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       # taz.de -- Interview mit taz-Layouter Uli Küsters: „Die Zwischenmenschlichkeit wird beschnitten“
       
       > taz-Urgestein Uli Küsters im Gespräch über die wilde Vergangenheit,
       > sinnentleertes KI-Layout – und warum die taz wieder linksradikaler werden
       > sollte.
       
   IMG Bild: Radikal jung: Uli Küsters (vorne) in der taz-Redaktion in der Wattstraße
       
       taz: Uli, wir sind seit elf Jahren Kollegen und haben schon oft für die
       [1][Berliner Lokalseiten] zusammengearbeitet. Du arbeitest im Layout, bist
       in deinem 70. Jahr und immer noch bei der taz. Wie lange schon? 
       
       Uli Küsters: Seit dem 1. Dezember 1978. Also nicht von Anfang an, die erste
       Ausgabe der taz kam ja am 22. September 1978 heraus. Die taz hatte sich
       nach dem Tunix-Kongress in West-Berlin als selbstverwaltetes Projekt
       gegründet.
       
       taz: Man könnte also sagen, dass du einer der ersten tazler bist. 
       
       Uli Küsters: Ja. Aber eben nicht die Nummer eins. Die ersten zwei oder drei
       Nullnummern wurden noch in Frankfurt am Main produziert. Damals ging es
       darum, ob Frankfurt oder Berlin der Standort der taz sein sollte. Ich bin
       damals davon ausgegangen, dass die taz nach Berlin geht, weil die
       Berlinzulagen, also Subventionen, gelockt haben. So kam es ja auch. Mit der
       dritten Nullnummer ging es in der Wattstraße im Wedding los.
       
       taz: Im Wedding lebst du heute noch, die taz aber ist weitergezogen nach
       Kreuzberg. Wie viele Leute wart ihr damals? 
       
       Uli Küsters: Die genaue Anzahl weiß ich nicht mehr, über den Daumen gepeilt
       allerhöchstens 60.
       
       taz: Heute sind wir viel mehr. Wie habt ihr damals im Layout gearbeitet?
       Computer gab es bei euch noch nicht. 
       
       Uli Küsters: Ich habe in der Technik angefangen, eigentlich durch Zufall
       und über meinen leider schon verstorbenen Kollegen Georg Schmitz, der in
       den frühen taz-Jahren Texte mit seinen Säzzer-Bemerkungen geschmückt hat.
       Georg sagte zu mir: Stell dir vor, die wollen alle in die Redaktion, so
       kriegen wir doch keine Zeitung rausgebracht. Wir brauchen Leute in der
       Technik. Georg war mir sympathisch, so bin ich in der Technik gelandet und
       erst später ins Layout gewechselt.
       
       taz: „Technik“ klingt nach Bleisatz oder so. 
       
       Uli Küsters: Bleisatz hatten wir am Anfang nicht. Damals war der Fotosatz
       die technische Revolution. Damit fing, so kann man sagen, die
       Computerisierung der Zeitungsherstellung an. Und deswegen konnten wir die
       taz überhaupt produzieren. Hätten wir die Zeitung noch mit Bleisatz
       herstellen müssen, hätten wir Unmengen von Säzzern gebraucht, die dann
       vielleicht in der Gewerkschaft gewesen wären – dann wäre die taz wohl nie
       erschienen. Fotosatz war mal das Modernste, heute würde man sagen:
       Steinzeit.
       
       taz: Wie ging das genau mit dem Fotosatz? 
       
       Uli Küsters: Als wir anfingen, hat man viel mit der Hand gearbeitet und
       nicht nur eine Computermaus in der Hand gehalten. Die Texte wurden erfasst,
       auf einer Diskette gespeichert und dann in eine Belichtungsmaschine gelegt.
       Da war eine rotierende Plastikscheibe mit den verschiedenen Schriftarten
       und Schriftgrößen drin, das konnte man alles einstellen. Hinten war
       Fotopapier, da wurde Licht durchgeschossen und dadurch belichtet. Wenn der
       Artikel fertig war, kam er in eine lichtdichte Box, mit der musste man in
       die Dunkelkammer. Das Ganze ging durch Entwickler, Fixierer und Wasserbad
       und wurde getrocknet. Die Bilder wurden in eine riesige Reprokamera gelegt
       und gerastert, also in Schwarz-weiß-Punkte aufgeteilt.
       
       taz: Und dann? 
       
