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       # taz.de -- Schlechte Jobs: Wehrt euch!
       
       > Manchmal reicht es, nach einer Lohnbescheinigung zu fragen. Und in die
       > Gewerkschaft einzutreten schadet auch nicht.
       
   IMG Bild: Zu denen will man nicht gehören: Arbeitslose warten im Flur des Arbeitsamtes
       
       Mir fehlte letzten Monat einiges an Geld auf meinem Konto. Das Bafög ist
       weggefallen, also brauchte ich zwei Jobs, um mich über Wasser zu halten.
       Ich suche verzweifelt nach dem Lohn des letzten Monats und rechne und
       rechne, weil mir die Zahlen seltsam vorkommen, als würde da irgendwas nicht
       stimmen.
       
       Ich rechne wild herum: meine Arbeitszeit, 13 Euro Stundenlohn. Es passt
       nicht. Ich rechne anders: meine Arbeitszeit minus Pausen, die ich
       eigentlich hätte machen sollen, aber nicht gemacht habe, weil zu viel los
       war. Es passt nicht. Ich rechne anders: meine Arbeitszeit minus Pausen, die
       ich eigentlich hätte machen sollen, aber nicht gemacht habe, und ohne den
       Probearbeitstag, bei dem mir aber der Lohn zusteht, aber der Betrag auf
       meinem Konto macht keinen Sinn. Es fehlen fünfzig Euro.
       
       Dieses Jahr war ich in vielen verschiedenen Jobs tätig: Ich war
       studentische Hilfskraft, hab auf einem Ostermarkt zwölf Stunden lang
       Würstchen gedreht und im Sommer bei einem Kanuverleih ausgeholfen. Von
       daher kenne ich es, wenn ich ab und an mal ’ne Stunde unbezahlt arbeite
       oder in einer langen Schicht keine Pause mache oder dass ich Schichten erst
       am selben Tag erfahre. Ich habe vieles davon hingenommen, ab und zu mal so
       etwas gesagt wie „Vier Tage vor Schichtbeginn muss ich meine Arbeitszeit
       wissen“. Aber dass mir die fünfzig Euro fehlten, hat in mir irgendwas
       gesprengt.
       
       ## In keinem Verhältnis
       
       Ich hab dann versucht, mich mit ein paar Kollegen über die Lohnsache
       auszutauschen. Aber: Man rede nicht über Geld, andere Generation. Brutal,
       denke ich, man hat ja nicht mehr oder weniger Geld, wenn man sich nicht
       über den Ist-Zustand austauscht. Aber mir wird schnell klar, die
       Solidarität gilt auch hier wem anders. Ein Kollege sagt in einem Nebensatz,
       dass er auch mal abends eine Tür repariert habe, einfach so und unbezahlt.
       
       Und dann kam diesen Monat Merz noch [1][mit seiner Grundsicherungsscheiße].
       Bürgerliche Medien kriegen es nicht hin, von
       Bürgergeldempfänger:innen als Menschen zu sprechen, und wer noch ein
       bisschen Empathie übrig hat, bringt sie nur den Menschen gegenüber auf, die
       wirklich einen ganz triftigen Grund haben, nicht zu arbeiten, also zum
       Beispiel schwerkrank sind oder Depressionen haben. Ehrlich gesagt sollte es
       uns total egal sein, ob ein Mensch nicht arbeitet, weil er nicht kann oder
       nicht will, die Brutalität der Totalsanktionen steht in keinem Verhältnis.
       
       Nicht arbeiten gehen zu wollen ist eine valide – und vielleicht sogar eine
       wichtige Entscheidung. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Totalsanktionen
       auch dazu da sind, um die Menschen [2][in Scheiß-Jobs festzuhalten]. Wir
       sollen unsere Zustände akzeptieren, um ja nicht zu enden wie „die“.
       
       ## Existenzielle Angst
       
       Ich weiß, dass da eine existenzielle Angst hinter liegt, Jobs zu verlieren,
       wenn wir für uns, unseren Lohn oder unsere Werte einstehen. So wie der
       Gewerkschaftler Christopher, der sich in seiner Arbeit beim DHL-Hub gegen
       die Lieferung von Militärgütern nach Israel ausgesprochen hat und dem
       danach sein Job gekündigt wurde. Aber [3][eine ganze Bewegung steht hinter
       ihm], sammelt Unterschriften, versucht, gegen diese unrechtmäßige Kündigung
       zu arbeiten.
       
       Die Geschichte mit dem Fuffi endete so: Ich, die (dem Arbeitgeber zum
       Verhängnis) sich leider ein bisschen mit Arbeitsrecht auskennt (und dann
       auch noch in einer Gewerkschaft ist, übrigens: macht das mal, es hilft
       euch, auch, wenn es nur um fünfzig Euro geht), habe dann einfach mal nach
       einer Lohnbescheinigung gefragt. Kein wilder Klassenkampf, sondern das bare
       Minimum, was das Arbeitsrecht so zu bieten hat. Das fehlende Geld ist dann
       nämlich endlich auf meinem Konto angekommen.
       
       18 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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