# taz.de -- Die Wahrheit: Die großartigen Acht
> Nur noch wenige Länder der Welt bieten ihren freien Bürgern die
> vollkommen tempolimitlose Autofreiheit, darunter das tolle Deutschland.
IMG Bild: Wo sind all die Frauen in Afghanistan? Manche verstecken sich im Kofferraum
Wer kennt ihn nicht, den edlen Zirkel der letzten acht gerechten Länder,
die auf ihren Straßen kein offizielles Tempolimit haben? Sie sind es, die
auf Erden als einzige die Fahne der Freiheit hochhalten, indem sie auf die
willkürliche Gängelei ihrer autofahrenden Bevölkerung verzichten:
Afghanistan, Bhutan, Burundi, Haiti, Mauretanien, Nordkorea, Somalia und
Deutschland.
Stolze Länder mit freier Fahrt für freie Bürger. Und sogar für unfreie
Bürger, was nicht hoch genug einzuschätzen ist. Denn was für eine famose
Geste, mit der dir der Staat wie entschuldigend die Hand reicht, als wolle
er sagen: „Ich weiß, es ist nicht viel, was ich dir bieten kann. Aber nimm
zum Ausgleich für Folter, Hunger und Staatsterror das Recht zur
unbegrenzten Raserei entgegen. Quasi als Trostzuckerl, Zeichen der Freiheit
und des guten Willens.“
Leider droht nun ausgerechnet Deutschland aus dem Kreis dieser „Greatful
Eight“ auszuscheren. Denn 64 Prozent der Bürger sind für ein Tempolimit.
Noch nimmt sich die Bundesregierung ein Beispiel an den anderen sieben und
bleibt bislang stabil, indem sie den infantilen Bürgerwillen ignoriert.
Doch so lange der tückische Teufel Demokratie im Hintergrund noch immer
seine unsichtbaren Fäden zieht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die
Gesetzeslage kippt. In diesem Punkt ist Deutschland nun mal einer größeren
Gefährdung ausgesetzt als die politisch klarer strukturierten anderen
sieben Länder.
Jetzt lernen wir auf die harte Tour, dass Freiheit nie selbstverständlich
ist, sondern wir sie uns stets aufs neue verdienen müssen. Dabei sollten
wir uns auch nicht zu schade sein, von anderen zu lernen: Wie schaffen es
Somalia, Nordkorea, Afghanistan der Versuchung zu trotzen, staatlicher
Schikane den Vorzug vor individueller Freiheit und Glück einzuräumen?
Schauen wir doch einmal genau dorthin.
## Sorgen
„Wir machen uns Sorgen um die Freiheit der Menschen in Deutschland“, warnt
denn auch Mirwais Nizamuddin. „Das Wurstverbot, die Sprachvorschriften, die
Transmenschen, die das ganze Land terrorisieren: Sagen Sie mal, was ist da
eigentlich bei Ihnen zu Hause los?“
Peinlich. Auch, dass in der BRD Pressevertreter, die sich gegen das
Tempolimit einsetzen, äußerst gefährlich leben – einem Journalisten namens
Ulf Poschardt soll sogar mehrfach öffentlich widersprochen worden sein –,
ist dem hohen Taliban-Funktionär nicht entgangen. Der Minister für
Bartkontrolle, Steinigung und Frauenverachtung hat stets ein wachsames Auge
auf die Menschenrechtssituation in der ganzen Welt. „Wenn jetzt auch noch
die Geschwindigkeitsbegrenzung kommt, sind wir bereit, ein faires
Flüchtlingskontingent aufzunehmen“, verspricht er. „Vor allem natürlich
deutsche Ortskräfte und ihre Familien.“
Die deutsche Verkehrssicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Denn
wenn hier das Tempolimit purzelt, fällt es am Ende überall. „Bei uns kann
man so schnell fahren, wie man will“, erläutert Nizamuddin stolz. „Übrigens
auch Frauen. Falls sie einen Führerschein haben. Den sie natürlich nicht
bekommen.“
Gründlich räumt er mit unserer kulturellen Hybris auf: „Die im Westen
gestreuten Gerüchte vom ‚illiberalen Verbotsstaat‘“ – er schießt mit seiner
Kalaschnikow ironische Gänsefüßchen in die Luft – „sind lächerlich. Das
sehen Sie nun zum Glück selbst.“
## Von morgen
Wir befinden uns an der für ihre rücksichtslosen Raser verrufenen
Bundestalibahn 2 von Nasbul nach Brumbahar. Lange Zeit kommt niemand
vorbei. „Der Vorführeffekt“, grinst der Minister. Doch wir müssen uns nur
wenige Stunden gedulden, bis ein einsamer Radfahrer quietschend und in
einer riesigen Staubwolke die Schotterpiste entlangkommt. Als er schon fast
an uns vorüber ist, schießt ihm mein Begleiter eine Salve in den Rücken.
Interessant. „Regenbogenaufkleber am Schutzblech?“, möchten wir wissen. Der
Taliban schüttelt empört den Kopf. „Um Gottes Willen, wir sind doch nicht
in Sachsen-Anhalt. Nein, er hat einfach nur die zulässige
Mindestgeschwindigkeit unterschritten.“
Die gleichzeitig der potenziellen Höchstgeschwindigkeit entspricht, denn
schneller als 20 km/h kann hier keiner fahren, ohne sich die Achsen zu
brechen. „Aber man dürfte.“ Mirwais Nizamuddin zwinkert uns fröhlich zu.
„Dies ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Alles kann, nichts muss,
und zugleich regiert auch noch die Vernunft. Oder sehen Sie hier
irgendjemand rasen? Und das, obwohl es erlaubt wäre.“
Das sind fürwahr großartige Beispiele der Eigenverantwortung. Wo in
Deutschland ein undurchschaubarer Schilderwald die Verkehrsteilnehmer
schier in den Wahnsinn treibt, setzt man woanders auf dem Planeten einfach
getrost auf den gesunden Menschenverstand. So geht es nämlich auch.
25 Oct 2025
## AUTOREN
DIR Uli Hannemann
## TAGS
DIR Schwerpunkt Afghanistan
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