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       # taz.de -- Gedenken an deutschen Kolonialismus: Ein Arbeitsauftrag an die Politik
       
       > Zivilgesellschaft übergibt Erinnerungskonzept Kolonialismus an
       > Kultursenatorin. Die freut sich, aber Geld zur Umsetzung der Forderungen
       > hat sie nicht.
       
   IMG Bild: In Windhuk/Namibia gibt es bereits ein Denkmal zur Erinnerung an den deutschen Völkermord an den Herero und Nama
       
       Berlin taz | Berlin soll einen zentralen Lern- und Erinnerungsort zum Thema
       Kolonialismus erhalten und eine „dezentrale Erinnerungslandschaft“, die
       „bedeutende kolonialhistorische Räume“ markiert und diese „im Stadtraum
       sichtbar/begehbar“ werden lässt. Dafür sollen dauerhafte Strukturen
       etabliert werden. Dies sind die zentralen Forderungen im gesamtstädtischen
       Erinnerungskonzepts „Kolonialismus erinnern“, das der Leiter des Projekts,
       Ibou Diop, am Montag Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos)
       übergeben hat.
       
       [1][Bereits 2019 hatte das Abgeordnetenhaus beschlossen, dass Berlin ein
       gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept Kolonialismus
       braucht] - und den Senat beauftragt, ein solches erarbeiten zu lassen.
       „Berlin übernimmt Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit“,
       beschlossen die Politiker*innen damals – so steht es nun auch auf dem Titel
       des Konzepts.
       
       „Mein Dank geht an die Zivilgesellschaft für die Erarbeitung des
       Erinnerungskonzepts. Wir in der Politik haben nun die Verantwortung und
       Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dieser Prozess weiter
       vorangebracht werden kann – für unsere Stadt und für die kommenden
       Generationen“, sagt Wedl-Wilson der taz. Es gehe nicht allein um die
       Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern darum, eine gemeinsame Zukunft zu
       gestalten.
       
       Auch Ibou Diop, der das Projekt am Stadtmuseum Berlin geleitet hat, zeigt
       sich zufrieden: „Das [2][Erinnerungskonzept Kolonialismus] ist in dieser
       Form beispielgebend, weil es ein Arbeitsauftrag von der Zivilgesellschaft
       für die Politik ist – und weil es im Gegensatz zum Gedenkstättenkonzept des
       Bundes auch das Gedenken an die Verbrechen des Kolonialismus in den Fokus
       nimmt.“ Diop spielt damit auf die Pläne von Kulturstaatsminister Wolfram
       Weimer (CDU) an, der den Kolonialismus aus dem Gedenkstättenkonzept des
       Bundes streichen will.
       
       ## Kolonialismus wirkt bis heute
       
       [3][Literaturwissenschaftler Diop] hat das Erinnerungskonzept zunächst in
       einem zweijährigen Prozess in Zusammenarbeit mit den
       zivilgesellschaftlichen Initiativen Dekoloniale, Decolonize Berlin, ADEFRA,
       Korea Verband, korientation und Afrika-Rat erarbeitet. Das Ergebnis ist
       umfangreich. Es fasst nicht allein die Forderungen der Zivilgesellschaft
       zusammen, sondern begründet zunächst die Notwendigkeit des Konzepts und
       gibt einen Überblick darüber, was die Autor*innen unter dem deutschen
       Kolonialismus verstehen: Nämlich nicht nur die „Zeit der formalen deutschen
       Kolonialherrschaften auf dem afrikanischen Kontinent, in Asien und im
       Pazifik“, sondern auch deren Nachwirkungen bis heute.
       
       Als mögliche Orte für den zentralen Lern- und Erinnerungsort werden der
       Standort des ehemaligen Deutschen Kolonialmuseums an der Moltke-Brücke, der
       Ort des ehemaligen sogenannten Königlichen Museums für Völkerkunde in
       Kreuzberg, sowie das Areal rund um den Karpfenteich im [4][Treptower Park,
       an dem die sogenannte „Völkerschau“ der Ersten Deutschen
       Kolonialausstellung im Sommer 1896 stattfand], ins Spiel gebracht.
       
