# taz.de -- Priesterseminar in Istanbul: Wiedereröffnung des Istanbuler Priesterseminars
> Das griechisch-orthodoxe Priesterseminar des Patriarchats in Istanbul
> soll wieder öffnen – nach 50 Jahren.
IMG Bild: Das Priesterseminar auf der Insdel Heybeliada, die bei den Griechen noch Chalki heißt
Als die Mitarbeiter der städtischen Fährgesellschaft in Istanbul das Gatter
vor dem Kai in Kabatas öffnen, stürmen die Leute auf das große weiße
Fährschiff zu, um sich die besten Plätze zu sichern. Hinter den ungestümen
Touristen kommen die Einheimischen gemächlich an Bord; Bewohner der
berühmten Prinzeninseln, die in der Stadt Einkäufe erledigt haben und nun
auf die Inseln zurückfahren.
Unter den Fahrgästen fällt ein orthodoxer Priester auf, der in seiner
schwarzen Tracht zurückgezogen an einem hinteren Tisch sitzt. Die Fähre
steuert nach und nach jede der vier bewohnten Prinzeninseln an, die
vorletzte ist Heybeliada, die in Istanbul vor allem für ihre große
Marine-Kadetten-Schule bekannt ist.
Heybeliada beherbergt aber noch eine ganz andere, wesentlich ältere Schule
als die Ausbildungsstätte der Marine – das Priesterseminar im orthodoxen
Kloster Aya Triada, einem imposanten Bau auf einem vorgelagerten Hügel der
Insel, die für die Griechen nach wie vor Chalki heißt. Vom Meer aus sieht
man das Kloster schon von Weitem. Bei gutem Wetter wächst es quasi aus den
Baumwipfeln hervor, jetzt im Herbst schimmert es durch den Nebel und ist
nur für Eingeweihte zu erkennen.
Am Fähranleger in Heybeliada verlässt der Priester das Schiff und macht
sich auf seinen Marsch hoch zum Kloster. Dieses in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich errichtete Kloster liegt inmitten
eines sorgsam gepflegten mediterranen Gartens, der von leuchtenden Blumen,
Zitrusbäumen und Palmen geprägt ist.
## Wie in einer anderen Welt
Sobald man das Eingangsportal durchquert, befindet man sich in einer
anderen Welt. Mit dem Betreten des Klosters öffnet sich ein Blick in die
Vergangenheit. Als das Kloster 1844 mit der ausdrücklichen Erlaubnis des
damaligen Sultans gebaut wurde, machten christliche Griechen und Armenier
noch gut die Hälfte der Istanbuler Stadtbevölkerung aus. Die Stadt, [1][von
den Griechen bis heute Konstantinopel genannt], hatte rund 80 Kirchen,
Dutzende Schulen, Krankenhäuser und andere konfessionelle Institutionen.
Auf der benachbarten Prinzeninsel Büyükada, für die Griechen bis heute
Prinkipo, steht noch immer ein großer Holzhauskomplex, der früher das
griechische Waisenhaus der Stadt war.
Im Kloster auf Chalki gründete das griechisch-orthodoxe Patriarchat ihre
Ausbildungsstätte für Priester, eine theologische Hochschule, an der junge
gläubige Männer aus allen Teilen des Osmanischen Reiches, von Ägypten bis
Bosnien, zu den führenden Theologen der griechisch-orthodoxen Kirche
ausgebildet wurden.
Das Priesterseminar überlebte das Ende der Sultans-Herrschaft, den Ersten
Weltkrieg, [2][den Zerfall des Osmanischen] Reiches und die Gründung der
Türkischen Republik. Schließlich lebten bis in die 50er Jahre des 20.
Jahrhunderts immer noch weit über 100.000 orthodoxe Griechen in Istanbul,
und Konstantinopel blieb das weltweit wichtigste orthodoxe Patriarchat,
auch wenn der türkische Staat den Patriarchen nur als Bischof der
griechischen Gemeinde in Istanbul anerkannte.
Das Priesterseminar von Chalki, sagen heute noch Absolventen der
theologischen Hochschule, war immer die fortschrittlichste
Ausbildungsstätte der Orthodoxie weltweit. Professor Konstantinos
Delikostantis ist mit seinen 73 Jahren einer der letzten noch lebenden
Absolventen des Chalki-Priesterseminars, das vor 54 Jahren auf Anordnung
der damaligen Militärregierung geschlossen wurde. „Was unsere Ausbildung
damals auszeichnete“, erzählte er vor vier Jahren Susanne Güsten, einer
Reporterin des Deutschlandfunks, „war der weltoffene und ökumenische Geist
in Chalki“.
Trotzdem wurde das Priesterseminar 1971 nach 127 Jahren erfolgreicher
Ausbildungszeit geschlossen. Es wurde Opfer zunehmender
türkisch-griechischer Spannungen, die durch die Unterdrückung der
türkischen Minderheit auf Zypern entstanden waren.
