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       # taz.de -- Ausstellung von Erik Schmidt: Ein durchschnittlicher Mann von Welt
       
       > Bezugsrahmen eigenen Schaffens: Im Kindl-Zentrum Berlin verweist mit „The
       > Rise and Fall of Erik Schmidt“ ein Künstler auf sich selbst.
       
   IMG Bild: Der Künstler in seinem Element: Erik Schmidt „Suitwatchers Anonymous“ (Poster 2003)
       
       Ein Mann will nach oben. Er schiebt sich an Häuserfassaden hoch, Wände und
       Gitter rauf. Klettert auf Bäume, Anhöhen und Zäune. Weit kommt er aber
       nicht, egal wo er anfängt, sein absurder Parcours führt nirgendwohin. An
       den generischen Neubauten, die er zum Großteil zu erklettern versucht,
       findet er keinen Halt.
       
       Die Stadt ist Berlin, man erkennt sie an Plätzen, Straßen, [1][der
       Architektur], Kunstwerken. Etwa an jenen merkwürdigen künstlichen Palmen,
       die vor dem Gebäude des Bundesnachrichtendienstes, wie es auf dessen
       Website heißt, „für Ferne und fremde Kulturen stehen“ sollen. Glatte,
       seelenlose Dinger, an denen der Künstler Erik Schmidt, von dem die
       Videoarbeit „The Bottom Line“ stammt, gar nicht erst Hand oder Fuß anlegt.
       
       Fährt man mit dem Aufzug nach oben in den zweiten Stock des Kindl – Zentrum
       für zeitgenössische Kunst in Neukölln, ist „The Bottom Line“ die erste
       Arbeit, auf die man in Schmidts Einzelausstellung blickt. Und bei der man
       gleich mitten drin steckt in Schmidts Kosmos.
       
       ## Zwei Protagonisten an einem Ort
       
       Vor allem auch stellt sie die beiden wichtigsten Protagonisten seines Werks
       und der Ausstellung vor, als da wären der Künstler selbst und Berlin. „The
       Rise and Fall of Erik Schmidt“ – so der Titel der Schau – führt
       gewissermaßen genauso Aufstieg und Fall der Stadt vor Augen, durch die
       Schmidt sich bewegt, als Mensch, als Flaneur, als Künstler, und die immer
       wieder Schauplatz seiner Arbeiten ist: Berlin. Er hat sich die Hauptstadt
       über die Jahrzehnte angeeignet.
       
       Geboren ist Erik Schmidt in der westdeutschen Provinz, in Herford, 1968.
       Erst studierte er in Hamburg an der HfbK (1992-1997), dann an der
       Universität der Künste Berlin (1998–2000). Malerei und Illustration waren
       das zunächst, und so verfolgt Schmidt in seiner künstlerischen Praxis zwei
       Pfade – warum auch nicht? Er ist ebenso Maler wie Videokünstler. Nähert
       sich von zwei Seiten seinen Themen und Motiven an.
       
       Die Ausstellung im Kindl ist nicht chronologisch aufgebaut. Kurz vor dem
       Ende des Rundgangs geht es zurück zu den Anfängen, in die 1990er Jahre. Zu
       [2][Pilli auf die Mönckebergstraße] zum Beispiel, von der Schmidt in seinem
       ikonischen Video „I love my hair“ (1997) erzählt, davon, wie dieser
       zwischen den Models auf den Werbeplakaten die Selbstzweifel über die Ohren
       wachsen.
       
       ## Am Haupthaar ergötzt
       
       Er tut das, während er sich auf der Bildebene überdreht am Schwung des
       eigenen Haupthaars ergötzt. Oder zu der herrlich ironischen Videoarbeit
       „Einzelgruppe Berlin“ (1995), einem Gemeinschaftswerk von Schmidt mit
       Corinna Weidner, in dem sich aalglatte Fuzzis aus der Medien-Kunst-Blase in
       Plattitüden suhlen. Schöne junge Menschen mit auf Hochglanz poliertem
       Zahnpastalächeln verlieren sich in Posen, erzählen von Hypes und Trends und
       Projekten. Vielleicht macht es heute sogar noch mehr Spaß, sich das
       anzusehen als damals, in jener Zeit, als Berlin noch cool war.
       
       Da schon, wie auch später, scheint Schmidt sich in seinen Videoarbeiten
       seinen Platz in der Welt zu suchen – oder auch einfach einen Parkplatz wie
       in „Parking“ (2000). Er tritt auf als Individuum und Stellvertreter,
       Versuchskaninchen für das Austesten von Grenzen und Freiheiten der
       Subjektivität.
       
       Noch lieber seziert er dafür speziellere Gruppen, männlich geprägte
       Jagdgesellschaften etwa, wie er sie aus seiner ostwestfälischen Heimat
       kennt. Untersucht dort wie anderswo, was es heißt, ein Mann zu sein. Ein
       Mann von Welt – oder doch einfach nur Durchschnitt, wie er es in „Fine“
       durchdekliniert, nach dem er sich das gute italienische Olivenöl über den
       Kopf gegossen und mit Meersalz den Anzug abgerieben hat.
       
       ## Anonyme Anzüge
       
       Ein Mann mit Funktion oder mit einem Auftrag, auch das, was man seit ein
       paar Jahren toxische Männlichkeit nennt. Männeranzüge oder Männer in
       Anzügen, noch so ein Erik-Schmidt-Topos. Gemalt und gezeichnet hat er die.
       Sich selbst darin inszeniert. Als gesichtsloser Geschäftsmann etwa, der in
       „Suitwatcher’s Anonymous“ einen gepolsterten Bürostuhl auspeitscht, bis die
       Daunen fliegen.
       
       Äußerlichkeiten, Oberflächen und das, was sich darunter befindet, darum
       geht es oft auch in seiner Malerei. Übermalungen sind dort eine seiner
       Spezialitäten. Seine Ölgemälde gleichen Skulpturen, [3][so pastos ist die
       Farbe aufgetragen]. Als Untergrund dienen ihm oft großgezogene Fotografien
       oder Bilder aus Magazinen.
       
       Mit dem Pinsel scheint er sich die Welt, seine Welt, Auszüge davon, urbane
       Landschaften, an die er wie eine Kamera ranzoomt, zu dechiffrieren. Ein
       guter Beobachter von Menschen ist er aber auch, von Menschen in diesem
       Stadtraum, in New York, wo er unter anderem die Occupy-Bewegung
       dokumentierte, in Tokio oder eben Berlin.
       
       Die jüngste Auseinandersetzung Schmidts mit seiner Wahlheimat erfolgt dann
       aber doch wieder durch die Kamera. Die Videoarbeit „Rough Trade“ entstand
       für die Ausstellung. Wenn man will, kann man darin Figuren, Motive,
       Fragestellungen aus früheren Arbeiten wieder entdecken. Sie umkreisen sich,
       Schmidt umkreist sie, flaniert wieder durch die Stadt. Nur etwas älter ist
       er geworden.
       
       15 Oct 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Beate Scheder
       
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