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       # taz.de -- Mutterschutz für Selbstständige: Es braucht sechs Arme
       
       > Seit 1952 besteht eine Gesetzeslücke: Selbstständige haben keinen
       > Mutterschutz. Eine Aktion vor dem Reichstag sorgte jetzt für Aufsehen.
       
   IMG Bild: Prominente Unterstützung: Bärbel Bas (4.v.r.) schaut bei Mutterschutz-Aktivistin Johanna Röh (3.v.l.) vorbei
       
       Berlin taz | Vor dem Reichstag steht seit Donnerstagmorgen eine neue
       Statue: Justitia, die Symbolfigur der Gerechtigkeit – allerdings mit
       Babybauch und sechs Armen. In der einen Hand hält sie die klassische Wage,
       in den anderen ein Baby, eine To-do-Liste und eine Tasche mit Wickelzeug.
       Das Bild ist eindeutig: Um allen Aufgaben gerecht zu werden, bräuchte eine
       Mutter eigentlich diese sechs Arme. Besonders, wenn sie selbstständig ist.
       
       Genau darauf will das Bündnis „Mutterschutz für alle“ aufmerksam machen.
       Die temporär vor dem Reichstag anzutreffenden Statue weist auf eine große
       Lücke im deutschen Recht: Für Selbstständige gibt es bislang keinen
       gesetzlichen [1][Mutterschutz] – obwohl im Grundgesetz Schutz und Fürsorge
       für alle Mütter verankert sind.
       
       Seit 1952 sieht das Mutterschutzgesetz ein Beschäftigungsverbot vor, das
       sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin beginnt und acht Wochen nach
       der Geburt endet. Innerhalb dieser bis zu 14 Wochen erhalten angestellte
       Mütter ihr reguläres Gehalt, ein Teil des Gehalts wird über das
       Mutterschaftsgeld abgedeckt, den Rest zahlt der Arbeitgeber.
       
       Selbstständige hingegen müssen ihre Absicherung selbst organisieren.
       Freiwillig [2][gesetzlich Versicherte] können zwar Krankengeld in Höhe von
       70 Prozent des letzten Bruttoeinkommens beziehen, diese Leistung muss aber
       extra beantragt werden. Privat Versicherte sind vollkommen von den sehr
       unterschiedlichen Tarifen ihrer Versicherungen abhängig. Was mit diesen
       schon lückenhaften Möglichkeiten nicht abgesichert ist, sind laufende
       Betriebskosten von Unternehmerinnen, die sich bislang nur schwer versichern
       lassen.
       
       ## Wird alles gut?
       
       Diese Erfahrung machte auch [3][Tischlermeisterin] Johanna Röh, als sie
       schwanger ihren Tischlereibetrieb am Laufen halten musste. Sie ist die Frau
       hinter der Statue und Gründerin der Initiative. Mit Erfolg: ihr Anliegen
       hat es in den [4][Koalitionsvertrag] geschafft. Dabei gibt es schon seit
       2010 besteht eine EU-Richtlinie zur Gleichstellung von Selbständigen, die
       auch den Mutterschutz betrifft, die bislang aber nicht von Deutschland
       umgesetzt wurde.
       
       Unterstützt wird Röh parteiübergreifend. Am Donnerstag ließen sich
       Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und die Grünen-Parteivorsitzende
       Franziska Brantner mit der Statue ablichten. Schirmherrin der Aktion ist
       Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende der Mittelstandsunion. Sie verpflichtete
       sich im Namen der Bundesregierung zu einer Lösung für Selbstständige
       innerhalb dieser Legislaturperiode. Im kommenden Jahr will die
       Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vorlegen. Wird also am Ende alles
       gut?
       
       Viele Fragen sind noch offen. Vor allem die Finanzierung: Im Raum steht ein
       solidarisches Umlageverfahren, bei dem alle selbstständig Tätigen in
       Deutschland mit einem monatlichen Beitrag von fünf Euro das
       Mutterschaftsgeld finanzieren, und zwar in Höhe des durchschnittlichen
       Bruttolohns. Die Frage ist: Welchen Zeitraum legt man für dessen Berechnung
       zugrunde?
       
       In vielen Berufen ist es gar nicht möglich, schwanger bis sechs Wochen vor
       der Geburt voll oder auch überhaupt zu arbeiten. Zum Beispiel als
       Handwerkerin, die Lasten tragen muss. Ihr Einkommen sinkt also während der
       in diesem Zeitraum und würde in der Rechnung für niedrigere Sätze sorgen.
       Der Bemessungszeitraum muss also groß genug sein, um Schwangere nicht für
       ihre reduzierte Arbeitszeit zu bestrafen.
       
       Deshalb unterstrich Röh bei der Enthüllung der Statue: „Was uns jetzt
       bleibt, ist die konkrete Ausgestaltung und die Bereitschaft, die Vielfalt
       der Selbstständigkeit mitzudenken.“
       
       9 Oct 2025
       
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