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       # taz.de -- Abschiebehaft in Deutschland: Wen es wirklich trifft
       
       > Freund:innen eines Gambiers haben mit Demos und einer Petition
       > probiert, ihn aus der Abschiebehaft zu holen. Das Gericht hat seinen
       > Eilantrag abgelehnt.
       
   IMG Bild: Hier sitzt Yerro Gaye seit Ende September in Haft: Das Abschiebegefängnis an der Hamburger Strasse in Dresden
       
       Leipzig taz | Seit dem 30. September sitzt Yerro Gaye in Dresden in Haft.
       Dabei wurde der 33-jährige Mann aus Gambia für keinerlei Vergehen
       verurteilt. Aber er soll abgeschoben werden. In den vergangenen Tagen haben
       Freund:innen und Unterstützer:innen Gayes deshalb Demonstrationen
       organisiert und mit einer [1][Petition tausende Unterschriften] gesammelt.
       Sie wollen, dass er in Deutschland bleiben kann. Seit Anfang des Jahres ist
       er verlobt, seine Partnerin spricht von einem „Albtraum“.
       
       Mit der Anwältin Christine Lüth beantragte Gaye im Eilverfahren beim
       Verwaltungsgericht in Magdeburg, die Abschiebung zu untersagen und ihm eine
       sogenannte Freizügigkeitskarte auszustellen. Darauf habe er durch die feste
       Partnerschaft ein Anrecht. Seine Verlobte ist französische Staatsbürgerin,
       lebt aber in Deutschland. Doch das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag am
       Montag abgelehnt. Damit gilt, was die Ausländerbehörde befindet: Er sei
       ausreisepflichtig und die Frist für seine Ausreise schon verstrichen. Gaye
       bleibt in der Abschiebehaft.
       
       Die Geschichte des 33-Jährigen ist in ihren Details ein Einzelfall. Sie
       zeigt aber, welchen Eingriff Abschiebehaft in die Leben der Betroffenen und
       ihres Umfelds bedeutet. Und der Fall zeigt, wie schwer es ist, sich
       rechtlich dagegen zu wehren.
       
       Gaye kam laut seinen Unterstützer:innen von der Guppe Solidarity
       Movement (Solimo) 2019 nach Deutschland. Zuletzt wohnte er in
       Sachsen-Anhalt. Weil das Bundesland über keine Abschiebehaftanstalt
       verfügt, wurde er nach Dresden im benachbarten Sachsen überstellt. Die
       Unterstützer:innen des 33-Jährigen gehen davon aus, dass er am
       Mittwoch per Flugzeug nach Gambia abgeschoben werden soll.
       
       ## Debatte über unbegrenzte Abschiebehaft
       
       Der taz liegen mehrere Briefe von Politiker:innen vor, die Behörden
       darum gebeten haben, ihn nicht abzuschieben. Sie verweisen auf seinen
       Integrationswillen und seine Verlobung. Er sei eigentlich ausgebildeter
       Grundschullehrer, habe aber zwei Jahre beim Paketversand Hermes gearbeitet.
       Das Unternehmen habe ihn unbefristet anstellen wollen, doch dafür bekam er
       keine Arbeitserlaubnis.
       
       In den vergangenen Jahren engagierte er sich demnach ehrenamtlich. Er habe
       etwa Workshops dazu gegeben, welche Unterstützung Geflüchtete bei der
       Ausländerbehörde brauchen.
       
       In der für ihn zuständigen Ausländerbehörde in Haldensleben,
       Sachsen-Anhalt, wurde er laut Solimo am 30. September festgenommen.
       Eigentlich habe er nur seine Papiere verlängern wollen. Ein ähnliches
       Vorgehen der Behörden ist auch bei anderen Abschiebungen bekannt.
       
       Insgesamt gibt es in Deutschland nach Informationen des
       Bundesinnenministeriums 790 Abschiebehaftplätze. Zuständig sind die
       Bundesländer. Darum lägen auf Bundesebene keine gesammelten Informationen
       darüber vor, wie viele Menschen der Staat derzeit in Abschiebehaft
       verwahrt. Eine [2][Große Anfrage der Linken im Bundestag aus dem Juli] dazu
       wurde bislang nicht beantwortet.
       
