URI: 
       # taz.de -- Bundeskongress der Grünen Jugend: Neue Vorsitzende, alte Forderungen
       
       > Auch die neue Spitze der Grünen Jugend schlägt gegenüber der Mutterpartei
       > kritische Töne an. Sie fordert mehr linke Politik – kann aber auch
       > höflich.
       
   IMG Bild: Irgendwie Seite an Seite: Die neue Bundesspitze der Grünen Jugend (mittig) und die alte (außen) beim Kogress in Leipzig
       
       Leipzig taz | Demonstrativ Arm in Arm stehen Henriette Held und Luis Bobga
       auf der Bühne. Gerade hat der 59. Bundeskongress der Grünen Jugend das Duo
       zu den neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Der Applaus hält an. Ein Beamer
       projiziert immer noch das Ergebnis von Bobga hinter sie an die Wand: 76,2
       Prozent der Anwesenden waren für ihn, Gegenkandidaturen gab es keine. Bei
       Held waren es kurz zuvor 93,6 Prozent. Haben es Männer beim Jugendverband
       einfach schwerer, oder ist die geringere Zustimmung für Bobga ein Anzeichen
       für internen Zwist?
       
       Zuletzt verlief es eher unharmonisch beim Parteinachwuchs der Grünen. Nach
       nur einem Jahr traten die Vorgänger:innen der beiden, Jette Nietzard
       und Jakob Blasel, nicht mehr an. Klar, das Amt ist herausfordernd: das
       angeknackste Verhältnis zwischen Partei und Jugendorganisation, die
       rückläufigen Stimmanteile bei jungen Wähler:innen. Hinzu kam, [1][dass
       Nietzard mehrfach bundesweite Kontroversen auslöste.] Auch innerhalb des
       Vorstands soll es immer wieder laut geworden sein.
       
       Beim Bundeskongress an diesem Wochenende in Leipzig ist davon aber kaum
       etwas zu spüren. Lächeln lautet die Devise, auf und abseits der Bühne. Rund
       500 Mitglieder der Grünen Jugend sind da. Trotz der Kontroversen ist die
       bundesweite Mitgliederzahl in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen.
       Nach eigenen Angaben gehörten im Januar 16.700 Mitglieder der
       Jugendorganisation an, im Juli waren es 18.900 Mitglieder.
       
       Traditionell positionieren sie sich links der Partei. Das zeigt sich auch
       auf dem Bundeskongress. Auf Pullovern stehen politische Sprüche: „Eat the
       Rich“, „Fotzen gegen rechts“, „Fuck Nazis“. Ein Mitglied pfeift die Melodie
       der Internationalen, das weltweit bekannte Kampflied der sozialistischen
       Arbeiter:innenbewegung.
       
       ## „Viele von euch sind enttäuscht“
       
       Die Wahl von Held und Bobga ist der zentrale Programmpunkt. Die Erwartungen
       an sie sind hoch. Schaffen es die beiden 23-Jährigen, dass intern wieder
       Ruhe einkehrt? Und können sie das angeknackste Verhältnis zur Mutterpartei
       klären?
       
       Schon in ihren Bewerbungsreden machen beide klar: Mit kritischen Tönen von
       ihrer Jugendorganisation dürfen die Grünen weiterhin rechnen. Sowohl Held
       als auch Bobga tadeln den aktuellen Kurs der Partei.
       
       Am Redepult sagt Henriette Held, [2][bislang Landessprecherin der
       Parteijugend in Mecklenburg-Vorpommern], am Samstagmittag: „Viele von euch
       sind enttäuscht von den Grünen. Ich bin es auch.“ Zu oft habe sich die
       Partei für „Macht statt Haltung entschieden“. Die Klimakrise sei aus den
       Schlagzeilen verschwunden. Mit Blick auf die Landtagswahlen in
       Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern nächstes Jahr, warnt Held vor
       einer „reellen Chance, dass Rechtsextreme an die Macht kommen“. Nun seien
       die Grünen aber in der Opposition, „und das öffnet neue Spielräume“, glaubt
       Held.
       
