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       # taz.de -- Welttag gegen die Todesstrafe am 10.10.: „Eine Hinrichtung ist unumkehrbar“
       
       > Der Vater von Zhino Beigzadeh Babamiri sitzt in Iran im Todestrakt. Mit
       > der Organisation „Daughters of Justice“ kämpft sie gegen die Todesstrafe.
       
   IMG Bild: Plakativer Protest gegen die Todestrafe in Iran und Ukraine in Washington DC, 21.Januar 2023
       
       Am 10. Oktober findet der Welttag gegen die Todesstrafe statt. Ziel des
       Aktionstages ist es, auf die Todesstrafe weltweit aufmerksam zu machen, und
       diese abzuschaffen. 
       
       ## taz: Frau Babamiri, ihr Vater sitzt seit mehr als zwei Jahren im
       iranischen Gefängnis und wurde im Juli 2025 zur Todesstrafe verurteilt. Wie
       kam es dazu?
       
       Babamiri: Mein Vater arbeitete als Bauer in der kurdisch geprägten Stadt
       Bukan. Während der [1][Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im
       Oktober 2022] verteilte er medizinische Hilfsgüter. Zu der Zeit hatte man
       Angst, ins Krankenhaus zu gehen, wenn man eine Wunde hatte, weil zahlreiche
       Verletzte direkt dort festgenommen wurden. Im April 2023 wurde er dann von
       Beamten der Revolutionsgarde gekidnappt und 120 Tage gefoltert.
       
       Daraufhin hatte er zwei Gerichtsverfahren, eines vor dem Strafgericht und
       eines vor dem Revolutionsgericht. Im Strafgerichtsverfahren wurde er
       gemeinsam mit drei weiteren Personen angeklagt, an einem Mord an einem
       iranischen Revolutionsgardisten beteiligt gewesen zu sein. Es gibt jedoch
       keine Beweise und die Angeklagten kennen sich untereinander gar nicht. Beim
       Strafgericht hatten wir anfangs Hoffnung, weil der Richter kritisch
       hinterfragte, warum mein Vater überhaupt angeklagt wurde. Er schien zu
       verstehen, dass die Vorwürfe keinen Sinn ergeben.
       
       ## taz: Hat das Ihrem Vater geholfen?
       
       Babamiri: Am Ende wurde er zu 15 Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord
       verurteilt. Der Richter, der das Urteil unterschrieb, war am Ende nicht
       derselbe, der die Verhandlung führte. Mein Vater und die drei anderen
       Angeklagten tauchen auch in einem anderen Verfahren vor dem
       Revolutionsgericht auf. Dort geht es um angebliche „Unruhen in der Stadt“,
       „Spionage“ oder „Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe“. Die
       Anschuldigungen sind haltlos. Bei diesem Prozess wurden er und die anderen
       Angeklagten mehrfach [2][zum Tode verurteilt.]
       
       ## taz: Wann soll das Urteil vollstreckt werden?
       
       Babamiri: Bei manchen dauert es Monate, bei anderen nur Stunden.
       
       ## taz: Haben Sie Hoffnung, dass es noch abgewendet werden kann?
       
       Babamiri: Ich weiß nicht, ob ich hoffnungsvoll sein kann. In einem
       gerechten Land wäre mein Vater längst freigesprochen worden. Hier hängt
       jedoch alles von der politischen Stimmung ab, und seit dem 12-Tage-Krieg
       urteilen die Gerichte besonders hart.
       
       ## taz: Seit dem 12-Tage-Krieg mit Israel wurden im Iran neue Gesetze
       verabschiedet für eine strengere Verfolgung von Oppositionellen. Wie wirkt
       sich das aus?
       
       Babamiri: Das iranische Regime hat viel Angst davor, dass es im Land
       nochmals zu Protesten kommen könnte. Um die Bevölkerung einzuschüchtern,
       damit sie nicht auf die Straße gehen und gegen das Regime kämpfen wie im
       Herbst 2022, wurden zahlreiche Todesstrafen gegenüber Inhaftierten
       verhängt.
       
       ## taz: Sie sind Kurdin. Nur 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung des Iran
       sind Kurden, aber mehr als die Hälfte der Todesurteile betrifft sie. Hat
       die Verurteilung Ihres Vaters auch mit seiner Ethnie zu tun?
       
       Babamiri: Aus der Perspektive des Regimes sind Kurden Verräter des Landes.
       Das ist grundsätzlich nur eine weitere Methode der Regierung, um die
       Bevölkerung zu spalten, indem sie alle Probleme des Landes den Minderheiten
       zuschiebt. Der Iran ist ein multiethnisches Land mit einer persischen
       Mehrheitsgesellschaft. Obwohl große Teile davon auch die Regierung hassen,
       lassen sich viele vom Nationalismus des Regimes begeistern. Die
       Auswirkungen von 47 Jahren Gehirnwäsche sind deutlich erkennbar. Würde die
       Mehrheitsgesellschaft andere Ethnien nicht als Problem, sondern als
       Verbündete sehen, bestünde eine größere Chance, das Regime zu stürzen.
       
