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       # taz.de -- Gremlizas „Gesammelte Schriften“: Der bürgerliche Politjournalismus als lächerliches Ideal
       
       > Die ersten vier Bände von Hermann L. Gremlizas „Gesammelten Schriften“
       > lesen sich wie ein Geschichtsbuch. Sie erhellen die Verhältnisse in der
       > BRD.
       
   IMG Bild: Hermann L. Gremliza vor seiner Schreibmaschine in der SPIEGEL-Redaktion
       
       Hermann L. Gremlizas „Gesammelte Schriften“ sind ein Angebot, sich mit etwa
       sechs Jahrzehnten Zeitgeschichte zu beschäftigen – wie sie hätte
       wahrgenommen werden können, als sie gerade Gegenwart war. Dieser Konjunktiv
       II zeigt an, dass vermutlich nicht viele Menschen diese grammatikalisch
       umständliche Perspektive einzunehmen bereit sein werden; des Weiteren gibt
       er einen Hinweis darauf, dass wir dazu eingeladen werden, eine
       dissidentische Perspektive auf die Verhältnisse einzunehmen; zum Dritten
       soll dieser selten angewandte Konjunktiv ein Indiz dafür sein, dass wir die
       Lektüre der Werke eines Stilisten erwarten dürfen.
       
       Hermann L. Gremliza war seit 1963 als Autor tätig, zunächst bei
       Studentenzeitungen, dann beim Spiegel, später bei der Monatszeitschrift
       Konkret, die er von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2019 herausgab und der
       er mit zwei Kolumnen Gewicht verlieh: Die eine hieß „Express“, die andere
       war der Leitartikel.
       
       In „Express“ machte Gremliza vermeintlich führende Intellektuelle des
       Landes schlicht dadurch lächerlich, dass er sie zitierte. Legendär etwa,
       wie er Theo Sommer von der Zeit vorführte. Besonders war nicht, dass dieser
       solch verhauene Sprachbilder formulierte: „In Nahost glüht weiter die
       Lunte; die Ost-West-Entspannung ist von Mehltau befallen; allenthalben
       ächzt das Gebälk unter der Last der Nöte.“ Vielmehr galt Sommer Gremliza
       als typischer Vertreter seiner Art: Sommer erscheine in seiner Kolumne
       lediglich als „Phänomen, in dem sich der bürgerliche Politjournalismus als
       Ideales darstellt“, erklärte Gremliza in einem Interview für Spex.
       
       ## Wehrsportgruppe Wojtyła
       
       Im monatlichen Leitartikel äußerte sich Gremliza zu allem, was ihm wichtig
       schien: ob Weltpolitik, [1][innerlinke Auseinandersetzungen] oder die
       Versuche in Politik und Kultur, NS-Herrschaft und Antisemitismus zu
       verharmlosen oder gar zu rehabilitieren. Eine Stichprobe aus dem Jahr 1980:
       In „Wehrsportgruppe Wojtyla“ vergleicht Gremliza den damaligen Papst
       Johannes Paul II., bürgerlich Karol Wojtyła, mit dem Rechtsterroristen
       Karl-Heinz Hoffmann. Gremliza, dem Abokündigungen herzlich gleichgültig
       waren, fragte rhetorisch, ob diese Überschrift mehr als eine Provokation
       sei. „Da haben wir zunächst mal zwei Männerorden in Phantasie-Uniformen. In
       beiden herrscht das Führerprinzip, in beiden wird bedingungslose
       Gefolgschaft verlangt.“
       
       Gremlizas furioses Fazit lautet, die Überschrift sei „der Versuch, eine in
       Arbeitsteilung tätige und deshalb in ihrer Interessenidentität nicht mehr
       so leicht durchschaubare Blase auf den Begriff zu bringen“.
       
       Liest man in einem Rutsch durch, was im Monatsrhythmus präsentiert wurde,
       lassen sich Wandlungen deutlicher erkennen. Nicht nur gegenüber den
       1960ern, als er etwa der Zeit noch attestiert hatte, sie sei „die beste
       deutsche Wochenzeitung“. In den 1970ern zeigte sich Gremliza als
       linkssozialdemokratischer Autor, der mit breiten Bündnissen politisch
       intervenieren wollte. So ging von ihm eine Kampagne zur Verhinderung eines
       Bundespräsidenten Karl Carstens (früher NSDAP, später CDU) aus. Solches
       Engagement nahm nach der Wiedervereinigung Deutschlands ab. Warum genau,
       das dürften die folgenden Bände der „Gesammelten Schriften“ zeigen.
       
       Ich möchte noch einen letzten Aspekt anführen, warum die vier bislang
       vorliegenden Bände (und wohl auch die noch zu erwartenden weiteren 14) als
       historisch wertvolle Betrachtung bundesrepublikanischer Verhältnisse zu
       verstehen sind: Jeder Band enthält ein exzellent recherchiertes
       lexikalisches Personenregister. Auch dies lässt sich lesen als eine linke
       Geschichte dieses Landes. Last but not least: Die Freude an gut
       geschriebenen Texten ist nichts Falsches.
       
       27 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Martin Krauss
       
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