# taz.de -- Justizministerin über Gleichberechtigung: „Frauen müssen viel zu oft zurückstecken“
> Stefanie Hubig (SPD) will lesbische Mütter gleichstellen und das
> Sexualstraftrecht verschärfen. Der Fall Pelicot beschäftigt sie noch
> immer.
IMG Bild: „Ich würde sagen, ja.“ Stefanie Hubig auf die Frage, ob sie Feministin sei
taz: Frau Hubig, aus Ihrem Ministerium kamen in dieser Legislatur bisher
deutlich mehr Initiativen zur Geschlechterpolitik als aus dem
Frauenministerium. Sind Sie die bessere Frauenministerin?
Stefanie Hubig: Ich schätze die Kollegin Karin Prien seit vielen Jahren
sehr und sehe uns nicht in einem Wettbewerb. Mir ist ausgesprochen wichtig,
dass wir gut zusammenarbeiten und gemeinsam viel erreichen. Gerade
Frauenpolitik ist mir wirklich ein Anliegen, und ich will da in dieser
Legislatur einiges bewirken.
taz: Rührt der Stellenwert des Themas auch aus Ihrer Zeit als Richterin und
Staatsanwältin?
Hubig: Ich habe damals viele Sexualstraftaten verhandelt, die meisten zum
Nachteil von Frauen. Die Vulnerabilität von Mädchen und Frauen und die
strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern war da deutlich zu
erfahren. Seitdem ist es mir auch in der beruflichen Zusammenarbeit enorm
wichtig, Frauen zu fördern. Auch mit meiner langjährigen Chefin,
Ministerpräsidentin Malu Dreyer, hatte ich da ein Vorbild. Sie hat immer
klar gemacht, dass sie Feministin ist.
taz: Sind Sie selbst Feministin?
Hubig: Ich würde sagen, ja. Frauen müssen viel zu oft zurückstecken oder
werden in vielen Bereichen noch nicht gleichermaßen gefördert. Das ist eine
Frage von Gerechtigkeit. Ich bin auch deshalb in der Politik, um das zu
ändern. Aber neben der Ungleichbehandlung sind Frauen auch viel zu oft
Opfer von Gewalt. Vor zwei Wochen war ich hier in Berlin in einem
Frauenhaus. Dort suchen Frauen Zuflucht, die von ihren Partnern verletzt,
geschlagen, bedroht, misshandelt werden. Es ist zutiefst bedrückend, wie
viele Frauen in unserem Land solche Gewalterfahrungen machen.
taz: In Fällen häuslicher Gewalt haben Sie für Täter die elektronische
Fußfessel auf den Weg gebracht. Gerade prüft Ihr Haus, inwiefern verbale
sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt werden kann. Warum ist das
wichtig?
Hubig: Frauen müssen sich frei im öffentlichen Raum bewegen können, ohne
aufs Vulgärste angesprochen und zum Objekt gemacht zu werden. Auch das ist
eine Frage von Gleichberechtigung. Der Staat muss hier Grenzen ziehen.
taz: An einem Gesetzentwurf, der 2024 im Bundesrat vorgestellt wurde,
kritisierte Bayern, damit würden nahezu sämtliche Verhaltensweisen mit
sexuellem Bezug strafbar sein. Wo wollen Sie die Grenze ziehen – ist „tolle
Figur“ noch zulässig?
Hubig: Natürlich! Bei der verbalen sexuellen Belästigung geht es nicht um
peinliche oder missglückte Komplimente, sondern um Machtausübung –
Bedrohungen und Einschüchterungen, die in sexualisierter Sprache verkleidet
sind.
taz: Ein Beispiel aus der aktuellen Politik: Was ist mit: [1][„Grab them by
the pussy“]?
Hubig: So ein Satz kann sogar mehr sein als eine verbale sexuelle
Belästigung. Darin kann man, je nach Kontext, auch eine Aufforderung zu
körperlichen Übergriffen sehen. Wohlgemerkt: Das hängt, wie immer im
Strafrecht, sehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
taz: Die Union lehnt Ihre Ideen zum Thema als „Symbolgesetzgebung“ ab.
