# taz.de -- Gaza-Tagebuch: „Papa, ist der Krieg vorbei?“
> Unser Autor kann endlich wieder durchatmen, da nun die Waffenruhe im
> Gazastreifen begonnen hat. Seine Tochter freut sich auf die kleinen
> Dinge: Süßigkeiten, Eier, Fleisch.
IMG Bild: Der Krieg ist erst mal vorbei – doch die schwierige humanitäre Lage nicht. Ein Mädchen in einem Zelt in Zentralgaza am 12. Oktober
Die Nacht macht uns keine Angst mehr. Sie erstickt uns nicht mehr und
versetzt uns nicht mehr in Schrecken. Die Tage sind warm und wieder voller
Leben geworden. Ich komme gerade zurück nach Hause und habe Süßigkeiten für
meine kleine Tochter mitgebracht. Es ist genau der Typ, den sie mag. „Wenn
du zurückkommst, Papa, [1][bring mir etwas Süßes und Leckeres mit]“, hatte
sie gesagt. Monatelang konnte ich das nicht tun. Jetzt kann ich es – sogar
mehrmals am Tag.
Jetzt kann ich schlafen und über die Zukunft nachdenken. Ich erinnere mich,
wie ich früher Anrufe von meinen Freunden im Ausland ignoriert habe – ich
wusste einfach nicht, was ich ihnen sagen sollte. Wir stellten uns vor, wir
wären ein schwarzer Punkt auf einem weißen Plakat, und versuchten, uns so
klein wie möglich zu machen, um dem Radiergummi zu entkommen – um nicht für
immer zu verschwinden. Es war ein Kampf ums Überleben.
Aber jetzt rufe ich meine Freunde jeden Tag an. Wir sprechen über Träume,
Reisen und eine Zukunft, die noch vor wenigen Tagen nicht zu existieren
schien. Ich erinnere mich, dass ich einem Freund erzählt habe, dass ich,
als wir vertrieben wurden, die Vorhänge aus unserem Haus mitgenommen habe.
Als der Waffenstillstand verkündet wurde und ich nach Hause zurückkehrte,
war es dunkel in unserem Haus. Ich beschloss, die Vorhänge erstmal nicht
wieder aufzuhängen. [2][Mein Freund] brach in Gelächter aus.
## Die Nacht, in der der Deal kam
Ich erinnere mich an die Nacht, in der [3][die Zusage für den
Waffenruhe-Deal] kam: Es war ein Uhr nach Mitternacht.Ich saß auf der
Treppe des Gebäudes, in dem wir untergekommen waren, als mein Bruder fragt:
„Glaubst du, dass sie es diesmal wirklich tun werden?“ Ich sah ihn an und
antwortete: „Ich hoffe es. In unseren Herzen ist kein Platz mehr für eine
weitere Enttäuschung.“
Stundenlang verfolgten wir damals die Nachrichten online. Die Stufen
fühlten sich kalt unter uns an. Plötzlich brach die Internetverbindung ab.
Doch dann durchbrachen plötzlich aus dem Nichts Rufe und Jubel die Kälte
der Nacht.
Wir hatten gedacht, wir wären die Einzigen, die in dieser Nacht wach waren.
Doch ganz Gaza wachte mit uns. Wir konnten trotz der Neuigkeiten nicht
einschlafen – unsere Gedanken wollten sich nicht beruhigen. Also gingen wir
hinunter in die Wohnung der Familie im Erdgeschoss, versammelten uns,
umarmten uns, tauschten Worte und Gefühle aus. Ich fragte mich: Würden wir
nun nach Hause zurückkehren können?
## „Papa, ist der Krieg vorbei?“
Eine lange Stille erfüllte den Raum, bis der Morgen kam.Meine Frau und
meine Tochter Elin waren wach und kamen schließlich die Treppe hinunter.
Elin rannte auf mich zu, warf ihre Arme um meinen Hals und fragte: „Papa,
ist der Krieg vorbei?“Ich lächelte und sagte: „Ja, mein Schatz, er ist
vorbei.“
Sie schrie vor Freude: „Dann kannst du mir jetzt alles kaufen, was ich
will? Ich will Pommes, Eier, [4][Fleisch und so viele andere Sachen]!“ Wir
lachten.
Doch nur wenige Minuten später ertönten Schüsse und Jubelrufe, um das Ende
des Krieges zu feiern. Die Schüsse waren so laut, dass Elin mir wieder in
die Arme sprang und ängstlich fragte: „Papa, ist der Krieg wieder da?“ Ich
beruhigte sie schnell: „Nein, mein Schatz, die Leute feiern nur, dass er
vorbei ist.“
Doch in diesem Moment überkam mich ein erschreckender Gedanke: In meinem
Land klingt Freude genau wie Krieg.
Aus dem Englischen Lisa Schneider
Muhammad Ghoneim ist Schriftsteller und Komponist aus Gaza. Für seine
Kurzgeschichtensammlung „Beyond the Mirrors“ (Jenseits der Spiegel) wurde
er mit dem First Book Award der A. M. Qattan Foundation ausgezeichnet. Er
erhielt außerdem den Najati Sidqi Award.
Internationale Journalist*innen können seit rund einem Jahr nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im [5][„Gaza-Tagebuch“]
holen wir Stimmen von vor Ort ein.
13 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!6105475
DIR [2] /Abschiednehmen-in-Gaza/!6059476
DIR [3] /Gaza-Tagebuch/!6119305
DIR [4] /Opferfest-in-Gaza/!6088712
DIR [5] /Kolumne-Gaza-Tagebuch/!t5999816
## AUTOREN
DIR Muhammad Ghoneim
## TAGS
DIR Kolumne Gaza-Tagebuch
DIR Gaza-Krieg
DIR Gaza
DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
DIR Israel
DIR GNS
DIR Recherchefonds Ausland
DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
DIR Geisel
DIR Nahost-Debatten
DIR Kolumne Gaza-Tagebuch
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Frieden in Nahost: Partner und Geld für den Wiederaufbau gesucht
Noch überwiegt die Freude über die Freilassung der Hamas-Geiseln. Wird
Deutschland nun, wie angekündigt, eine führende Rolle beim Wiederaufbau
übernehmen?
DIR Abkommen zwischen Israel und Hamas: Trump plant „Ausweitung des Friedens“ in Nahost
Die lebenden israelischen Geiseln sind frei. Trump werde als
Friedensstifter in die „Menschheitsgeschichte eingehen“, sagt Netanjahu.
DIR US-Präsident will Nobelpreis: Warum Trump nicht einmal Applaus verdient
Trump war für die Weiterführung Israels genozidalen Krieges verantwortlich
und hat ihn beendet, als es opportun war. Ihn dafür zu loben, ist grotesk.
DIR Gaza-Tagebuch: „Den Moment der Rückkehr ins Leben festhalten“
Die Menschen im Gazastreifen freuen sich über die Waffenruhe. Doch was
werden sie bei Rückkehr in ihren Heimatregionen vorfinden?