       Uli Küsters: Sowohl die Texte als auch die Fotos auf Papier konnte man von
       unten wachsen, dann wurde sie ausgeschnitten. Man hatte einen Standbogen so
       groß wie die Zeitungsseiten, der wurde auf den Leuchttisch gelegt – eine
       Glasscheibe, von unten mit Neonröhren beleuchtet. Darauf wurde die Seite
       zusammengeklebt. Davon schaffte man höchstens vier in einer Schicht, mit
       Geschick und Handwerk. Mit dem Computer schaffe ich, zwölf Seiten zu
       layouten. Das ist der Unterschied.
       
       taz: Ich kenne von dir ein paar Geschichten von früher. Es gab wilde
       Partys, während der Arbeit wurden Joints geraucht … war das wirklich so?
       Heute kaum vorstellbar, wir tazler sind braver geworden.
       
       Uli Küsters: Ja, das war so. Auch die Bullen waren öfter zu Besuch. Die taz
       war eine linksradikale Zeitung, die sie heute nicht mehr wirklich ist. Und
       das waren die RAF-Zeiten, da waren der Staat und seine Organe
       übersensibilisiert. Bei dem kleinsten Mückenschiss ist die Staatsmacht
       ausgerückt, um zu gucken, ob die taz nicht irgendeine Nachricht von der RAF
       bekommen hat. Damals, gerade auch nach dem heißen Sommer 1977, gab es ja
       weitere Anschläge von der RAF. Die hat Bekennerschreiben verschickt, und
       die taz hat immer eins bekommen.
       
       taz: Lange her, die Zeiten haben sich geändert. [2][Jetzt hat die taz ihre
       werktägliche Druckausgabe eingestellt.] Ein epochaler Wandel. Wie siehst du
       den Abschied von Print unter der Woche? 
       
       Uli Küsters: Es ist halt so. Wie steht man zu einem immer höheren Grad von
       Technologisierung? Letztendlich läuft es auf Robotisierung und KI hinaus.
       Dabei fällt einer der Grundpfeiler einer Zeitungsherstellung weg, nämlich
       das kreative Layout. Das macht jetzt die KI, wir benutzen sogenannte Smart
       Templates. Wie man eine Seite gestaltet, was von den Textmengen her
       draufpasst, wie stark Bilder beschnitten werden können, wie viel der Autor
       bereit ist zu kürzen – alles, was früher im Diskussionsprozess mit dem
       jeweiligen Redakteur oder Chef vom Dienst stattfand, fällt weg. Man kann
       sagen, die Zwischenmenschlichkeit, das soziale Miteinander, wird weiter
       beschnitten. Es gibt weniger Kommunikation. Das verstehe ich als
       Sinnentleerung.
       
       taz: Du hast auch als Rentner bis zuletzt Schichten im Layout übernommen,
       bist jetzt auch bei den letzten werktäglichen Printausgaben der taz dabei
       gewesen. Deine Arbeit als Layouter wird nicht mehr gebraucht. Aber Schicht
       im Schacht ist nicht. Du arbeitest weiter in der taz. 
       
       Uli Küsters: Ich kann es ganz offen sagen: Nach 45 Jahren taz und einer
       Fünf-Tage-Woche ist die Rente nicht gerade üppig. Also muss ich noch
       dazuverdienen. Deswegen bin ich noch hier und wechsle jetzt in die
       Korrektur.
       
       taz: Wenn du der taz etwas für die Zukunft wünschen könntest, was würdest
       du uns allen mit auf den Weg geben? 
       
       Uli Küsters: Dass wir den gesellschaftlichen Diskursraum offenhalten. Dass
       die taz auch Meinungen, die nicht dem politischen Mainstream entsprechen,
       bringt und sich dafür interessiert, so wie wir das früher gemacht haben.
       Meinungen, die sonst kein Gehör oder keinen Druck finden – ich meine jetzt
       Zeitungsdruck. Weil die gesellschaftlichen Zeiten ja alles andere als
       einfach sind. Wir stehen vor einem riesigen gesellschaftlichen Umbruch,
       nicht nur in Deutschland, sondern global. Die Strukturen werden sich
       verändern. Gesellschaft muss anders organisiert werden. Und wenn da das
       Soziale, so wie es jetzt aussieht, immer weiter nach hinten kippt, dann
       müsste die taz ganz im Sinne von Christian Ströbele ticken. Der wünschte
       sich eine linksradikale Zeitung. Die taz muss sich also wieder auf ihre
       Wurzeln besinnen.
       
       taz: Heißt? 
       
       Uli Küsters: Für mich heißt das, die Systemfrage zu stellen. Ganz
       knallhart.
       
       19 Oct 2025
       
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   DIR Andreas Hergeth
       
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