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       # taz.de -- Höchstes Windrad der Welt in Brandenburg: 365 Meter Zukunft
       
       > In der Lausitz wächst gerade das höchste Windrad der Welt in den Himmel –
       > höher als der Eiffelturm. Es könnte die Windkraft grundlegend verändern.
       
   IMG Bild: Noch ist der Kran das Höchste Bauwerk in Schipkau
       
       Eindrucksvoll und mindestens genauso hässlich, denkt jeder, der vor dem
       Eiffelturm steht. Für einen ganz ähnlichen Mix der Gefühle in Sachen
       Bauwerksästhetik muss man nicht mehr bis nach Paris reisen. Schipkau
       reicht. Hier in der Lausitz, auf einer vom Kieferwald überwachsenen
       Abraumhalde eines alten Braunkohletagebaus, entsteht gerade ein ganz
       ähnliches Wunder der Ingenieurtechnik. Mit dem Unterschied, dass es mehr
       Nutzen hat.
       
       Noch filigraner dank hochfestem Stahl, noch schlanker dank
       weiterentwickelter Verschraubungen und damit noch höher als das wohl
       berühmteste Bauwerk in Paris, soll das höchste Windrad der Welt bald in den
       Brandenburger Himmel ragen. Mit seinen etwa 365 Metern wird es dann so hoch
       sein wie der Berliner Fernsehturm und doppelt so hoch wie die meisten
       herkömmlichen Windräder, um dort oben noch effektiver Wind zu verstromen
       als jede Windkraftanlage bislang.
       
       Die Physik dahinter ist einfach: Je höher wir über der Erde sind, desto
       stärker bläst der Wind. „Dichter am Boden wird der Wind von Bergen, Wäldern
       und hohen Gebäuden gebremst“, erklärt Jochen Großmann, Geschäftsführer von
       Gicon, der Firma, die das Höhenwindrad baut. Wir stehen mit weißen Helmen
       auf dem Kopf und Schutzkappen an den Schuhen vor einem gigantischen
       Stahlgerüst und recken die Köpfe in den Herbsthimmel. „In 300 Metern Höhe
       spielt das aber keine Rolle mehr. Die Winde sind oben stärker und
       beständiger.“
       
       Die Kraft des Höhenwinds haben die Planer aus Dresden und Leipzig bereits
       gemessen. Dafür hatten sie an derselben Stelle einen [1][Messmast] in
       derselben Höhe errichtet und ein Jahr lang in unterschiedlichen Höhen Daten
       erfasst und ausgewertet, neben der Windgeschwindigkeit auch Temperaturen,
       Luftdruck und Luftfeuchte. Inzwischen steht der Messmast im Windpark Jüchen
       neben dem Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen und misst dort die
       Potenziale der bevorstehenden Generation Windräder auf der zweiten Etage.
       
       ## Warum wurden Windräder nicht gleich viel höher gebaut?
       
       Die Prognose aus den gesammelten Daten sagt: Die Rotorblätter von
       Höhenwindrädern werden in der doppelten Höhe auch die doppelte
       Stromausbeute liefern als eine kleinere Anlage mit gleicher
       Generatorleistung. Vor allem im windreicheren Winter würde das Höhenwindrad
       mit seinen konstanten Leistungen den größten Ertrag einspielen und seine
       höheren Baukosten rechtfertigen, während niedrigere Windräder vielleicht
       zeitweise stillstehen. Fragt sich nur mal naiv: Warum wurden Windräder
       nicht gleich viel höher gebaut?
       
       Fährt man von der A 13 auf Höhe des Lausitzrings ab, sieht man schon den
       riesigen orange-gelben Kran, wie er die Kiefern des Brandenburger Forsts um
       ein Vielfaches überragt. [2][Das Ungetüm] steht mit seinen eintausend
       Tonnen auf Lastenverteilplatten des Baufelds, damit er beim Montieren der
       Turmteile nicht im Boden einsinkt.
       
       Noch ist der Kran der mit Abstand höchste Punkt am Horizont. Unter ihm
       rotieren die Blätter der 59 kleineren Anlagen des Windparks Klettwitz. Doch
       auch der größte Baukran in ganz Europa ist „nur“ 170 Meter hoch. Das
       stählerne Baugerüst neben ihm hat bereits annähernd dieselbe Höhe erreicht.
       Bis zu dem Punkt, an dem sich das Höhenwindrad schließlich drehen soll,
       fehlen immer noch über 100 Meter.
       
       Die Technik, die das Windrad weit über den Baukran hinaus befördert, ist
       das, was Jochen Großmann [3][den entscheidenden Technologiesprung] nennt.
       Der Trick steckt im Teleskopverfahren: Vom Boden aus wurden hierfür
       zunächst zeitgleich zwei Türme aus Stahlverstrebungen gebaut: einen äußeren
       und einen inneren. Auf die Spitze des inneren Turms, auf etwa 160 Meter
       Höhe, wird das Windrad mit seiner Turbine und seinen drei Rotorblättern
       montiert.
       
