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       # taz.de -- Union und SPD verschärfen Bürgergeld: Reichinnek nennt Pläne „menschenunwürdig“
       
       > Die Bürgergeld-Reform ist ein Fehler, sagten Linkspartei und Grüne. Die
       > SPD bleibt uneinsichtig und erntet Kritik aus den eigenen Reihen.
       
   IMG Bild: Kritisiert die Verschärfungen beim Bürgergeld: Linken-Vorsitzende Heidi Reichnnik, hier im Kommunalwahlkampf in Köln am 5. September
       
       Berlin dpa/afp/epd | Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek hat [1][die
       geplante Verschärfung beim Bürgergeld] scharf kritisiert. „Die Pläne der
       Regierung sind menschenunwürdig und rechtlich höchst fragwürdig“, sagte die
       Bundestagsabgeordnete der dpa. Die Abschaffung des Bürgergelds sei „nur der
       erste Schritt eines massiven Angriffs auf den Sozialstaat“.
       
       Dieser ziele nicht nur auf die Beziehenden des Bürgergelds, sondern auch
       auf arbeitende Menschen. „Für sie ist das Signal klar: Fordert keine
       besseren Arbeitsbedingungen, nehmt jede Überstunde hin, auch wenn ihr
       sicher seid, dass sie am Ende unbezahlt bleibt, fordert keinen besseren
       Lohn – denn im Bürgergeld wird es noch wesentlich schlimmer.“
       
       Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD
       auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Die neue Grundsicherung werde
       kommen, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. Mit den
       Änderungen sollen Teile der Anfang 2023 in Kraft getretenen
       Bürgergeld-Reform rückabgewickelt werden, die Leistung soll künftig einfach
       nur noch Grundsicherung für Arbeitssuchende heißen.
       
       Die rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden müssen sich bei einer
       Umsetzung der Pläne auf strengere Auflagen einstellen. Konkret soll etwa
       mit härteren Sanktionen belegt werden, wer einen Termin beim Jobcenter
       nicht wahrnimmt oder eine Arbeitsaufnahme verweigert.
       
       ## Kritik von Grünen und Linken
       
       Die von der schwarz-roten Koalition geplante [2][Komplett-Streichung des
       Bürgergelds für Jobverweigerer] stieß auch bei anderen Politiker:innen
       von Grünen und Linken auf Kritik. Grünen-Chef Felix Banaszak warf der
       Bundesregierung am Donnerstag eine Politik „sozialer Kälte“ vor.
       
       „Dieser Vorschlag ist keine Reform – er ist ein Schlag ins Gesicht all
       derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen. Wer Menschen drohe, jede
       Unterstützung zu entziehen, weil sie Termine verpassten, habe „jedes Gefühl
       für Realität verloren“, sagte Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe
       Bayern
       
       Banaszak betonte, ein System, das Menschen unter Druck setze, statt ihnen
       zu helfen, zerstöre Vertrauen. „Das ist keine Grundsicherung, das ist
       Grundmisstrauen“, sagte er. Dieses Konzept mache „den Sozialstaat härter,
       aber nicht gerechter“. Er finde es „verstörend, dass die SPD-Spitze zu
       diesem Programm sozialer Kälte ihre Zustimmung gibt. Offensichtlich hat
       sich die Sozialdemokratie der Union vollkommen ausgeliefert.“
       
       Linken-Chefin Ines Schwerdtner warf der Koalition vor, Politik auf Kosten
       der Schwächsten zu betreiben. „Bevor man bei den Ärmsten spart, sollte die
       Regierung besser nach oben gucken und schauen, welche starken Schultern
       mehr tragen können“, sagte Schwerdtner der „Rheinischen Post“.
       
       „Viele der Bürgergeldbezieher würden lieber heute als morgen arbeiten,
       jedoch können sie oft nicht, weil sie keine Kita für ihre Kinder finden
       oder Qualifikationen und Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind“, sagte
       Schwerdtner weiter. Sie sprach von „ekelhafter Sündenbock-Politik auf
       Kosten der Ärmsten“.
       
       ## Sozialverbände gegen Reform
       
       Auf Kritik stieß die [3][Einigung von Union und SPD] auch bei
       Sozialverbänden. „Es kann nicht wahr sein, dass der Bundesregierung
       angesichts all der Krisen, die wir erleben, nichts Besseres einfällt, als
       schon wieder am Sozialstaat zu sägen“, erklärte Arbeiterwohlfahrt-Präsident
       Michael Groß. „Millionen von Familien“ würden durch die Pläne bestraft. „In
       krisenhaften Zeiten muss Zusammenhalt organisiert werden – dafür wären
       Investitionen in Arbeitsmarktintegration, gute Betreuung und Pflege der
       richtige Weg.“
       
       Das Kinderhilfswerk warnte vor Sanktionen für Familien mit Kindern. Es
       dürfe „keine Mithaftung von Kindern für ihre Eltern geben“, erklärte
       Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. „Jede Kürzung ist eine
       ungerechtfertigte, außergewöhnliche Härte für die Kinder und verstößt gegen
       das in der UN-Kinderrechtskonvention normierte Recht auf soziale Sicherheit
       und angemessene Lebensbedingungen.“
       
       Je länger Kinder in Armut aufwachsen müssten und unter Teilhabe- und
       Bildungsverlusten litten, „desto weitreichender sind die Langzeitfolgen für
       ihre Entwicklung und beruflichen Perspektiven“, betonte Hofmann.
       