       Wenig später verspricht Luis Bobga an der gleichen Stelle: „Wir werden
       diese Partei wieder auf links drehen!“ Umverteilung solle ins Zentrum
       grüner Politik. „Nichts bringt dieses kapitalistische System mehr ins
       Wanken, als junge Menschen, die sich organisieren“, sagt er. Der Verband
       und die Partei sollten explizit Menschen unterstützen, die unter Rassismus
       leiden, fordert Bobga.
       
       Damit klingen die beiden gar nicht so anders als der vorletzte Vorstand,
       der vor etwas mehr als einem Jahr geschlossen zurücktrat und im gleichen
       Zug die Partei verließ. Die Grünen kümmerten sich zu viel um Abschiebungen,
       zu wenig um Klimaschutz, vor allem aber zu wenig um den Klassenkampf,
       lautete damals die Begründung.
       
       ## Machtmissbrauch in der Grünen Jugend?
       
       Beim Bundeskongress im Oktober 2024, ebenfalls in Leipzig, wählten die
       Mitglieder deshalb einen komplett neuen Vorstand um die
       Bundessprecher:innen Nietzard und Blasel. Auch die beiden waren die
       Projektionsfläche für viel Hoffnung: [3][Zwei unterschiedliche Charaktere],
       das muss nichts Schlechtes sein. Doch allem Anschein nach hat es nicht gut
       funktioniert.
       
       Wie das Nachrichtenmagazin Spiegel am Freitag – pünktlich zum Beginn des
       Kongresses – berichtete, werfen Mitglieder Nietzard Machtmissbrauch vor.
       Sie habe ein Netzwerk um sich aufgebaut und mit dessen Unterstützung
       Andersdenkende schikaniert. In diesem Zusammenhang sei etwa das Wort
       „Schulmobbing“ gefallen. Schon Ende Mai habe sich eine Mehrheit des
       Vorstandes gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Nietzard ausgesprochen.
       
       Zu der Zeit sorgte ein Instagram-Post der Sprecherin bundesweit für Furore.
       Auf einem Selfie trug sie einen Pullover mit dem polizeikritischen Kürzel
       „ACAB“ (All Cops Are Bastards). Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident
       Winfried Kretschmann und sein Nachfolgekandidat Cem Özdemir legten ihr
       daraufhin den Parteiaustritt nahe. Im Juli kündigte Nietzard schließlich
       an, nicht erneut als Sprecherin anzutreten, im Verband wolle sie aber
       bleiben.
       
       Für viele überraschend erklärte im September auch ihr Co-Vorsitzender
       Blasel, nicht mehr zu kandidieren. Kurz zuvor hatte Luis Bobga entschieden,
       sich um das Amt bewerben. Bislang war er Beisitzer des Bundesvorstands. Der
       Bericht des Spiegel legt nahe, dass Blasel mit seinem Rückzug einem
       anhaltenden Konflikt aus dem Weg gehen wolle. Das wird auch in der Partei
       kolpotiert. Darauf angesprochen sagte Blasel der taz, er verzichte aus
       anderen Gründen auf eine erneute Kandidatur. Klimaschutz und Studium,
       darauf wolle er sich nun wieder konzentrieren. Das Semester beginnt gerade.
       Er plane, am Dienstag die erste Vorlesung zu besuchen.
       
