# taz.de -- Generationenkonflikt: Wer ist hier das Arschloch?
> Uns wurde eingeflößt, Respekt vor den Alten zu haben. Doch alte Menschen
> denken, sie dürfen alles – und werden immer übergriffiger. Soll man als
> Gen-Z freundlich bleiben oder zurückkanten?
IMG Bild: Verschiedene Generationen machen unterschiedliche Erfahrungen. Vielleicht hilft einfach zuhören?
[1][taz FUTURZWEI] | Es gibt ja Leute, die Berlin im Herbst nicht mögen.
Manche verlassen die Stadt sogar. Es wird schneller dunkel, die Menschen
sitzen weniger draußen und die Stadt zeigt ihre harte Fratze.
Ich hingegen liebe diese Zeit: Verabredungen finden in Kneipen statt, die
Menschen tragen endlich wieder Mäntel und sehen schick aus. Außerdem ist
die Lesungs- und Theatersaison im vollen Gange. Für mich endet nichts,
stattdessen steht alles auf Anfang. Es kommt auf die Perspektive an!
Als ich das alles auf dem Fahrrad unter einen Insta-Post für meine
herbstdepressiven Freund:innen schreibe und kurz aufblicke, sehe ich in
zwei entsetzte Augen eines um die 70-jährigen Mannes.
Trotz Sicherheitsabstand packt er mich am Arm und verwandelt mich in
Sekundenschnelle in ein siebenjähriges Kind. „Bist du irre? Pack dein Handy
weg!”, schreit er und ruckelt weiter an meinem Arm.
## Hab Respekt vor dem Alter?
Okay, es gibt allerdings eine Sache, die hier mit jeder Jahreszeit konstant
bleibt und einfach nicht schönzureden ist: Es sind die alten Menschen, die
immer übergriffiger werden, die denken, sie dürfen alles, weil sie alt
sind.
Seit fast zehn Jahren wohne ich jetzt in Berlin und habe diese Veteranen
unserer Gesellschaft mit Nachsicht behandelt. Wie ich es von kindauf
gelernt hatte: ‚Hab Respekt vor dem Alter!’
Aber das hat zu überhaupt nichts geführt. Und wer immer das Gleiche
probiert, wird auch immer das Gleiche herausbekommen. Das sagt sowohl
Albert Einstein als auch meine Mutter, und die hat Psychologie studiert.
Also entscheide ich mich jetzt zum ersten Mal für eine andere Strategie.
„Fassen Sie mich nicht an, Fassen Sie mich nicht an!”, schreie ich
hysterisch, lasse mein Fahrrad zu Boden fallen und halte einen Finger
drohend auf den Mann. „Sie Alter, Sie …” „…Arschloch!”, pariert der Alte,
schüttelt den Kopf und sieht mich ernst an. „Haben Sie gar keine Manieren?”
Kurz darauf ist er um die Ecke verschwunden.
## Wut auf die Nullbockgeneration
So geht das nicht weiter, denke ich und an eine Situation, die ich gestern
im Backshop erlebt habe. Rückblick:
An der Kasse steht eine hagere, alte Frau mit einem Brot und fährt den etwa
20-jährigen Verkäufer an, der ihr immer wieder erklärt, dass er das Brot
nicht schneiden darf. „Das ist steinhart und kostet sieben Tacken, das sind
14 Mark“, zetert sie. „Und dann nichts leisten wollen. Kein Wunder, dass
mit Ihrer Nullbockgeneration alles den Bach runtergeht!“
Vermutlich sind es die Gedanken an ihre schwachen Hände, die ihre Miene
aufweichen und sie so verzweifelt auf das Brot schauen lassen, wie meine
Oma wenn sie mich fragt, wieso ihr Handynavi nicht deutsch sprechen kann.
„Für sieben Euro können Sie das doch schneiden! Oder müssen Sie da Onkel
Google fragen?“
Die Frau schimpft bestimmt fünf Minuten weiter über den unschuldigen
20-Jährigen bis schließlich der Chef des Ladens von einem der Tische
aufsteht und ihr unter Betonung, hier eine Ausnahme zu machen, das Brot in
Scheiben schneidet.
Binnen einer Sekunde schlägt die Stimmung in pure Harmonie um. Die Alte
tippelt plötzlich aufgeregt wie ein kleines Mädchen neben dem Mann auf der
Stelle, tätschelt ihm die Schulter und verlässt beschwingt den Laden.
„Schönen Tag nohoch!”
