# taz.de -- Liebling der Massen: Gott in der Fußnote
> Das Gehirn der Jüngeren ist der Computer, das unseres Autors ist ein
> zerfleddertes Lexikon. Bei Charles Manson muss er jedoch nicht
> nachschlagen.
IMG Bild: Deborah Ann „Debbie“ Harry ist eine US-amerikanische Sängerin, die 1974 als Sängerin der New-Wave-Band Blondie bekannt wurde
Vor Jahren hatte ich einen Lektor, der das Wort „kregel“ nicht kannte und
nicht wusste, dass Jungvögel im Nest „sperren“. Damals war das eine reine
Bildungslücke. [1][Doch heute steckt oft ein Generationen-Gap dahinter]:
Denn bei der Redaktion meiner Texte zeigen gerade jüngere Kolleg:innen
immer öfter Erklärungsbedarf: „Du hast da einen ‚Charles Manson‘ erwähnt“,
heißt es beispielsweise. „Da müsste man vielleicht dazuschreiben, wer das
ist. Den kennen die Leute gar nicht mehr.“
Die Leute. Gute Frage: Wer sind die? Die oder ich oder wer dazwischen? Ich
gelte offenbar als Dinosaurier, dem zunehmend das Gefühl dafür abgeht, was
zurzeit überhaupt noch unter „Allgemeinwissen“ fällt. Ich sage im Alltag
ganz selbstverständlich „Potzblitz“, „Tausendsassa“ oder „cool“. Die
Ausdrücke sind ihnen fremd. Dann fragen sie mich im Altenpfleger-Wir, ob
„wir nicht eventuell Fußnoten machen können“. Für die Leserschaft. „Also
nur online“, hieß es neulich am Redaktionstelefon. „Im Print können wir das
ruhig lassen – den lesen ja gerade auch viele Ältere.“
Nein, es nervt mich nicht wirklich. Ich finde es fast niedlich, womöglich
auch ein ganz kleines bisschen von oben herab, weil, klar, meine
Reminiszenzen sind sicher nicht immer brandaktuell. Aber ich kam früher
doch auch nicht auf die Idee, dass die Altvorderen als persönlichen
Sonderservice für mich jedes Mal haarklein erläuterten, wer Hitler oder
Goethe war. Mann, Leute, das weiß man doch. Aber okay, ich bau euch da mal
’ne Fußnote, damit ihr wisst, was ein Stuhl ist, ein Chair nämlich, oder
wer Gott war oder Julius Cäsar. Das denke ich manchmal mit einem grimmigen
Lächeln.
## Am anderen Ende der Leitung
Wenn ich aber merke, dass am anderen Ende der Leitung (das ist auch so ein
überkommener Begriff: „Leitung“, „Hörer“ – da fehlt nur noch das Fräulein
vom Amt) jemand meinen Hochmut spürt, schäme ich mich dann doch ein
bisschen. Weil ich ja im Grunde weiß, dass meine Hybris vollkommen
unangebracht ist, ebenso wie mein onkelhaftes Spötteln über ihre
alterstypische, leichte Dauerverpeiltheit oder darüber, dass sie weder
Charles Manson, Debbie Harry noch Helmut Schmidt kennen und nicht wissen,
wie man die Zeit von einer echten Ticktack-Uhr abliest. Oder allgemein,
mich überlegen zu fühlen, nur weil sie meinen Mittelaltersprech und meinen
antiquierten Wissenskanon nicht teilen.
Das ist aber völliger Quatsch. Die haben ja nicht weniger, sondern schlicht
ganz andere Sachen im Kopf. [2][Ich selbst weiß ja zum Beispiel wiederum
gar nicht,] wer diese Britney Swift ist oder was Clitoral Approbation und
White Shellfishness bedeuten. Und nicht nur andere Sachen, sondern
obendrein auch noch viel mehr. Denn ihr Gehirn ist der Computer, meines das
zerfledderte Lexikon in zwanzig Bänden.
## Die absoluten Tausendsassen
Im Vergleich zu mir [3][sind die Jungen nämlich absolute Tausendsassen].
Ihre scheinbare Verpeiltheit rührt ja nur daher, dass sie die ganze Welt
auf einmal mit sich im Kopf herumtragen, mit all ihren äußerst komplexen
Zusammenhängen, die mich heillos überfordern. Meine Fähigkeit, einen
Stadtplan aus Papier zu lesen oder zu wissen, wie die Muhkuh macht, ist
heute etwa so viel wert wie die, einen Speer aus Knochen zu schnitzen. Sie
tragen nicht wie ich Telefonnummern, Wetterberichte, Hubraum, Kochrezepte,
all das mühsam angesammelte, nutzlose Wissen die ganze Zeit über mit sich
im Kopf herum, wo es eh bloß langsam verschimmelt.
Stattdessen sind sie superflexibel und können sich bei Bedarf alles
jederzeit im Nu einfach aneignen, während ich schon an einem
Plastikschraubverschluss scheitere, der nicht mehr von der Flasche abgeht.
25 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Uli Hannemann
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