       ## „Feigheit einer grünen Politik“
       
       Von internem Zwist lässt Blasel auch kaum etwas durchblicken, als er am
       späten Nachmittag seine Abschiedsrede hält. Er kritisiert zum Abschied zwar
       die Partei noch mal scharf. Die Grüne Jugend kämpfe „für alle Menschen, die
       unter diesem kapitalistischen System leiden müssen, ohne Wenn und Aber“,
       sagt er. Auch deshalb sei der Verband mit der eigenen Partei oft „hart ins
       Gericht gegangen“, doch die habe nicht zugehört. „Es ist die Feigheit einer
       grünen Politik, die sich nicht traut, mit den wahren Verursachern der Krise
       anzulegen.“
       
       Auf Widersacher:innen in den eigenen Reihen geht er aber nicht direkt
       ein. Die Grüne Jugend solle sich nicht in Grabenkämpfen verlieren, sondern
       die großen Kämpfe im Blick behalten, sagt Basel nur noch und winkt zum
       Abschied
       
       Die Zerrüttungen lassen sich aber auch so erahnen: Als Blasels
       Verabschiedung beginnt, verlässt Nietzard die Halle. Unmittelbar vor ihm
       hat sie einen separaten Abschied bekommen – und in ihrer Rede ebenfalls
       gegen die Grünen ausgeteilt. „Schweigend kann man nichts erkämpfen“, sagte
       sie zur Kritik an ihrem Stil. Taten seien manchmal wichtiger als
       Befindlichkeiten. „Ich glaube aktuell nicht an diese Partei, aber ich
       glaube an euch, ich glaube an die Grüne Jugend“, sagte Nietzard zum
       Abschied.
       
       ## Protest mit Manieren
       
       Mit dem nächsten Programmpunkt bricht die Konfrontation am frühen Abend
       dann aber ein wenig auf. Es ist ein erster Gradmesser für das künftige
       Verhältnis zwischen Partei und Nachwuchs, als Grünen-Chef Felix Banaszak
       ein Grußwort spricht.
       
       Bei ihm ist Platz für Selbstkritik. Er habe aus den Auseinandersetzungen
       der letzten Monate für die Zukunft gelernt, öfters das „Verbindende und
       Gemeinsame“ nach vorne zu stellen. Sogar zu „Respekt und Dankbarkeit“
       sowohl für Blasel als auch für Nietzard ringt er sich durch. Und wenn es
       mit den Nachfolger:innen Diskussionen gebe, dann wolle er diese „ein
       bisschen häufiger am Telefon und ein bisschen weniger über dpa führen“.
       
       Mitglieder von der Basis halten während seiner Rede ein Protestbanner hoch,
       aber die Parole darauf ist höflich formuliert: „Felix, bitte links
       abbiegen.“ Danach hält die neue Nachwuchschefin Held die Replik, ganz ohne
       Kritik am kapitalistischen System. Natürlich hat sie Forderungen an
       Banaszak. Die Partei solle in Zukunft wieder mehr auf die Grüne Jugend
       hören, Oppositionsarbeit ohne „Ampel-Herzschmerz machen“ und stattdessen
       zur „Partei der großen Träume werden“. Aber voll auf Konfrontation geht sie
       jetzt nicht. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“, sagt Held zum
       Schluss.
       
       11 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rueckzug-von-Jette-Nietzard-/!6099500
   DIR [2] /Personalkarussell-bei-der-Gruenen-Jugend/!6113336
   DIR [3] /Jakob-Blasel-im-Portraet/!6094238
       
       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Grüne Jugend
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Felix Banaszak
   DIR Klima
   DIR Antirassismus
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR GNS
   DIR Ampel-Koalition
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Grüne fragen nach Klimaprogramm: Bundesministerien noch ohne Klimaschutz-Plan
       
       Die Regierung muss ein Klimaprogramm vorlegen, aber ihre Mitglieder können
       keine Vorhaben nennen. Extremwetter kam Europa im Sommer teuer zu stehen.
       
   DIR Personalkarussell bei der Grünen Jugend: Der nächste Versuch
       
       Die bisherige Spitze zieht sich zurück, Nachfolger*innen stehen bereit.
       Ein Besuch an der Ostsee bei Henriette Held. Sie will die Grüne Jugend
       führen.
       
   DIR Enttäuschende Klimapolitik der Grünen: Verrat am eigenen Anspruch
       
       In den Koalitionsverhandlungen haben die Grünen zentrale klimapolitische
       Forderungen für Machtspiele aufgegeben. Damit haben sie Vertrauen
       verspielt.