       ## Mehr Abschiebehaft – mehr Abschiebungen?
       
       Laut einer aktuellen Umfrage der Tageszeitung Welt sind in den
       Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und
       Baden-Württemberg zwischen 60 und 70 Prozent der Abschiebehaftplätze
       belegt. Eine ähnliche Abfrage der Nachrichtenagentur epd für das erste
       Halbjahr 2024 ergab eine Auslastung von etwa 50 bis 60 Prozent.
       
       Die Behörden nutzen also nicht alle bestehenden Plätze. Trotzdem fordert
       Bundespolizei-Präsident [3][Dieter Romann in der Welt am Sonntag], es
       brauche mehr Haftplätze für Ausreisepflichtige. Die Idee dahinter: So
       ließen sich mehr Abschiebungen vollziehen, weil die Betroffenen nicht
       kurzfristig untertauchen könnten.
       
       Bislang können die Behörden mit richterlichem Beschluss Menschen zunächst
       sechs Monate in Abschiebehaft nehmen. Selbst wenn die Menschen keine
       Straftaten begangen haben, dürfen Richter:innen die Haft um 12 Monate
       verlängern.
       
       Die Bundesregierung möchte dies allerdings noch weiter verlängern – am
       liebsten unbegrenzt. Anfang Oktober hatte Bundesinnenminister Alexander
       Dobrindt (CSU) vorgeschlagen, unter Umständen eine zeitlich „unbefristete
       Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber“ zu ermöglichen. Die
       Landesinnenministerien der SPD-geführten Länder Hamburg,
       Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen meldeten daran laut Welt
       verfassungsrechtliche Bedenken an.
       
       ## Wer kann sich wehren?
       
       Schon die aktuelle Praxis der Abschiebehaft steht in der Kritik. Laut Frank
       Gockel vom Bundesfachverband zur Unterstützung von Menschen in
       Abschiebehaft sei ein erheblicher Teil zu Unrecht inhaftiert. Schätzungen
       zufolge [4][betreffe das jede zweite Person in Abschiebehaft], sagte er der
       taz. Auch seine eigene Erfahrung zeige das. [5][Gockel engagiert sich seit
       30 Jahren] für Menschen in Abschiebehaft.
       
       Ob betroffene Personen dagegen vorgehen könnten, hänge von qualifizierter
       Beratung oder anwaltlicher Unterstützung ab, so Gockel. Allerdings will die
       schwarz-rote Bundesregierung just den erst Anfang 2024 eingeführten
       verpflichtenden Rechtsbeistand für Menschen in Abschiebehaft wieder
       abschaffen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll voraussichtlich in den
       nächsten Wochen beschlossen werden.
       
       Im Fall Yerro Gaye plant Anwältin Christine Lüth nun, eine Beschwerde beim
       Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die Argumentation der
       Ausländerbehörde, der das Verwaltungsgericht in Magdeburg folgte, sei „in
       mehrfacher Hinsicht fragwürdig“. So behaupte die Behörde etwa, von Gayes
       Verlobung nichts gewusst zu haben.
       
       Dabei habe Gaye im August bei der Ausländerbehörde um Erlaubnis gebeten,
       nach Berlin zu reisen, um die Eheschließung dort anzumelden. Das sei ihm
       verweigert worden, berichtet Lüth. Spätestens da sei die Behörde über die
       Verlobung informiert gewesen. „Sämtliche Nachweise über den Schriftverkehr
       mit dem Standesamt wurden der Behörde vorgelegt“, bekräftigt die Anwältin.
       Das Vorgehen der Behörde zeige, „dass hier nicht sorgfältig ermittelt,
       sondern eine vorgefasste Position durchgesetzt wurde“.
       
       14 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.change.org/p/stop-the-deportation-of-yerro-gaye
   DIR [2] https://dserver.bundestag.de/btd/21/008/2100882.pdf
   DIR [3] https://archive.is/20251012130245/https://www.welt.de/politik/deutschland/plus68e79696d3ab2139f9f115eb/migrationspolitik-jetzt-formiert-sich-spd-widerstand-gegen-dobrindts-abschiebeplaene.html#selection-2455.0-2455.104
   DIR [4] /Anwalt-Peter-Fahlbusch-zu-Abschiebehaft/!6083072
   DIR [5] /Demo-gegen-Abschiebehaft-in-Arnstadt/!6097933
       
       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
       
       ## TAGS
       
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