## Die größten Ängste der Deutschen
Ich sehe dem alten Mann hinterher, der mich Arschloch genannt hat. Gut,
vielleicht ging es im Backshop auch um etwas anderes. Die alte Frau war
wirklich alt und das ungeschnittene Brot wirkte in ihren Händen wie ein
Sack Zement.
Außerdem hat eine jüngst veröffentlichte Studie der R+V Versicherung
gezeigt, dass seit 2022 die Angst vor der Erhöhung der Lebensmittelkosten
den ersten Platz unter den Ängsten der Deutschen belegt.
Schaut man die ewige Rangliste der Deutschen Ängste seit 1992 an, steht
Inflationsangst mit fünfzehn Erstplatzierungen an oberster Stelle.
Vielleicht hat das sieben Euro teure Brot die alte Frau also noch
zusätzlich getriggert.
Die Alten sind in unserer schnellen Zeit oft überfordert – mit dem
entfesselten Kapitalismus und mit jungen Menschen wie mir, die, mit ihrem
Blick aufs Handy gerichtet, immer kurz davor sind, alte Männer zu
überfahren.
Es gibt also viele Gründe, wieso Menschen dünnhäutig sein können. Aber
rechtfertigt das ihre Beleidigungen, die die Jüngeren treffen, die ja nun
auch zu den vulnerableren Gruppen der Gesellschaft zählen?
Die alte Frau hat ihren Willen bekommen, obwohl sie total unhöflich zu dem
jungen Verkäufer war, der ja auch nichts für seine Dienstvorschrift oder
den Brotpreis konnte. Hätte sie ihr Brot an dem Tag nicht bekommen, wäre
sie vielleicht dazu gezwungen, ihr Verhalten zu überdenken und in Zukunft
etwas freundlicher zu sein oder zumindest von Beleidigungen abzusehen, wenn
sie eine Nettigkeit erwartet, denke ich. Oder sie hätte zur Strafe AfD
gewählt.
## Wann ist Unfreundlichkeit angebracht?
Vielleicht ist das Nachgeben vor dem Alter einer der Glaubenssätze meiner
Jugend in Merkel-Jahren, der wie die Idee vom unbedingten Pazifismus und
der Ablehnung der Bundeswehr als moralisch einwandfreie Haltung überdacht
werden muss.
Muss ich vielleicht aufhören, freundlich zu sein, wenn die Alten fies
bleiben?
Im aktuellen Philosophie Magazin steht, dass sowohl Kapitalisten als auch
Kommunisten die Wirksamkeit von Freundlichkeit anzweifeln. Erstere, weil
ihrer Meinung nach nicht das liebe Wort oder Lächeln, sondern die
unsichtbare Hand des Marktes Erfolg in Glück verwandeln, wohingegen die
anderen der Meinung seien, dass Freundlichkeit die Revolution verhindere.
Gleichzeitig würde gelebte Freundlichkeit Glückserfahrung fördern – etwas,
das auf den Freundlichen zurückwirkt.
Unfreundlichkeit muss in unserer Gesellschaft also kein Ist-Zustand sein,
da es sich bei Freundlichkeit um eine Tugend handele, die wie ein
Instrument oder eine Sportart ständig geübt werden könne. Vielleicht geht
es also gar nicht ums Nachgeben – wenn man sich selbst vor dem Frust der
Alten oder die Alten vor sich selbst schützen will, dann ist der einzige
Weg vielleicht die Freundlichkeit.
Ich fahre dem Alten hinterher und platziere mich vor ihm auf der Straße.
„Tut mir leid, ich …“
„Die Jugend ist nur noch am Handy”, blafft er zurück, dann hält er kurz
inne. „Ich war ja auch mal so wütend wie Sie … aber …“
„Sie hatten damals kein Handy!“
„Nein, und das war gut so! Das können Sie mir glauben!“
Ja, genau, und später werde ich das in meiner Insta-Story erzählen, denke
ich.
„Sehen Sie, genau so müssen wir doch miteinander reden”, sagt der Mann.
Ich glaube, in seinem Gesicht eine Träne zu sehen, als er mir angerührt die
Hand auf die Schulter legt. Aber weil das kein Film, sondern Deutschland im
Herbst ist, geben wir uns einfach die Hand.„So…“, sage ich. „Ja tschüss”,
antwortet der Mann.
Meinen nächsten Wut-Rentner werde ich umarmen, denke ich auf dem Weg nach
Hause.
Draußen wird es zu dieser Jahreszeit viel zu schnell ungemütlich, da muss
man mit Wärme dagegen halten.
■ „[2][Stimme meiner Generation]“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von
Aron Books und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für
unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber
hinaus.
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
N°34 mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ gibt es jetzt [3][im taz
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17 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Aron Boks
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