# taz.de -- Sozialarbeiter im Zeugenstand: Urteil als Auftrag
> Das Verfahren gegen Sozialarbeiter, die nicht gegen Ultras aussagen
> wollten, ist eingestellt. Ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt es weiterhin
> nicht.
IMG Bild: Feurige Anfeuerungen: die Klientel des Karlsruher Fanprojekts bei ihrer Freizeitbeschäftigung
Karlsruhe taz | Auch Georg Grohmann hätte tags zuvor nicht darauf gewettet,
dass das Verfahren gegen die drei Mitarbeiter des Karlsruher Fanprojektes
am Donnerstag eingestellt werden würde. Überhaupt hatte beim
interdisziplinären Fachtag, der unter dem Motto „Fast im Knast“ in
Karlsruhe stattfand, die Befürchtung vorgeherrscht, dass sich das Verfahren
noch über mehrere Instanzen ziehen könnte. „Ich war überrascht, wie
deutlich der Richter die politische Dimension in den Vordergrund gestellt
hat“, sagte der Sprecher des „Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht
in der Sozialen Arbeit“ nun am Montag.
„Er hat klar thematisiert, dass das nicht nur ein juristisches, sondern ein
Dilemma in der Sozialen Arbeit ist.“ Auch die Verteidigung der drei hatte
der Einstellung deshalb nur unter dem Hinweis zugestimmt, dass damit „kein
Schuldeingeständnis einhergeht“, wie der Münchner Anwalt betont. „Das
beinhaltet auch, dass unsere Mandanten ihren Beruf gewissenhaft ausgeübt
haben.“
Anlass der Ermittlungen war [1][eine verunglückte Pyro-Aktion einer
Ultra-Gruppe im November 2022] gewesen. Damals war so massiv Pyrotechnik
gezündet worden, dass elf Personen verletzt wurden. Die Prozesse gegen die
Ultras sind beinahe alle abgeschlossen und endeten mit hohen Strafen.
Die Staatsanwaltschaft war gegen die drei Fanprojektler aktiv geworden,
weil sie vermutete, dass sie mehr über die Hintergründe der Pyro-Aktion
wussten – im Übrigen fälschlicherweise. Die aber verweigerten die Aussage –
unter Hinweis auf das Vertrauensverhältnis zu ihrer Klientel. Dass sie
damit fachlich richtig gehandelt haben, bestreitet eigentlich niemand.
Zumal auch die Fankurven, die Klientel der Fansozialarbeit,
ligaübergreifend ihre Meinung kundtaten: „Solidarität mit dem Fanprojekt KA
– Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit“ war etwa zu lesen.
Oder: „Standhaft bleiben!“ Das waren die drei bis zuletzt in der Tat.
Die Crux an der vermeintlichen Ende-gut-alles-gut-Geschichte aus Karlsruhe
ist allerdings, dass [2][das gute Ende noch aussteht]. Und das womöglich
noch für längere Zeit. Derzeit möchte jedenfalls niemand eine Prognose
wagen, wann die Politik die Gesetzesvorlage dafür schafft, [3][dass
Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit nicht mehr Beugehaft und Schlimmeres
droht], wenn sie ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen machen.
Somit, so Grohmann, haben auch seine Kollegen außerhalb des Fußballs das
gleiche Problem wie zuvor: „Es gibt den gesellschaftlichen Auftrag, dass
Sozialarbeiter*innen auch mit gewalttätigen Jugendlichen arbeiten.
Sie sind oft auch vor Ort, wenn Straftaten passieren. Dann sind sie in dem
Dilemma, dass sie über Situationen aussagen müssen, und damit ihren Zugang
riskieren.“
## Akuter Handlungsbedarf
Strafbar haben sich die drei unstreitig gemacht, weil sie im Gegensatz zu
Kollegen in der Drogenarbeit oder der Schwangerschafts-Konfliktberatung
eben kein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Die vorherige Instanz hatte die
drei wegen des Vorwurfs der versuchten Strafvereitelung verurteilt. Nun
aber, so der emeritierte Soziologie-Professor Albert Scherr, habe eine
höhere Instanz nicht nur den Vorwurf der Strafvereitelung fallengelassen,
sondern „klargemacht, dass sie nicht nachvollziehen kann, warum die Soziale
Arbeit weitgehend vom Zeugnisverweigerungsrecht ausgenommen ist“, sagte
Scherr nach dem Prozess. Das sei „ein Handlungsauftrag an die Politik“.
So sieht es auch Georg Grohmann vom Bündnis: „Es wurde im Verfahren
deutlich, dass es nötig ist zu handeln, weil SozialarbeiterInnen nach wie
vor überhaupt nicht geschützt sind. Sie üben ihren Beruf aus und sind
privat haftbar.“ Dass die Reaktionen aus der Politik bisher weitgehend
ausbleiben, wundert ihn nicht, er setzt weiter auf Überzeugungsarbeit, auch
wenn das Bündnis rein ehrenamtlich „und mit geringen Ressourcen“ arbeitet.
Immerhin meldete sich Helge Limburg, der für die Grünen im Bundestag sitzt,
mit einer Erklärung zu Wort, in der er forderte, dass „die soziale Arbeit
analog zu anderen Geheimnisträgern besonders geschützt wird und ein
Zeugnisverweigerungsrecht bekommt.“ Wenn die Bundesregierung nicht von sich
aus handle, werde seine Fraktion „einen entsprechenden Gesetzesentwurf
einbringen.“
Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatten Fachpolitiker der drei
Regierungsfraktionen Zustimmung signalisiert, aber auch durchblicken
lassen, dass sie dabei gegen Widerstände bei den Innenpolitikern angehen
müssten. Schwarz-rot scheint das Thema nicht auf der Agenda zu haben. „In
Gesellschaft und Politik haben derzeit Law-and-order-Themen Priorität“,
sagte Titus Simon am Rande des Prozesses. Der emeritierte
Pädagogik-Professor setzt sich schon seit den 70er Jahren für das
Zeugnisverweigerungsrecht ein. Dass es noch zu seinen Lebzeiten eingeführt
wird, glaubt der mittlerweile 71-Jährige nicht. Und auch Grohmann weiß:
„Man kann das Thema aussitzen, ohne groß Gegenwind zu bekommen.“
21 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Christoph Ruf
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