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       # taz.de -- Menschenrechte in der Lieferkette: Noch weiter abgesägt
       
       > Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat massiven Abschwächungen der
       > Lieferkettenrichtlinie zugestimmt – sie soll nur noch für wenige Firmen
       > gelten.
       
   IMG Bild: Die Baumwollbauern von Agrocel im Dorf Kodesu, Indien, werden fair behandelt
       
       Berlin taz | Das sei „Erpressung“, sagten Menschenrechtsorganisationen und
       EU-Parlamentarier, als der Chefverhandler der Konservativen EVP Jörgen
       Warborn [1][androhte, mit den Ultrarechten abzustimmen], wenn Mitte-links
       Politiker*innen nicht Abstriche beim europäischen Lieferkettengesetz
       hinnähmen.
       
       Am Montagabend haben Sozialdemokraten und Liberale nun gemeinsam mit der
       EVP den Kompromiss angenommen, um weitere Abschwächungen des
       Lieferkettengesetzes zu verhindern. Die Grünen lehnten ihn ab. Schon vor
       der Abstimmung hatte Anna Cavazzini, die handelspolitische Sprecherin der
       Grünen im Europaparlament, beklagt: „Wir hätten zusammen mit den
       Sozialdemokraten am Ende noch Verbesserungen erreichen können, hätten sie
       dem Druck standgehalten.“ Das Endergebnis sei eine tiefgreifende Schwächung
       des ursprünglichen Gesetzes.
       
       Dieses soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechtsverletzungen in
       ihrer Lieferkette – die mittlerweile so definiert ist, dass sie nur noch
       bis zum ersten Zulieferer reicht – zu verhindern und auf Umweltstandards zu
       achten. In der neuesten Fassung gelten die Regeln nur noch für Unternehmen
       mit mindestens 5.000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz.
       Damit wären nur noch etwa 10 Prozent der einstigen Firmen betroffen. Die
       Bundesregierung spricht von [2][150 Unternehmen in Deutschland].
       
       Zudem wird die zivile Haftung gestrichen. Sie hätte es Betroffenen von
       Menschenrechtsverletzung ermöglicht, Unternehmen auf Schadenersatz zu
       verklagen, wenn sie nachweisen können, dass diese nicht im Rahmen ihrer
       Möglichkeiten versucht haben, Missstände zu beheben.
       
       ## Initiative Lieferkettengesetz entsetzt
       
       Sofie Kreusch von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis Initiative
       Lieferkettengesetz schrieb, sie sei „entsetzt über die geplanten massiven
       Eingriffe in Menschen- und Arbeitsrechte weltweit – und ebenso darüber, auf
       welch beschämende Art und Weise diese Einigung zustande kam“.
       
       „Erst kürzlich haben sich [3][europäische Führungsetagen mehrheitlich für
       ambitionierte Berichtspflichten ausgesprochen] – unter anderem, weil sie
       sich dadurch Wettbewerbsvorteile erwarten. Diese Vorteile sind jetzt
       Geschichte“, erklärte Katharina Reuter, Geschäftsführerin des
       Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW). Der Kompromiss bringe keine
       gemeinsamen Standards, keine Resilienz des Binnenmarkts und keine Stärkung
       der europäischen Zulieferindustrie. Stattdessen sei er ein „Flickenteppich
       ohne Lenkungswirkung“.
       
       Tobias Wollermann, der bei der Otto Group für Unternehmensverantwortung
       zuständig ist, sagte: „Europäische Unternehmen und Konsument:innen
       wollen transparente Lieferketten, faire Arbeitsbedingungen für alle und
       nachhaltige Produkte. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesetzgebung
       harmonisiert wird und einheitliche Berichtsstandards auch für Unternehmen
       aus Drittstaaten gelten.“
       
       Die Entscheidung gilt als richtungsweisend für die Abstimmung im Parlament.
       Danach müssen noch die Mitgliedstaaten im Rat und die EU-Kommission
       zustimmen. Die zivile Organisation Germanwatch und die Initiative
       Lieferkettengesetz appellieren nun an die Bundesregierung, insbesondere die
       SPD, sich für substanzielle Nachbesserungen in Brüssel einzusetzen.
       
       Während Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wiederholt die Abschaffung der
       Regeln gefordert hatte, hielt Vizekanzler Lars Klingebeil (SPD) bislang
       daran fest.
       
       Die europäische Lieferkettenrichtlinie wurde schon einmal kurz vor
       Abschluss auf Druck des damaligen FDP-Finanzministers Christian Lindner
       stark abgeschwächt. Im Mai 2024 wurde sie dennoch beschlossen.
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) öffnete die
       Verhandlungen über den Text dann Anfang 2025 erneut, um Klagen der großen
       Wirtschaftsverbände über „Bürokratie“ entgegenzukommen.
       
       14 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Konservative-flirten-mit-extrem-Rechten/!6115267
   DIR [2] /Regel-fuer-Menschenrechte-in-Lieferketten/!6116398
   DIR [3] https://www.e3g.org/wp-content/uploads/E3G_-YouGov-Survey-Results.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
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