       ## Union und SPD bleiben kritikresistent
       
       Bundeskanzler Friedrich Merz hat die Pläne verteidigt,
       [4][Bürgergeld-Empfängern bei wiederholten Terminversäumnissen im
       Jobcenter] künftig alle Leistungen zu streichen. „Es wird in Deutschland
       niemand obdachlos. Jeder, der eine Wohnung oder ein Dach über dem Kopf
       braucht, bekommt ein Dach über dem Kopf“, sagte der CDU-Chef dem
       ARD-Hauptstadtstudio.
       
       „Aber diejenigen, die gar nicht mitwirken, die sich noch nicht einmal
       melden beim Jobcenter, von denen müssen wir doch davon ausgehen, dass sie
       die Hilfe des Staates, des Sozialstaates, nicht brauchen.“ Deswegen werde
       die komplette Einstellung aller Leistungen im Gesetz stehen, „aber eben für
       diese Fälle“.
       
       Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch hat die Zustimmung seiner
       Partei zu [5][strengeren Regeln für Arbeitslose] verteidigt. Nach einer
       Sitzung seiner Fraktion, bei der die Ergebnisse des Koalitionsausschusses
       besprochen wurden, sagte Miersch am Freitag in Berlin, die
       Bürgergeld-Reform sei „in einer sehr guten Form“ angegangen worden und er
       sei „guter Dinge“, dass die Koalition Maßnahmen beschließen werde, die zu
       mehr Sicherheit und Gerechtigkeit führten.
       
       ## Bas ruft Union zur Mäßigung auf
       
       Mit Blick auf die geplante Reform des Bürgergelds hat die SPD-Vorsitzende
       Bärbel Bas die Union zu rhetorischer Mäßigung aufgerufen. Mit Äußerungen
       über eine Abschaffung des Bürgergelds hätten Unionspolitiker Verunsicherung
       verbreitet, sagte Bas am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. „Deswegen fand
       ich diesen Satz schwierig: ‚Das Bürgergeld ist abgeschafft‘, weil er
       suggeriert, als hätten wir die Leistung generell abgeschafft“, sagte die
       Bundesarbeitsministerin. „Das hat vielen Leuten Angst gemacht.“
       
       Bei der geplanten Reform gehe es aber keineswegs darum, die Grundsicherung
       „aufzulösen“, sagte Bas. Es würden lediglich die Mitwirkungspflichten durch
       neue Sanktionsmöglichkeiten „angeschärft“. Ihre Botschaft sei: „Für die,
       die alles richtig machen, die mitwirken, die wollen, für die ändert sich an
       diesem Gesetz gar nichts“, sagte Bas. „Wer mitmacht, der hat überhaupt
       nichts zu befürchten.“
       
       CSU-Chef Markus Söder hatte nach der Einigung im Koalitionsausschuss auf
       die Umstellung des bisherigen Bürgergelds auf die neue Grundsicherung
       geschrieben: „[6][Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte].“ Auch Bundeskanzler
       Friedrich Merz (CDU) hatte wiederholt hervorgehoben, dass es das
       Bürgergeld, das von der Vorgängerregierung auf Betreiben der SPD hin
       eingeführt worden war, bald nicht mehr geben werde.
       
       ## SPD bekommt Kritik aus den eigenen Reihen
       
       Juso-Vorsitzender Philipp Türmer hält die Koalitionseinigung zum Bürgergeld
       für falsch. „Diese Einigung wiederholt Fehler der Vergangenheit“, sagte
       Türmer dem „Tagesspiegel“. Die SPD habe sich bewusst von Hartz IV
       verabschiedet. „Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle
       rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch“, beklagte der
       Juso-Chef.
       
       „Mit den angekündigten [7][massiven Ausweitungen der Leistungskürzungen]
       steuert die Koalition sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem
       Verfassungsgericht zu“, vermutet Türmer. Die Grundsicherung müsse ein
       sozioökonomisches Existenzminimum garantieren, das sei nun bedroht. Der
       Juso-Chef forderte die Parlamentarier seiner Partei auf, sich gegen die
       Verschärfung zu stellen. „Ich erwarte von den sozialdemokratischen
       Abgeordneten, dass sie diese schweren Fehler vermeiden.
       
       10 Oct 2025
       
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