       ## taz: Sie arbeiten mit anderen, deren Angehörige in Iran zum Tode
       verurteilt wurden, zusammen. Wie sieht das aus?
       
       Babamiri: Wenn man sich dafür einsetzen möchte, [3][Angehörige aus dem
       Todestrakt zu holen], braucht man Rückhalt. Es geht darum, Informationen zu
       verbreiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Deshalb haben Maryam
       Hasani, die Tochter von Mehdi Hasani, und ich die Kampagne „Daughters of
       Justice“ ins Leben gerufen. Zu Beginn haben wir beispielsweise unsere
       juristischen, politischen und journalistischen Kontakte ausgetauscht. Ihr
       Vater wurde im Juli dieses Jahr hingerichtet.
       
       Doch sie und andere Betroffene unterstützen sich weiterhin gegenseitig.
       Dazu gehören etwa die Töchter der Kurdin Minoo Majidi, die im Herbst 2022
       als erste Frau bei den Protesten von den Polizeikräften der Islamischen
       Republik getötet wurde. Sowie die Tochter des [4][Deutsch-Iraners Jamshid
       Sharmahd, der ebenfalls vom Staat getötet wurde]. Dann ist da Fatemeh
       Pishdadian, deren Eltern beide hingerichtet wurden, als sie sechs Monate
       alt war. Das Ziel von „Daughters of Justice“ ist es, für die Lebenden zu
       kämpfen und die Gefallenen zu ehren.
       
       ## taz: Ihr Netzwerk besteht aus Angehörigen verschiedener politischer
       Lager, darunter Monarchisten, Mujaheddin sowie Kurden wie Sie. Wie
       funktioniert das?
       
       Babamiri: Genau das ist unsere Stärke: Dass wir uns gemeinsam und
       konsequent gegen Hinrichtungen einsetzen – unabhängig davon, ob es sich um
       einen unpolitischen Gefangenen handelt oder gar um jemanden aus dem einem
       selbst verfeindeten Lager. Denn eine Hinrichtung ist unumkehrbar. Und
       dieser Zusammenschluss hilft dabei sehr. Viele Leute haben uns voneinander
       abgeraten. Doch zum Beispiel begannen die Monarchisten, die anfangs nur
       Gazelle Sharmahd unterstützten, mich als Kurdin zu supporten – was eine
       große Sache ist.
       
       ## taz: Was ist das gemeinsame Ziel?
       
       Babamiri: Solange es die [5][Todesstrafe im Iran] gibt, machen wir weiter.
       Und selbst danach wird diese Kampagne aktiv bleiben und mit
       Erinnerungsarbeit fortfahren. Wir dokumentieren die Vorfälle und machen
       weltweit darauf aufmerksam, vom Norwegischen Parlament bis zur Europäischen
       Union und den Vereinten Nationen.
       
       ## taz: Wie sieht die Unterstützung denn von der UN oder EU aus?
       
       Babamiri: Mein Vater wird von dem deutschen Abgeordneten Sebastian Eberding
       von der Tierschutzpartei im Europäischen Parlament vertreten. Gemeinsam mit
       ihm konnte ich auch im Europäischen Parlament auf den Fall meines Vaters
       und der anderen Betroffenen aufmerksam machen. Die EU und die UN zeigen
       sich besorgt über die Todesurteile. Es ist gut, dass sie sich dessen
       immerhin bewusst sind.
       
       Irgendwann sollte es jedoch auch um aktive Handlungen gegen das Regime
       gehen. Beispielsweise Richtlinien zu erlassen, die dabei helfen, dass die
       Richter und Regime-Mitglieder für ihre Taten persönlich zur Rechenschaft
       gezogen werden und Konsequenzen für ihr Handeln tragen.
       
       ## taz: Und unterstützt Sie das Land Norwegen, dessen Bürgerin Sie sind?
       
       Babamiri: Als norwegische Staatsbürgerin konnte ich im Parlament über
       meinen Vater und seine drohende Hinrichtung sprechen. Später habe ich auch
       vom norwegischen Premierminister erfahren, dass er über den Fall meines
       Vaters Bescheid weiß und dass jemand in der norwegischen Botschaft im Iran
       seinen Fall weiterverfolgt. Das ist beeindruckend, denn mein Vater ist kein
       norwegischer Staatsbürger und Norwegen neigt normalerweise dazu, sich
       gegenüber dem Regime eher neutral zu verhalten.
       
       Ich werde weiter Druck machen und mich weiter dafür einsetzen, dass
       zumindest die Todesstrafe von meinem Vater abgewendet wird. Es ist wichtig,
       dass die EU, UN und einzelne Regierungen im Gespräch mit dem Regime immer
       wieder die Abschaffung der Todesstrafe thematisieren. Denn ich weiß, dass
       sich nichts im iranischen Justizsystem von allein ändern wird, sondern nur
       mit politischem und wirtschaftlichem Druck.
       
       10 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jean Dumler
       
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