Seit Zypern 1960 von den Briten in die Unabhängigkeit entlassen worden war,
kämpften griechische Nationalisten für den Zusammenschluss (Enosis) mit
Griechenland. Die Türken sollten verschwinden. Als sich in Athen das
Militär 1967 an die Macht putschte, nahmen die Spannungen auf Zypern zu.
Überfälle auf türkische Dörfer häuften sich, bewaffnete Milizen beider
Seiten lieferten sich heftige Gefechte. Regierungschef auf Zypern war
damals Erzbischof Makarios, der im Priesterseminar auf Chalki ausgebildet
worden war. Für türkische Nationalisten wurde die theologische Hochschule
auf Heybeliada damit zum roten Tuch. Die Schule wurde dichtgemacht.
Der heutige Patriarch der orthodoxen Kirche in Konstantinopel, Bartholomäus
I., ist ebenfalls ein Absolvent des Priesterseminars auf Chalki.
Bartholomäus ist nicht irgendein Bischof, sondern er gilt als das
spirituelle Oberhaupt der gesamten weltweiten 300 Millionen orthodoxen
Christen. Zwar ohne Amtsgewalt in den unabhängigen nationalen orthodoxen
Kirchen, aber dennoch in einer weltweit herausgehobenen Stellung, weil das
Patriarchat von Konstantinopel seit dem 4. Jahrhundert, als die christliche
Kirche in Ostrom Staatskirche wurde, bis heute als führendes Patriarchat
weltweit gilt.
Bartholomäus I. ist Primus inter Pares der orthodoxen Kirche und moderiert
deshalb auch in Konflikten zwischen einzelnen Landeskirchen, so auch
zwischen der russischen und der ukrainischen Kirche, wo er sich zuletzt auf
die Seite einer unabhängigen ukrainischen Kirche stellte. Bartholomäus hält
die Tradition seiner Hochschule hoch; er ist ein weltoffener Theologe, der
sich seit Langem für die Wiedervereinigung der orthodoxen mit der
katholischen Kirche einsetzt, zum Missfallen vieler reaktionärer Priester
seiner Kirche.
Sein Herzensanliegen aber ist die Wiedereröffnung des Priesterseminars in
Chalki, nicht nur aus theologischen Gründen, sondern weil davon auch die
weitere Existenz der griechischen Gemeinde in Istanbul und das Überleben
des Patriarchats in Konstantinopel abhängt. Laut türkischem Gesetz müssen
die Priester der orthodoxen Kirche türkische Staatsangehörige sein, die in
der Türkei geboren wurden. Da das Priesterseminar seit über 50 Jahren
geschlossen ist, konnte die Kirche in Konstantinopel keinen
Priesternachwuchs mehr ausbilden.
In der gesamten Türkei leben heute nur noch rund 2.000 griechisch-orthodoxe
Christen, die meisten davon in Istanbul. Nur mit großer Mühe halten die
wenigen alten Priester den Betrieb in den griechischen Kirchen aufrecht,
auch immer mehr griechische Konfessionsschulen müssen schließen. In diesen
Tagen erlebt die älteste und größte griechische Schule, ein imposanter Bau
über dem Goldenen Horn, ihr Ende. Es gibt zu wenig Schüler und die
griechische Gemeinde kann das Geld nicht mehr aufbringen, das nötig wäre,
um den Bau erdbebensicher zu machen.
## Neues Leben für die griechische Gemeinde
Die Wiedereröffnung des Priesterseminars könnte der griechischen Gemeinde
in Konstantinopel neues Leben einhauchen und vor allem auch einen
Kandidaten für die Nachfolge von Bartholomäus hervorbringen und die
Existenz des Patriarchats sichern. Nach einigen Anläufen, die immer
scheiterten, ist Bartholomäus jetzt sicher, dass es 2026 klappt.
Da er als Bischof auch für die orthodoxe Kirche in den USA zuständig ist,
traf er sich am 15. September im Weißen Haus mit Donald Trump, der ihm
seine Unterstützung für das Priesterseminar zusagte. Als der türkische
Präsident Recep Tayyip Erdoğan zehn Tage später ebenfalls seinen
Antrittsbesuch im Weißen Haus machte, sprach Trump das Thema an. Und nahm
Erdoğan das Versprechen ab, das Priesterseminar wieder öffnen zu lassen.
Vor Ort in Chalki sind sie bereits seit Längerem mit der Renovierung des
Klosters beschäftigt. Die Klassenzimmer stehen bereit. Beim Rundgang durchs
Kloster treffen wir unseren Priester von der Fähre wieder. Er heißt
Dimitrios und kommt aus Thessaloniki. Er ist seit fünf Jahren in Chalki und
sorgt mit vier anderen jungen Kollegen aus Griechenland für die
Aufrechterhaltung des klösterlichen Lebens. Anders als sein Patriarch ist
er skeptisch, was die Wiedereröffnung der Schule angeht. „Wir haben das
schon so oft gehört“, sagt er, „am Ende ist es jedoch nie passiert.“ Wenn
er recht hat, würde das wohl auch das Ende der fast 2000 Jahre alten
orthodoxen Kirche in Konstantinopel bedeuten.
26 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Jürgen Gottschlich
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