Hubig: Strafrecht hat immer auch eine symbolische Dimension. Das weiß die
Union, und sie weiß das auch zu nutzen. Gerade von jungen Frauen – aber
auch von vielen anderen – erfahre ich für meinen Vorschlag viel Rückenwind,
durchaus auch von Seiten der CDU/CSU.
taz: Haben Sie Karin Prien auf Ihrer Seite?
Hubig: Wir haben darüber noch nicht gesprochen.
taz: Sie haben als Staatssekretärin unter Heiko Maas „Nein heißt Nein“
mitverhandelt. Ist es an der Zeit, dass „Ja heißt Ja“ kommt, also sexuelle
Handlungen nur mit ausdrücklicher Zustimmung möglich sind?
Hubig: Die Einführung von „Nein heißt Nein“ war damals ein
Paradigmenwechsel. Persönlich bin ich bei Jugendlichen wegen ihrer
besonderen Schutzbedürftigkeit für ein „Ja heißt Ja“. Alles weitere ist zu
diskutieren.
taz: Vergangenes Jahr hat Deutschland noch verhindert, dass „Ja heißt Ja“
auf europäischer Ebene in den Gewaltschutz kommt. Was hat sich geändert?
Hubig: Auf jeden Fall die Hausleitung.
taz: Jetzt würde Deutschland mit Ja stimmen?
Hubig: Es gab schon auch Gründe, die dagegen gesprochen haben. Es war ja
umstritten, ob die EU überhaupt die Kompetenz hat, solche Regeln zu
treffen.
taz: „Wer seine Partnerin schlägt, muss damit rechnen, dass er sein Kind
nicht mehr sehen darf“, sagten Sie. Wie weit sind die Pläne, den
Stellenwert häuslicher Gewalt im Sorge- und Umgangsrecht zu ändern?
Hubig: Das Vorhaben hat für mich hohe Priorität. Es ist an der Zeit, dass
wir den Schutz vor Gewalt noch stärker im Sorge- und Umgangsrecht
verankern. Mein Haus arbeitet mit Hochdruck an dem entsprechenden
Gesetzentwurf. Wir gehen davon aus, dass wir ihn in den nächsten Monaten
ins Verfahren geben können.
taz: Soll es verpflichtende Fortbildungen für Richterinnen und Richter
geben?
Hubig: Fortbildungen können einen riesigen Unterschied machen, gerade wenn
es um Gewaltschutz und den sensiblen Umgang mit Betroffenen geht. Ich will
gemeinsam mit den Ländern besprechen, wie wir da Verbesserungen erreichen
können. Es braucht auch ein Signal: Der Staat steht auf der Seite
gewaltbetroffener Frauen. Wenn sie geschlagen oder vergewaltigt wurden,
sind nicht sie schuld daran. Und: Sie können sich gegen Gewalt wehren. In
Frankreich hat [2][Gisèle Pelicot] eine enorm mutige Entscheidung
getroffen, sich aktiv in den Prozess einzubringen. Ihr Satz hat vielen
Frauen die Augen geöffnet: „Die Scham muss die Seite wechseln.“ Dieser Satz
begleitet mich seitdem.
taz: Sie wollen auch das Familienrecht ändern und können sich vorstellen,
die doppelte Mutterschaft für lesbische Paare einzuführen. Arbeiten Sie da
schon an einem Gesetzentwurf?
Hubig: Da braucht es dringend eine gesetzliche Regelung. Es ist für die
betroffenen Familien kaum zumutbar, dass sie ein [3][langwieriges
Adoptionsverfahren] durchlaufen müssen, bevor beide Frauen rechtliche
Eltern des Kindes sind. Was ist zum Beispiel, wenn die biologische Mutter
vor Abschluss des Verfahrens stirbt? Das Kind hat dann keine Sicherheit,
dass die zweite Mutter rechtlich elterliche Verantwortung trägt. Das
Jugendamt müsste das Kind in Obhut nehmen und einen Vormund bestellen. Das
sind große Belastungen. Mein Haus arbeitet derzeit an Regelungsvorschlägen.
