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       # taz.de -- Friedensgesellschaft-Geschäftsführer: „Wir müssen die Verweigerungskultur wieder aufbauen“
       
       > Deutschland diskutiert über den Wehrdienst. Die Deutsche
       > Friedensgesellschaft bemerkt eine Eintrittswelle, sagt Geschäftsführer
       > Michael Schulze von Glaßer.
       
   IMG Bild: Auf dem Weg in die Kaserne: Bundeswehrsoldat in Köln, 23. März 2020
       
       taz: Herr Schulze von Glaßer, überrascht es Sie, dass der Wehrdienst
       wiederkommen soll? 
       
       Michael Schulze von Glaßer: Nein, das überrascht mich nicht. Die
       Aufrüstungspläne sind doch lange bekannt. Als die Regierung die Zeitenwende
       ausgerufen hatte, haben wir eine neue Arbeitsgruppe zur
       Kriegsdienstverweigerung gegründet. Dadurch verfügen wir jetzt über ein
       großes Netzwerk und beraten die ganze Zeit schon junge Menschen zur
       Kriegsdienstverweigerung.
       
       taz: Der Gesetzentwurf sollte am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag
       beraten werden. [1][Doch die Koalition hat sich bei dem Thema heillos
       zerstritten]. Was sagt Ihnen das? 
       
       Schulze von Glaßer: Das zeigt, wie heikel das Thema ist. Man sieht es auch
       daran, dass es keine Mehrheit für eine Grundgesetzänderung gibt, um Frauen
       und Männer beim Wehrdienst gleich zu behandeln. Was passiert denn, wenn ein
       Mann dagegen klagt, weil er den Fragebogen der Bundeswehr ausfüllen muss
       und Frauen nicht? Mir scheint, die Bundesregierung möchte aufrüsten, koste
       es was es wolle. Die rechtlichen Fragen werden dabei hintangestellt.
       
       taz: Wie wird die Wiedereinführung des Wehrdienstes unsere Gesellschaft
       Ihrer Meinung nach verändern? 
       
       Schulze von Glaßer: Das ist jetzt schon absehbar. Bei jungen Leuten, aber
       auch bei Eltern gibt es eine wahnsinnig große Verunsicherung darüber, was
       jetzt passiert. Wir merken auch eine kleine Eintrittswelle in unseren
       Verband. Dabei wäre es mir andersherum viel lieber: Selbstabschaffung
       aufgrund des Weltfriedens.
       
       taz: Was sollte ein [2][junger Mann], der bald 18 wird und nicht zur
       Bundeswehr will, jetzt als Erstes wissen? 
       
       Schulze von Glaßer: Ich würde ihm erst mal empfehlen, auf unsere Webseite
       [3][verweigern.info] zu gehen. Da kann man sich das meiste selbst
       beantworten. Wir empfehlen allen jungen Männern ab Jahrgang 2008, bereits
       jetzt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Dafür muss man
       eine freiwillige Musterung über sich ergehen lassen. Aber: Aktuell sind die
       Chancen, dass die Verweigerung anerkannt wird, sehr groß. Tatsächlich haben
       wir bei den Menschen, die sich in dem Verfahren von uns begleiten lassen,
       eine Erfolgsquote von 100 Prozent.
       
       taz: Als die taz 1978 gegründet wurde, beriet Ihre Organisation bereits
       seit vier Jahren unter ihrem heutigen Namen Kriegsdienstverweigerer. Was
       sind die Unterschiede zwischen damals und heute? 
       
       Schulze von Glaßer: Ich bin Jahrgang 1986 und kenne das auch nur aus
       Erzählungen. Aber in den 70er, 80er und 90er Jahren gab es ja eine riesige
       Verweigerungskultur! Verweigern war der Standard, und wer zur Bundeswehr
       ging, war komisch. Heute verstehen einen die jungen Leute gar nicht, wenn
       man Kriegsdienstverweigerung sagt. Dazu kommt: Es gibt nur noch wenige
       ältere Anwälte, die sich mit dem Thema befassen. Erst langsam kommen wieder
       ein paar Jüngere dazu. Wir müssen diese Verweigerungskultur wieder
       aufbauen.
       
       17 Oct 2025
       
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