       Das Konzept betont die weitere Zusammenarbeit mit den Communities und
       Zivilgesellschaften. Neben der Wissensvermittlung im öffentlichen Raum wird
       ein Ausbau der wissenschaftlichen Forschung zur Kolonialgeschichte sowie zu
       Rassismus gefordert. Einige Leerstellen, die geschlossen werden sollen,
       werden konkret benannt: „Es gibt in Berlin bisher keine Mahnmale für den
       Völkermord an den Herero und Nama oder den genozidalen Maji-Maji-Krieg“,
       heißt es. Dies müsse im Rahmen einer kolonialismuskritischen Gedenkkultur
       verändert werden.
       
       Eckpunkte des Konzepts wurden erstmalig [5][im April 2024 im Haus der
       Kulturen der Welt vorgestellt]. In der Zeit danach habe man den Entwurf mit
       dem „Historischen Beirat bei der Senatorin für Kultur und
       Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ diskutiert, erklärt Diop. „In der
       Zusammenarbeit haben wir nachgeschärft, was wir unter Kolonialismus
       verstehen. Außerdem ging es darum, unser Konzept in bestehende
       Gedenkkonzepte zum Nationalsozialismus und der SED-Diktatur einzubetten
       bzw. in Beziehung zu setzen.“
       
       ## Kaum Geld für die Umsetzung
       
       Ein Knackpunkt bleibt nun die Finanzierung und damit die Umsetzung. Daniel
       Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen, kritisiert, dass im
       Haushalt für 2026/27 kein zusätzliches Geld für die Umsetzung des
       Erinnerungskonzepts eingestellt wurden. Er hatte den Antrag 2019 mit ins
       Abgeordnetenhaus eingebracht. „Es ist doch paradox, dass wir jetzt ein
       schönes Konzept haben, aber keine Mittel für die Realisierung“, sagt
       Wesener der taz.
       
       Der Doppelhaushalt 2026/27 sieht die Finanzierung einer Geschäftsstelle am
       Stadtmuseum vor, die unter Leitung von Diop künftig an der Errichtung eines
       Lern- und Erinnerungsortes zum Kolonialismus in Berlin arbeiten soll.
       Außerdem sind laut Senatsverwaltung für Kultur Sondermittel für Projekte
       zum Thema Kolonialismus in Höhe von 150.000 Euro pro Jahr eingestellt.
       
       Anteilig werde das Thema zudem im Förderprogramm „Förderung
       zeitgeschichtlicher und erinnerungskultureller Projekte“ berücksichtigt.
       Doch insgesamt gilt: „Angesichts der angespannten Haushaltslage zielen die
       Bemühungen derzeit darauf ab, bereits geschaffene Strukturen langfristig zu
       erhalten und zusätzliche Mittel für die Umsetzung zu akquirieren“, heißt es
       seitens der Senatsverwaltung für Kultur in einer Antwort an die Grünen.
       
       Wesener zeigt sich zudem skeptisch in Bezug auf die Betonung des zentralen
       Lern- und Erinnerungsortes zum Kolonialismus: „Die Forderung nach einem
       zentralen Erinnerungsort ist richtig, aber seitens der Landespolitik auch
       wohlfeil, weil sich alle einig sind, dass man das ohnehin nicht ohne den
       Bund umsetzen kann.“
       
       Und hier sieht es schlecht aus: Im (von Kulturstaatsminister Weimer)
       überarbeiteten Gedenkstättenkonzept des Bundes kommt der Kolonialismus laut
       Berichten der SZ nicht mehr vor – obwohl der Koalitionsvertrag vorsieht,
       die „Aufarbeitung des Kolonialismus“ zu intensivieren. Außerdem sollen
       Mittel für letzteres stark gekürzt werden. Das nun der Kultursenatorin
       Wedl-Wilson übergebene Konzept soll voraussichtlich im November im Senat
       diskutiert werden.
       
       13 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Postkoloniales-Berlin/!5918562
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   DIR [3] /Literaturwissenschaftler-ueber-Kolonialismus/!5876119
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Wagener
       
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