Aber wir sind in einer Koalition. Da gehört auch gegenseitige
Rücksichtnahme dazu.
taz: Auf die Befindlichkeiten der Union?
Hubig: Darauf, dass es in einer Koalition immer Kompromisse geben muss.
taz: Der Kanzler selbst hat gesagt, dass er sich die Gleichstellung
lesbischer Mütter vorstellen kann. Muss man ihn da nicht beim Wort nehmen?
Hubig: Ich bin da gar nicht zögerlich. Aber ich habe die Erfahrung gemacht,
dass es gut ist, mit Menschen zu sprechen und sie mitzunehmen. Überstülpen
funktioniert in der Regel nicht, das gilt auch in einer Koalition.
taz: Wie wollen Sie die SkeptikerInnen überzeugen, die um die Rechte des
biologischen Vaters fürchten?
Hubig: Im Fall von Samenbanken spielt das keine Rolle, weil der genetische
Vater in diesen Fällen gar nicht rechtlicher Vater des Kindes werden kann.
Bei sogenannten Becherspenden im privaten Umfeld ist das etwas anderes. Da
kommt es auch auf die konkrete Konstellation an. All das sind schwierige
Fragen, über die wir uns vertieft Gedanken machen müssen. Das machen wir.
Oft ist die Realität da schon weiter als das Familienrecht.
taz: Beim Bundesverfassungsgericht liegen sechs Fälle lesbischer Mütter.
Hubig: Ja. Ich würde mir aber wünschen, dass wir für sinnvolle Reformen des
Familienrechts nicht erst warten, bis das Bundesverfassungsgericht uns dazu
eine Aufforderung schickt.
taz: Haben Sie Sorge, dass eine Debatte zum Thema in Richtung eines
Kulturkampfs gehen könnte?
Hubig: Wir leben in einer Zeit, in der gerne Kulturkämpfe angezettelt
werden. Aber davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Es geht hier ganz
konkret um den Abbau von Benachteiligungen.
taz: Ein Kulturkampfthema war auch die Wahl der RichterInnen zum
Bundesverfassungsgericht. Sie haben die Art und Weise kritisiert, wie mit
Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde. Muss der Modus der Wahl
reformiert werden?
Hubig: Ich halte es für höchst problematisch, wie das gelaufen ist. Das
darf sich nicht wiederholen. Aber nicht das Wahlverfahren ist das Problem.
Es sind die Populisten, vor allem aus rechten Kreisen, die den Eindruck
erwecken, als würden Richterinnen und Richter nicht wegen ihrer
Fachkompetenz eingesetzt. Es wurde einfach behauptet, die Kandidatin sei
eine politische Aktivistin. Diese Kräfte versuchen, den Rechtsstaat und
seine Institutionen verächtlich zu machen. Ein anderes Wahlverfahren würde
daran im Kern nichts ändern.
taz: Trotzdem: Lässt sich jemals wieder eine Kandidatin aufstellen, die
sich mit Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigt hat?
Hubig: Im Moment stellt sich die Frage nicht.
taz: Sie wird sich wieder stellen.
Hubig: Fest steht: Wir hätten ein ernstes Problem, wenn wir nur noch
Juristinnen und Juristen nach Karlsruhe schicken könnten, die
ausschließlich zu unkontroversen Themen öffentlich Stellung genommen haben.
Unsere Verfassungskultur lebt vom offenen Austausch.
taz: Haben die Vorgänge rund um die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf
die Bereitschaft, sich in öffentliche Ämter wählen zu lassen, generell
beschädigt?
Hubig: Ich sehe das mit Sorge. Wenn öffentliche Anfeindungen dazu führen,
dass Menschen sagen, das tue ich mir nicht an, haben wir ein
gesamtgesellschaftliches Problem. Gerade die Zahl weiblicher Kandidatinnen
für öffentliche Ämter geht zurück. Dagegen müssen und werden wir etwas tun.
taz: Was konkret?
