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       # taz.de -- Innovationen im Kampfsport: Hauen und Schlagen für die Klicks
       
       > Immer absurdere Kampfsportarten finden vor allem im Netz ihr Publikum.
       > Der Drang, sich auf eine wenig geregelte Art Schaden zuzufügen, hat
       > Tradition.
       
   IMG Bild: Professionelle Kissenschlacht: die Pillow Fighting Championship in Florida
       
       Es wird nicht nur geschlagen im Boxring, sondern auch Schach gespielt. Geht
       es in der einen Runde noch um den Knock-out, muss man nun das Schachmatt
       vorbereiten. Andere schlagen sich auf engstem Raum in einer Telefonzelle
       oder auf einem Container, der über einem See schwebt. Eine Frau kämpft
       gegen einen schwer adipösen Mann, besonders junge Menschen kämpfen gegen
       besonders alte, Influencer gegen Profiboxer. Sogenannte Freak Fights sind
       in den letzten Jahren zu einer Größe im Sport avanciert. Mal finden sie mit
       Beteiligung prominenter Namen statt, mal mit völlig Unbekannten –
       Hauptsache das Ganze ist irgendwie unkonventionell.
       
       Nachdem der MMA-Sport, bei dem verschieden Kampfsportarten zusammengemixt
       werden, Mitte der 2000er Jahre begann, sich zu professionalisieren und am
       Ende des Jahrzehnts den Mainstream erreichte, wollten zahlreiche neue
       Kampfsportarten von seiner Popularität profitieren.
       
       So entstand 2008 [1][„XARM“, eine krude Mischung aus Armdrücken und
       gleichzeitigem Schlagen, Kicken und Ringen]. Im selben Jahr feiert auch
       „[2][YAMMA Pit Fighting]“ sein Debüt, ein Abklatsch des MMA-Sports mit
       ähnlichem Regelwerk, nur dass die Organisation dem runden Käfig noch eine
       Kuhle hinzufügte. Sowohl das hybride Armdrücken als auch der Käfig mit
       Grube sind krachend gescheitert. Doch längst sind neue Kontaktsportarten
       erfunden worden.
       
       Heute wirbt die Sportliga [3][„Armored MMA“] mit „mittelalterlichen
       Käfigkämpfen“ und liefert genau diese: KämpferInnen in Plattenrüstung und
       Helm, die nicht nur mit Schwert und Schild zuschlagen, sondern auch mit
       Händen und Füßen. Die „[4][Pillow Fighting Championship]“ geht es weniger
       martialisch an und statt mit den Fäusten schlagen sich die Kontrahenten mit
       Kissen im Boxring. In [5][„Power Slap“], einem Nebenprojekt von Dana White,
       der die UFC zum Marktführer in der MMA-Szene geführt hat, geben sich Männer
       und Frauen abwechselnde harte Ohrfeigen, bis jemand zu Boden geht.
       
       Die Kämpfe der „[6][CarJitsu Championship]“ beginnen – wie bereits der Name
       verrät – in einem Fahrzeug und enden, sobald jemand auf engstem Raum mit
       einem Aufgabegriff zum Abklopfen gebracht wird. Besonders die „[7][Bare
       Knuckle Championship]“ hat mit ihrem Konzept – Boxen ohne Handschuhe –
       einen durchschlagenden Erfolg.
       
       ## Leicht gegen Schwer
       
       Während sich solche Organisationen aus Vermarktungsgründen teilweise
       durchaus seriös geben, inszenieren sich Formate wie „Fight Circus“
       selbstironisch und veranstalten Kämpfe, in denen zwei leichtere gegen einen
       schwereren Kämpfer antreten. Oder es wird mit einer Hand geboxt, während
       man in der anderen Hand ein Bier hält und trinken muss.
       
       Die Popularität des MMA-Sports und die Zunahme von Freak Fights werden oft
       als Anzeichen für eine Verrohung der modernen Gesellschaft interpretiert,
       doch bereits im antiken Griechenland gab es Pankration, den sogenannten
       Allkampf, der mit seiner Vermischung von Ringen und Boxen das heutige MMA
       vorwegnahm. Auch unkonventionelle Freak Fights, in denen das Spektakel
       wichtiger als der Sport ist, sind keine neue Erscheinung.
       
