon seine Vorgänger [5][Michel Barnier] und François Bayrou
       sitzt Sébastien Lecornu von Beginn weg auf einem Schleudersitz. Auf dessen
       Knopf aber können andere drücken.
       
       6 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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