Hubig: Wir sind dabei, das Strafrecht nachzuschärfen. Menschen, die für das
Gemeinwohl Verantwortung übernehmen, sollen besser geschützt werden. Wir
müssen aber auch als Gesellschaft die Debatte führen, wie wir mit denen
umgehen, die sich für den Staat und das Gemeinwesen einsetzen. Bei aller
berechtigten Kritik: Ich plädiere für mehr Respekt.
taz: Mit Respekt hat die SPD auch das Bürgergeld begründet. Nun schafft sie
es wieder ab. Ist die vollständige Streichung von Geld und Miete für
Menschen, die eine Arbeit oder wiederholt Termine ablehnen,
verfassungsgemäß?
Hubig: Bärbel Bas als verantwortliche Ministerin hat das natürlich im
Blick. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird
den Gesetzentwurf auf Verfassungsmäßigkeit prüfen, sobald er uns vorliegt.
Das ist unsere Aufgabe. Sie können sicher sein, wir ziehen hier an einem
Strang.
taz: Die SPD hat aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts lange
behauptet, komplette Streichungen von Leistungen seien nicht möglich. Was
sagen Sie als Juristin zur Kehrtwende?
Hubig: Das Bundesverfassungsgericht schließt eine vollständige Streichung
bei fehlender Mitwirkung nicht gänzlich aus. Oberstes Ziel muss immer sein,
Menschen in Arbeit zu vermitteln – also keine Sanktionierung um der
Sanktionierung willen. Eine komplette Streichung aller Leistungen wird
jedenfalls kein Massenphänomen sein.
taz: Das kann Familien mit Kindern betreffen. Kann es die SPD verantworten,
Kinder in die Obdachlosigkeit zu schicken, weil die Eltern Termine
schwänzen?
Hubig: Das wird nicht passieren. Deutschland ist und bleibt ein
Sozialstaat. Als Sozialdemokraten haben wir immer die Schwächeren im Blick.
Wir sorgen dafür, dass gerade auch Kinder aus armen Familien gute
Rahmenbedingungen zum Aufwachsen und für einen Aufstieg durch Bildung
haben.
24 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Wie-Trump-Feminismus-untergraebt/!6094462
DIR [2] /Gisele-Pelicot-als-Inspiration/!6052922
DIR [3] /Benachteiligung-bei-der-Ehe-fuer-alle/!6049140
## AUTOREN
DIR Patricia Hecht
DIR Anna Lehmann
## TAGS
DIR Stefanie Hubig
DIR Bundesjustizministerium
DIR wochentaz
DIR Sexualstrafrecht
DIR Gleichberechtigung
DIR Feminismus
DIR Social-Auswahl
DIR Paragraf 218
DIR Stefanie Hubig
DIR Queer
DIR Pelicot-Prozess
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Abschaffung des Paragrafen 218 StGB: Frischer Wind aus dem Norden
Kommt wieder Bewegung in die Debatte über die Legalisierung von
Abtreibungen? Zur kommenden Justizminister:innenkonferenz gibt es
einen Vorstoß.
DIR Gesetz gegen Einschüchterungsklagen: Pranger wirkt besser
Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat einen Gesetzentwurf gegen
sogenannte Slapp-Klagen vorgelegt. Viel erwarten sollte man nicht davon.
DIR Rechtsanwältin über Abstammungsrecht: „Die Reform ist seit Jahren überfällig“
Die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter sei nicht hinnehmbar, sagt
Anwältin Lucy Chebout. Das Bundesverfassungsgericht müsse endlich
entscheiden.
DIR Gisèle Pelicot als Inspiration: Grund zur feministischen Hoffnung
Auch wenn sich das für manche vielleicht anders darstellt: Der Blick ins
nächste Jahr ist für Feminist*innen kein Anlass, Trübsal zu blasen.