       [8][Der japanische Wrestler Antonio Inoki trat schon 1976 in Tokio gegen
       die Boxlegende Muhammad Ali an]. Das Regelwerk war eine unklare Mischung
       aus Treten und Schlagen und zog einen langweiligen Kampf nach sich, der
       aber heute als legendäres Aufeinandertreffen gilt. Ungleiche Freak Fights
       sind kein modernes Phänomen, sondern seit David gegen Goliath und Herkules
       in den Fängen der Hydra ein Teil der Mythenbildung.
       
       Was sich aber in der modernen, digitalen Gesellschaft geändert hat, ist die
       Vermarktung der Spektakelkämpfe. Die irren Inszenierungen haben bis auf
       wenige Ausnahmen kaum langfristigen Erfolg. Viele der neu gegründeten
       Organisationen richten zwei oder drei Veranstaltungen aus, bis ihre
       Finanzen erschöpft sind. Was bleibt, sind die Social-Media-Clips der
       wildesten Momente. So ließ die „World Freak Fight League“ 2024 Eddie Hall,
       [9][den ehemals stärksten Mann der Welt, mit seinen 1,91 Meter gegen zwei
       deutlich kleinere Influencer] antreten.
       
       ## Schnelles Geschäft im kurzlebigen Business
       
       Im Netz findet man zwar Tausende von Tiktok-Videos davon, doch der
       vollständige Kampf interessiert kaum jemanden. Genau darauf sind viele der
       Events ausgelegt, auf die Viralität, den schnellen Klick und die
       Reichweite, um mit großen, aber bedeutungslosen Zahlen kurzfristig
       Sponsoren anzulocken. Da die Organisationen keine Zeit haben, über Jahre
       eigene Stars aufzubauen, setzen sie auf bekannte Namen aus anderen
       Bereichen und packen diese in möglichst spektakuläre Szenarien. Auch
       deswegen hat das Promiboxen in den letzten Jahren einen Wandel erlebt.
       
       Dass nun vermehrt Influencer aus RealityTV-Formaten und anderen Branchen in
       den Ring steigen – wie zuletzt bei dem von der Bild mitorganisiertem Event
       „[10][Fame Fighting]“ in Essen – zeigt die Kurzlebigkeit des Marktes: Die
       Reichweite muss genutzt werden, solange es geht. Je größer der Name, je
       obskurer die Art, in der man sich schlägt, desto größer die Aufmerksamkeit.
       Die Social-Media-Vermarktung wird entweder durch die Fans oder das
       Ungewöhnliche zum Selbstläufer und millionenfach in den Netzwerken
       verbreitet. Es ist nicht das sportliche Element – wenn man denn überhaupt
       von einem sprechen kann –, dass die Gesellschaft verroht, sondern die
       Distribution der Events.
       
       Worum sich die kapitalorientierten Kräfte dahinter meist keine Sorgen
       machen: die Gesundheit der Kämpfenden. Der Boxer Justin Thornton erlag 2021
       seinen Verletzungen nach einem Kampf ohne Handschuhe bei der Organisation
       BKFC. Power Slap gilt unter Neurolog:innen als Garant für
       Gehirnerschütterungen. Und als [11][Mike Tyson letztes Jahr gegen den über
       30 Jahre jüngeren Influencer Jake Paul] boxte, musste er zahlreiche
       ärztliche Untersuchungen überstehen, um einem möglichen Herzinfarkt
       vorzubeugen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Freak
       Fights weitere Opfer fordern.
       
       25 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=oAAJ2GUzWz8
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=UDpAIt8Sojg
   DIR [3] https://armoredmmaxp.com/
   DIR [4] https://fightpfc.com/
   DIR [5] https://www.powerslap.com/
   DIR [6] https://www.instagram.com/carjitsu_championship/?hl=de
   DIR [7] https://www.bkfc.com/
   DIR [8] /Mega-Box-Event-in-den-USA/!5436746
   DIR [9] https://www.youtube.com/watch?v=VpBmLSPpPys
   DIR [10] https://www.instagram.com/famefighting/?hl=de
   DIR [11] /Boxen-im-Stream/!6113893
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Seng
       
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