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       # taz.de -- Drecksarbeit für die AfD: Bürgergeldempfänger sollen für 1,20 Euro arbeiten
       
       > In Nordhausen sollen junge Bürgergeldempfänger:innen nun für 1,20
       > Euro die Stunde schuften. So sieht’s aus, wenn AfD-Populismus umgesetzt
       > wird.
       
   IMG Bild: Körbeflechten für ein Kanten Brot – wer ein Bild aus dem 18. Jahrhundert im Kopf hat, liegt gar nicht so falsch
       
       Gerne erledigen zurzeit die demokratischen Parteien im Bund die
       Drecksarbeit für die AfD. Das gemeinsame Ziel der Rechtsextremen wie auch
       ihrer Steigbügelhalter: Deutschland soll jeden Tag ein kleines bisschen
       scheißer werden. Ob Streichung der Pflegestufe I oder der Forschungsmittel
       gegen Long Covid, ob Verwässerung des Klimaschutzes oder das Allheilmittel
       „Ausländer raus“ – stets hechelt man dahin, wo die Faschisten schon sind.
       
       Kein Wunder, dass dergleichen erst recht auf kommunaler Ebene in Thüringen
       passiert, also dort, wo die Politik ohnehin längst mit dem Rücken zur Wand
       steht und mit beiden Händen mehr schlecht als recht die Attacken der
       Rechtsradikalen abzuwehren versucht.
       
       In diesem Fall versucht sich Matthias Jendricke (SPD), der Landrat des
       Kreises Nordhausen, als willfähriger Sachwalter des Bösen: Wie direktemang
       dem Wahlprogramm der blauen Nazis entnommen, schickt der Politiker junge
       Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren in die Grünanlagen, um für 1,20 Euro
       die Stunde Laub zu rechen und Sträucher zu schneiden. Alternative
       Zwangsarbeitsorte sind auch der örtliche Bauhof oder gemeinnützige
       Werkstätten. Im Büßergewand Körbe flechten für einen Kanten Brot – wer nun
       dieses Bild aus dem 18. Jahrhundert im Kopf hat, dürfte so falsch nicht
       liegen.
       
       Das alles entspricht exakt der Forderung der AfD-Fraktion im Bundestag nach
       einer Einführung von verpflichtender Bürgerarbeit: Die Leistungen der
       Grundsicherung für Arbeitsuchende sollen dabei „grundsätzlich an die
       Teilnahme an der ‚Bürgerarbeit‘ mit fünfzehn Wochenstunden geknüpft werden,
       soweit nicht bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit
       mindestens zwanzig Wochenstunden besteht.“
       
       ## „Wachrütteln“
       
       Das diesen Montag beginnende Projekt umfasst zunächst sechzig adoleszente
       Arbeitslose, zum Teil ganz ohne oder mit abgebrochener Ausbildung. [1][Es
       soll dazu dienen, den Alltag der Teilnehmer zu strukturieren und ihnen
       Verantwortung beizubringen]. Von „wachrütteln“ und „Unterstützung anbieten“
       spricht dabei der Landrat – die Probleme der jeweiligen Kandidaten auf dem
       Arbeitsmarkt individuell unter die Lupe zu nehmen, war wohl zu anstrengend.
       Lieber alle in einen Sack und Knüppel drauf. Beziehungsweise Schaufel. Ist
       ja auch eine Art „wachrütteln“.
       
       Von den sechzig Landeskindern erschienen nur dreißig zum ersten
       Arbeitstermin. Die anderen dreißig, vom Ordnungsamt daraufhin persönlich
       aufgesucht, hatten erst mal keinen Bock. Was den gesunden Menschenverstand
       wenig verwundert, rief im Landrat jedoch große Enttäuschung über seine
       ungezogenen Schäfchen hervor. Er forderte daher nun eine Verschärfung der
       Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld; das Jobcenter prüft bereits eine
       Kürzung.
       
       Auch die thüringische SPD ist offenbar in diese Wahnwelt eingetreten, in
       der das Hauptproblem nicht steuerfreie Milliardenerben sind, sondern
       sechzig Nordhäuser Jugendliche, genauer gesagt jene „dirty thirty“, die
       nicht öffnen, wenn um sieben Uhr morgens die Büttel des Landvogts an die
       Tür hämmern, um die Knechte zur Fronarbeit abzuholen.
       
       Denn genau diese „Arbeitsscheuen“ – so lautet die Botschaft der politischen
       Rosstäuscher fast jeder Couleur –, sind es, die die Wirtschaft bremsen und
       unser Land zerstören: Die arbeitslosen Jugendlichen (dauerdaddelnde
       Snowflakes, die in einem fort wie am Spieß nach einer schaumbadähnlichen
       Work-Life-Balance schreien, statt zu arbeiten), die arbeitslosen Ausländer
       und die arbeitslosen ausländischen Jugendlichen.
       
       ## Sand im Gulag umschütten
       
       Das klingt schon [2][sehr nach wohlfeilem Populismus] und statuiertem
       Exempel. Denn die Zahl der Totalverweigerer unter den Bürgergeldempfängern
       liegt laut verschiedenen Quellen zwischen 0,4 Prozent und 0,9 Prozent.
       
       Warum also sollte man die in der Mehrheit Arbeitswilligen zur Zwangsarbeit
       verdonnern? Noch dazu, da junge Arbeitslose, laut Arbeitsamt oft auch
       ausländische, mit dem Bewerbungsprozess überfordert sind. Wäre es
       vielleicht sinnvoller, hier anzusetzen? Kurse für Sprache,
       Bewerbungsschreiben, Motivationstraining, Psychotherapie. Wer wie im Gulag
       für einen Hungerlohn dazu verdonnert wird, Sand von einem Haufen auf den
       anderen zu schaufeln, lernt weder Alltagsstrukturierung noch Verantwortung.
       Nicht für sich und nicht für andere.
       
       4 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Arbeitspflicht-fuer-Buergergeldempfaenger/!6060575
   DIR [2] /Buergergeld-Populismus-der-CDU/!6057071
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
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