       Danach wird der innere Turm im äußeren Turm hinaufgezogen, bis der Rotor in
       einer Nabenhöhe von 300 Metern im Luftstrom steht. Das ist nicht nur beim
       Aufbau praktisch. Auch für die Wartung kann die Anlage wieder abgesenkt
       werden.
       
       ## Flugwindkraftwerke setzten sich nicht durch
       
       Die beständige Kraft des Höhenwinds ist schon ein paar Jahre länger
       bekannt. Aber bislang konnte niemand ein Windrad mit Maschinenhaus und
       Generator so weit hinaufbefördern. Stattdessen experimentierte man mit
       Flugwindkraftwerken: Ein an einer Seilwinde befestigter Drachen ließ sich
       vom Wind in die Luft tragen und trieb so einen Generator am Boden an.
       Durchgesetzt hat sich die Idee nicht wirklich.
       
       Ein Höhenwindrad im Teleskopbau hingegen nutzt den Höhenwind viel
       wirtschaftlicher – und soll deshalb die Energieform revolutionieren. „Unser
       Windrad macht Windkraft auch dort möglich, wo er vorher weniger gebracht
       hätte“, sagt Jochen Großmann. „Wir erreichen damit überall Erträge, wie sie
       eigentlich nur von Offshoreanlagen bekannt sind.“ Auch in Baden-Württemberg
       und Bayern. Wo grüner Strom aus Windanlagen bislang von der Küste über
       landesübergreifende Stromtrassen in den hügeligen Süden befördert werden
       musste.
       
       Wer dort in Zukunft Windkraft verhindern will, braucht neue Argumente.
       Denn: Ein Höhenwindrad erzeugt auch in den Bergen rentablen Strom. Ein
       Höhenwindrad macht keinen Lärm, den man am Boden wahrnehmen könnte. Und:
       Ein Höhenwindrad dreht sich in Höhen, in denen kaum Insekten und somit auch
       viel weniger Vögel oder Fledermäuse kreisen.
       
       Seit Juli ist Großmanns Firma Gicon dabei, die Revolution der Windenergie
       zu errichten. Das Höhenwindrad wird nicht auf einem Betongehäuse stehen,
       sondern auf dem Stahlgitter von vier angeschrägten Standfüßen, solche mit
       dem Eiffelturmflair also. „Allerdings brauchen wir keine Millionen Nieten“,
       sagt Großmann. „Wir kommen mit 80.000 Schrauben aus.“ Schrauben so groß wie
       Kurzhanteln. Ihre Verbindungen hat Gicon patentieren lassen.
       
       ## Laut Plan soll das Windrad Juli 2026 in Betrieb gehen
       
       Im Baucontainer liegen ausgerollte Baupläne auf dem Tisch. In einem
       Glaskasten in der Ecke steht ein Miniaturmodell des Windrads: proportional
       ungewohnt und ein bisschen ulkig, als hätte jemand ein Windrad auf einen
       Strommast gestellt.
       
       Im Mai soll auf das quadratische Gerüst des Innenturms die Turbine
       aufgesetzt werden. Einen Monat später hat ein sogenannter Litzenheber
       seinen großen Auftritt. Die hydraulische Maschine, die auch beim Brückenbau
       zum Einsatz kommt, wird die Nabe des Windrads auf 300 Meter befördern.
       
       „Sofern alles mit der Zulieferung der Bauteile und den Behörden klappt,
       gehen wir schon im Juli in Betrieb“, sagt Großmann. Das Pilotprojekt soll
       mit einer marktüblichen Windturbine starten. Die im Durchmesser 125 Meter
       langen Rotorblätter sollen sich dann so schnell und beständig drehen, dass
       eine Nennleistung von 3,8 bis 4,2 Megawatt herausspringt. Mehr, als die
       Forschenden vor ihren Messungen erwartet hatten.
       
       Bis 2030 will Gicon bundesweit bis zu 1.000 weitere Anlagen aufstellen,
       vorwiegend in bestehenden Windparks und weniger in den Bergen
       Süddeutschlands. In Kombination mit kleineren Windrädern soll das
       Höhenwindrad am meisten bringen. „Dort können wir auf viel kleinerer Fläche
       wesentlich mehr Elektroenergie erzeugen“, sagt Großmann. „Die Zukunft der
       Windenergie liegt darin, dass wir von nun an auf zwei Etagen arbeiten.“
       
       24 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gicon.de/aktuelles/artikel/items/hoechster-windmessmast-der-welt-nimmt-betrieb-in-juechen-nrw-auf
   DIR [2] https://www.erneuerbareenergien.de/technologie/onshore-wind/baustelle-fuer-360-meter-hoehenwindrad-eroeffnet
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=HHyk_c6tUxQ
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Brandstädter
       
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